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Am Vranasee

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Zwei Gehstunden von der alten Krönungsstadt Biograd — dem venezianischen Zaravecchia — entfernt, erstreckt sich in hügeliger, wohl bebauter Landschaft blaßblau schimmernd in geruhsamer Größe der weite Landsee von Vrana, bei dessen Betrachtung, wie es im Liede heißt, Schmerzbeladene süßen Frieden finden. An seinem Südufer betriebsam die staatliche Großfarm, deren vielgerühmte Bodenerzeugnisse die Städte Norddalmatiens beliefern, während westwärts, in beschatteter Talmulde, sich das alte Fischerdorf Vrana, mit einem scharlachroten Mantel von herbstlichen Laubbäumen königlich drapiert, lagert. Weinrot, veilchenblau, golden die Farb-flecke, welche diese Bucht ins helle Seewasser zaubert. See? — Blaugrüne Schilfwiesen, tückisch bodenlos, bilden die Ausläufe des Gewässers, welches endlos in einem Sumpf vermodert.

Ewige Wärme, ewiges Licht, Duft von Rosmarin und Salbei weht übers Wasser. Der unheimliche Sumpf liegt fernab, friedvoll glänzt der spiegelnde See. Ein Idyll also? — Ach nein. Gleich hinter Vrana droht heroisch machtvoll die mittelalterliche Ruine des Templerschlosses, eisgrau und düster, gleich einem Wahrzeichen der Vorwelt. Weit in den hier grauweiß und blauviolett schillernden See hinein wuchten die Schatten der einstigen Zwingburg.

Der Orden der „Milites templi“ war 1119, zur Zeit der Kreuzzüge, in Frankreich entstanden, als die Ritter Hugo de Payens und Gottfried de St. - Omer .zu Ehren der süßen Himmelsmutter“ eine Bruderschaft gründeten. Ritter und Mönche sollten gemeinsam ihr Leben dem Schutz des Heiligen Landes weihen, sie würden die Pilgerzüge vor Uberfällen räuberischer Stämme schützen, welche die Wege über menschenleere Gebirgs-kämme gefährdeten.

Dieser anfänglich namenlosen Vereinigung überließ König Balduin II. von Jerusalem, nahe seiner Residenz, eine Herberge für arme Pilger sowie andere, am Platze des Salomonischen Tempels gelegene Baulichkeiten. Fortan nannten die Kavaliere sich „Ritter vom Tempel“, und ihr Ordenswappen zeigte den Tempel, dazu zwei Reiter auf einem Pferd — Tempelritter und hilflosen Pilger.

Wie aber kam die Tempelburg an die adriatische Ostküste? Wohl liest man über befestigte Konvente der Templer in Dalmatien, welche eigentlich höchst weltliche feudale Schlösser gewesen, und die einst in Spalato, in Zara und Zengg gestanden, doch sind ihre Reste spurlos verschwunden. Wenn Burg Vrana ihre Schwestern um Jahrhunderte überlebt hat und — als pittoreske Ruine — weiter überdauern wird, so haben nicht allein die soliden, starken Mauern, sondern ebenso ihre merkwürdigen Schicksale sie vor dem Untergang beschützt.

Verwittert, doch festgefügt, steht die Zwingburg mit ihrem drohenden vierkantigen Turm. Historische Gestalten, die Dalmctien erschütterten, steigen auf, weltgeschichtliche Reminiszenzen wollen sich zu Bildern formen. Wie unsere altmodische Barke, rrit ihrem orangefarbigen Segel einem phantastischer. Urtier gleichend, über den Seespiegel gleitet, melden sich die Bilder:

Banus Zvonimir, der blonde, bärtige Recke, empfängt in Vrana am 9. Oktober 1076 den Abgesandten Papst Gregors VII., der ihm die Kroninsignien — Krone, Szepter und Kreuz — überbringt. In seiner Residenz zu Bihac, deren Ruinen auf einem Hügel nahe bei Castello Stafileo ausgegraben wurden, ließ Zvonimir sich in der Hofkapelle — dem Peterskirchlein — zum König der Kroaten krönen. Der dankbare neue Herrscher stiftete in seinem Stammlande Dalmatien einen Peterspfennig von jährlich 200 Golddukaten und überließ dem Vatikan das neugegründete Kloster St. Gregor zu Vrana als würdiges Logis für den jeweiligen päpstlichen Legaten.

Mit Zvonimir war 1089 das kroatische Königshaus ausgestorben. Da berief seine Witwe Liepa Jelena — Schön-Helene — ihren Bruder König Ladislaus von Ungarn ins Land, damit es nicht Venedig zufalle, und bereitete so die ungarische Herrschaft vor.

Nicht völlig aufgehellt ist die Geschichte der Dynastien Dalmatiens der folgenden Zeit. Doch wie nun der stahlblau gewordene See die eintönigen Uferkonturen in immer süßeren Farbtönen widerstrahlt, verschieben sich, verschwimmen die Weiten, neue Bilder erstehen:

König Bela II. von Ungarn überläßt dem reich und mächtig gewordenen Templerorden 1138 Vrana als Priorat. Bald erbauen die Ritter statt des Klosters ihr befestigtes Schloß, welchem sie die ertragreichsten Ländereien der Provinz anschließen. Tributpflichtige Städte vermehren Macht und Glanz der Ritterschaft.

Der Orden, welchem 1129 Papst Honorius die Bestätigung erteilt hatte, war das Ideal schwärmerischen Rittertums gewesen. St. Bernhard de Clairvaux entwarf die ersten Ordensregeln, welche sodann in 72 Artikeln festgelegt wurden. Und derselbe Heilige schrieb sein „Liber de laude novae militiae ad milites templi“, zum Lob des Templertums. Die Kavaliere genossen bald die besondere Huld der Großen, so wuchs ihr Orden stetig und erwarb, durch Schenkungen bereichert, großen Besitz und wichtige Privilegien. Um 1260 zählte er 20.000 Ritter und besaß 9000 Komtureien, Balleien und Tempelhöfe mit 10 freien Liegenschaften.

