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Amerikanische Landwirtschaft

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Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind nach diesem Kriege mehr als jemals zuvor die Hoffnung von Millionen hungernder Menschen auf der ganzen Welt. Wenn man bedenkt, daß die sogenannten Pilgerväter erst im Jahre 1620 an der Küste von Neuengland landeten und die ganze Kolonisierung dieses ungeheuren Kontinents in den letzten 300 Jahren durchgeführt worden ist, vermag man die heutige Situation in ihrer ganzen Bedeutung zu erfassen.

Die gewaltige Ausdehnung der USA. sowohl vom Westen nach Osten als auch vom Norden nach Süden, bedingt große Unterschiede im Klima; außerdem wechseln ausgedehnte Ebenen mit Mittel- und Hochgebirgen, und so nimmt es uns nicht wunder, wenn das Land alle Produkte der gemäßigten und viele der subtropischen Zone hervorbringt. Die amerikanische Landwirtschaft ist deshalb von einer solchen Mannigfaltigkeit und landschaftlich bedingten Verschiedenheit, wie wir s'ie in keinem anderen Staat der Welt finden. Dazu kommt vielfach noch eine für europäisdae Verhältnisse völlig undenkbare Spezialisierung auf einzelne, eng begrenzte Gebiete — zum Beispiel Zwiebelfarm, Goldfischfarm —, daß es auf den ersten Blick schwierig erscheint, gewisse allgemeine Grundzüge und charakteristische Tendenzen in der Farmwirtschaft der Vereinigten Staaten aufzustellen.

Und doch ist es so, daß sich viele Erscheinungen, die uns Europäern fremd- und eigenartig anmuten, auf bestimmte historische Entwicklungen und geopolitische Verhältnisse zurückführen lassen.

Ein Blick auf die Geschichte des Landes zeigt, warum wir drüben f ast ; ar keine Bauer n d ö r f e r im europäischen Sinne vorfinden: Es waren Individualisten, freiheitsliebende Männer, Abenteurer und zunächst meist Engländer und Nordeuropäer, die als Siedler in die Neue Welt gingen und dort dem Urwald die Farm abgewannen. So ist heute der ganze Kontinent von New York bis Seattle, von Milwaukee bis Houston und San Fraftzisko von Einzelgehöften durchzogen, und das Leben auf einer solchen Farm ist trotz Auto und Radio noch immer von einer gewissen Abgeschiedenheit — aber auch von jener Unabhängigkeit und Selbständigkeit, die ihren Stempel der ganzen amerikanischen Wesenheit aufdrückt.

Da ist im Süden ejn Staat von der Größe Deutschlands, Texas, das mit seinen sechs Millionen Einwohnern, seinen ausgedehnten, grasbewachsenen Ebenen und seinem warmen Klima das Land der Viehzüchter und Rancher ist. Und da ist im Norden an der kanadischen Grenze das mitteleuropäisch anmutende Wisconsin, dessen Autoschilder unter der Nummer die Aufschrift tragen: „Wisconsin — America's Dairyland“, „das Land der Milchwirtschaft“.

Es ist ein eigenartiges Gefühl, wenn man auf einer der schönen Straßen dieses reichen Staates durch das ländliche Wisconsin dahinbraust. Die Farmen liegen fast mit einer gewissen Regelmäßigkeit im Gelände verstreut und zeigen trotz allen stilinäßigen Unterschieden einen typischen Aufbau. Der Gebäudekomplex wird beherrscht von dem großen Stall, dessen riesiger Dachboden zugleich die Scheune bildet. Unmittelbar daneben ragen ein- bis zweizylinderförmige, oft rote Silos auf, die dem Ganzen etwas Solides, Gediegenes und Wuchtiges verleihen. Meist besitzen die Farmen noch mehrere kleinere Wirtschaftsgebäude oder Ställe, doch das Gesamtbild wird beherrscht von dem Stall-Silokompl ex, der geradezu charakteristisch ist für die amerikanische Farm. Stil und Größe des Wohnhauses ist natürlich weitgehend abhängig von dem Geschmack und den Mitteln des Eigentümers, beziehungsweise des Erbauers, und hier ist Wisconsin vielleicht nicht ganz typisch für amerikanische Verhältnisse, weil wir im Gegensatz zu allen anderen amerikanisdien Staaten, in denen die Holzbauweise allgemein üblich ist, auch viele Ziegel- und Steinbauten finden. Das erklärt sich neben dem Klima auch aus der Herkunft der Einwanderer, von denen viele aus Mitteleuropa, besonders auch aus Deutschland stammen.