Abermals entsteigt dem Zauberspiegel Vranas eine Bildfolge, lebhaft vorüberzitternd, gleich einem unruhigen Farbfilm: Die kriegerischen Nachfolger des Ordensgründers stürmen vorhei, Ritterscharen in weißen Leinenmänteln, welchen das blutigrote Kreuz eingewirkt ist. Auch von Irrtum und Schuld sind die folgenden Jahre nicht frei, und 1312 hebt der Papst durch eine Bulle den Orden auf...

Fort, Bilder vergangener Tage, zurück in den Sumpf! In der Wassermitte ist es stiller, und die Sonne will eben ganz ins Himmelsgold tauchen, schon fallen feierlich, die ersten amethystblauen Nachtschatten hernieder, feucht streift uns der Atem des geruhsamen Vranasees. Langsamer, schwächer werden die Ruderschläge, wir ziehen die Segel ein und lauschen einem seltsam surrenden Klingen: ein Schwärm südwärts streichender

Seeamseln saust In rasendem Fluge vorüber — eine huschende Wolke, im wogenden Goldgedünste der Ferne entschwindend. Mystische Schleier wallen nach dem unterweltlich melancholischen Sumpfgelände, das von allen Seglern abergläubisch in weitem Umkreis gemieden wird. Aus einer sandigen Bucht quirlt das Wasser wie zu Schaum geschlagenes Obers, da werfen Fischer, auf Pfählen hockend, die Netze aus. Der See ist jetzt zu einem geheimnisvollen Perlmutter verglüht, verblichen, auf welchem nur die immer näher schwimmenden Häuser Vranas wie rosa Blüten schimmern. Ohne Basis die Reflexe der mattrosa gewordenen Berge, undeutlich, zu Luft sich lösen wollend, die Templerschloßruine. Alles so transparent, daß man unsicher ward, ob es in Wahrheit existiert hat. Wirklich nur mehr der rosa Nebel, der sich immer dichter ausbreitet, und der salzige Duft, in welchen sich Rauch, wie von verbranntem Wachholder, mischt.

In der türkischen Periode erlebte Vrana seinen größten Aufschwung, wie er später nie wieder erreicht wurde. Damals galt es als reichstes „Ziyamt“ des Sand-schaks Lika, gehörte zum Lehen des edlen Heerführers Halil Bey, unter dessen Schutze es — wie General Foscolo schrieb — über 500 prächtige Häuser, darunter dessen eigenen schönen Palast, besaß. Obwohl in Knin residierend, besuchte Halil sein Lieblingsgut Vrana häufig, wo ja sein guter Freund Jussuf Bey, der Günstling Sultan Ibrahims IV., lebte. Für 3000 Dukaten hatte der, inmitten herrlicher Parkanlagen, einen Han für seine zahlreichen Gäste erbaut und dem noch heute gut erhaltenen Gebäude aus einer Felsgrotte klares Trinkwasser zuführen lassen —, auch diese Leitung leistet immer noch gute Dienste. Doch die Türkenherrlichkeit endete 1647, als General Foscolo Vrana als reiche Beute für die Republik Venedig eroberte. Leider kümmerten die Venezianer sich nicht um diesen Besitz, die Entwässerungskanäle der Sümpfe verschlammten, das riesige Ackergelände ging zugrunde, Malaria verseuchte die Gegend. — Neuerdings bemüht man sich, Abhilfe zu finden, kultiviert und schafft redlich.

Und die Templer, waren sie völlig ausgerottet? — Undurchsichtige Wolkenschwaden brüten über den trügerisch grünen Vranasümpfen. Kein Bild will sich mehr heraufbeschwören lassen.

„Ritter von der Distel“, „Christusorden“, unter diesen Decknamen fristeten die Templer in Schottland und in Portugal ihr Dasein. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts jedoch entstand in Frankreich ein neuer Templerorden, der als sein Ziel die Wahrung ritterlichen Geistes und das Bekenntnis eines „aufgeklärten“ Christentums aufstellte. Die besten Persönlichkeiten des Hofes und der Pariser Gesellschaft traten dem Orden bei, bis die Revolution alles Rittertum auslöschte. Da warf er sich erfolgreich auf die Politik, wurde sogar von Napoleon I. quasi als Adelsinstitut begünstigt. — Nach der Julirevolution traten die Neutempler in Paris sogar mit kommunistischen Tendenzen hervor, nannten sich „Chretiens catholiques primitifs“, und ihre Geheimlehre war in einem „Johannisevangelium“ zusammengefaßt. — Trüber Nebeldunst — der Orden mußte erlöschen, was er auch stillschweigend 1837 tat.

Es ist Nacht, purpurne Dunkelheit lastet überm Vranasee. Ein einsamer Uhu im Schloßgemäuer läßt eintönig seinen Klageruf vernehmen, undeutlich winken Märchengestalten — ist es nicht eine verzauberte arabische Prinzessin, die nach dem Befreier ruft? — Oder König Zvoni-mirs Geist, der um Liepa Jelena klagt? — Weiße Rittermäntel — danach der mörderische Joanniterprior Palisna —, venezianische Condottierl —. österreichisches Militär —, Totentanz, abwechslungsreich, gleich einem Fastnachtszuge.

Tiu, tiu, klagt die Eule. Geduld, meine Freundin, der Film ist lange nicht zu Ende gedreht —, wer weiß, welch neue Bilder noch aufrauschen und verklingen werden. —

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