Uber die Bewirtschaftungsweise der Farmen kann gesagt werden, daß sich der moderne amerikanische Farmer in normalen Friedenszeiten nur durch genaueste Kalkulation, Konjunkturberechnung und Anwendung von allerletzten und rationellsten Bearbeitungsmethoden durchsetzen und behaupten kann. Überspitzt ausgedrückt, „Farming“ muß drüben mehr oder weniger nach den Gesetzen betrieben werden, denen , auch die Industrie unterliegt. Ein Beispiel möge ein Streiflicht auf diese Tatsache werfen. Während bei uns ein Bauer seinen Hof nicht mit dem Odium der Verschuldung behaften will und nur im äußersten Notfall zu seiner Raiffeisen-kasse geht, um sich Geld auszuleihen, ist es drüben etwas ganz Alltägliches, daß der Farmer, der auf seinem Besitz eine Verbesserung vornehmen will, die sich in einigen Jahren bezahlt machen wird, oder der ein Sozialprodukt anbauen mödate, von dem er berechnet hat„ daß sich die Ausgaben für Saatgut und Kunstdünger nach der ersten Ernte schon gut bezahlt machen, bei seinem Country Banker ein kurzfristiges Darlehen aufnimmt.

Von der Mechanisierung eines modernen amerikanischen Farmkomplexes können wir uns hier im alten Europa trotz dem Fortschritt der letzten Jahre kaum einen Begriff machen. In Wisconsin sahen wir fast auf jeder Farm mindestens einen Traktor, einen Lastkraftwagen und einen Personenkraftwagen. Die durchschnittlich 20 Rassekühe der Farm wurden nur elektrisch und ohne Ausmelken gemolken. Einen Begriff von der in der Geschichte der Menschheit noch nie dagewesenen Mechanisierung der Landwirtschaft mögen ein paar Zahlen vermitteln, die der amerikanische Landwirtschaftsminister Clinton P. Anderson bekanntgegeben hat.

Im Jahre 1940 verfügte die amerikanische Landwirtschaft in einer oder der anderen Farm — (Traktoren, Elektromotoren, Autos, stationäre Motoren, Windmühlen und dergleichen) — über mehr als 174 Millionen Pferdekräfte.

So ist es erklärlich, daß die amerikanischen Farmer während des vergangenen Krieges um ein Drittel mehr produzierten als vor dem zweiten Weltkrieg, obwohl sie 5,000.000 Arbeitskräfte, hauptsächlich durch Abwanderung in die Kriegsindustrie, verlöten haben.

Ein Beispiel für die Entwicklung der Landmaschinen ist der Traktor. Noch vor dem ersten Weltkrieg war er eine Maschine, die nur als Ersatz für Zugtiere diente, ein qualmendes, stinkendes und schwerfälliges üngetum; das man einfach vor die Geräte .spannte, die früher von Pferden oder Ochsen .gezogen worden waren. In den zwanziger Jahren ging man dazu über, kleinere und beweglichere Modelle zu konstruieren, und heute geht der allgemeine Zug immer mehr dahin, Traktor und Gerät zu einer Einheit zusammenzubauen, mit wenigen. Handgriffen eine neue Verwendungsmöglichkeit zu erreichen und durch hydraulische Kontrollen und Lenkung eine einfachere Bedienung zu gewährleisten. So haben wir zum Beispiel während des Krieges in den Vereinigten Staaten oft 14- bis 15jährige Mädchen auf einem Traktor sitzend das Feld bearbeiten gesehen. Infolge seiner Billigkeit, Vielseitigkeit und Wendigkeit, verschafft sich der leichte Traktor immer mehr auda Eingang in den Kleinbetrieb, der in Amerika als die letzte Festung von Pferd und Maultier angesehen werden kann. Über die Entwicklung der Anwendung des Traktors geben folgende Zahlen beredten Aufschluß: Im Jahre 1910 hatten die Vereinigten Staaten etwa 1000 Traktoren, große und schwerfällige Ungetüme, die sehr teuer waren. Nach dem ersten Weltkrieg, im Jähre 1918, waren es schön 15S.0OÖ.'1 Dann kam in den zwanziger Jahren der kleine, wendige und vielseitig verwendbare Traktor, dessen Anwendungsmöglichkeit in den' dreißiger Jahren durch das Aufkommen 'der Gummibereifung noch ausgedehnter würde. So hatte Amerika bei Ausbruch des zweiten Weltkrieges et w“a 1,5 0 0.0 0 0 Traktoren, und diese Zahl ist trotz der großen Schwierigkeiten während des Krieges um weitere 40 Prozent, auf 2,000.000 zu Beginn des Jahres 194t, angewachsen. Das amerikanische Landwirt Schaftsministerium rechnet für die nächste Zeit mit einem weiteren jährlichen Bedarf v o n 200.000 Trakto r e n.

Der Aufschwung der Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten und die erwähnte Produktionssteigerung um ein Drittel, die während des Krieges trotz der Abwanderung der Arbeitskräfte zu verzeichnen war, läßt sich auf folgende Ursachen zurückführen:' ““-

Zunehmende Mechanisierung, größere Anwendung von Kunstdünger und Kä1k, verbessertes und veredeltes Saatgut, neue Konservierungsmethoden, bessere Schädlings- und Krankheitsbekämpfung, bessere Viehfütterung.

Die Verwendung von Kunstdünger war in Amerika schon vor dem Kriege sehr groß, in den letzten Jahren aber hat sie sich verdoppelt, bei Kalk sogar verdreifacht. Untersuchungen haben ergeben, daß es sich bei guten Preisen sogar lohnen würde, viermal soviel Kunstdünger zu verwenden als vor dem Krieg.

Was die Verbesserung des Saatgutes anbetrifft, so sei vermerkt, daß es in der letzten Zeit gelungen ist, Maissorten zu züchten, die die Kolben in gleicher Höhe haben, so daß man diese auda mit Maschinen pflücken kann. Einer der Pioniere dieser Marsversuche ist der frühere Landwirtschafts- und Handelsminister Henry Wallace, dessen Versuche auf seiner Farm in Iowa jetzt von seinem Sohn weitergeführt werden. Übrigens betraditen die Amerikaner im Gegensatz zu uns Mitteleuropäern, die wir den Kukuruz in vielen Gegenden noch immer als Viehfutter ansehen, den Mais als eine Delikatesse, die sich in Konservenform als Sweet Corn usw. im Kühlsdarank einer jeden amerikanischen Hausfrau findet. Ein weiteres Beispiel für die Verbesserung der Feldfrüchte ist die Sojabohne. Zwischen 1924 und 1939 wurde ihr Acre-Ertrag verdoppelt, und die neue Lincoln-Bohne verspricht sogar eine weitere Ertragssteigerung um 20 Prozent. Bei Viehfutter ist man soweit, daß durch Mehranpflanzung von Leguminosen statt Gräsern der Proteingehalt um 75 Prozent erhöht werden konnte.

Zwei Beispiele aus dem Gebiete der Viehfütterung mögen den Fortschritt in diesem Zweige der Landwirtschaft erläutern. Eine amerikanische Mildakuh gab früher durchschnittlich . 4218 Pf und Milch im Jahr, heute dagegen 4768; die durchschnittliche amerikanische Henne legte früher 112 Eier, heute mehr als -150“ Eier jährlich.

Wenn wir uns vor Augen halten,“ daß im Jahre 1910 die Farmer 35 Prozent der Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten bildeten, heute dagegen nur mehr 18 Prozent, so beweisen diese Ziffern allein, d.aß die Entwicklung auf lange Sicht zu größeren Farmen und weniger Farmern hinläuft; und es ist interessant festzustellen, diese Tendenz, die sich drüben evolutioni-stisda mit einer fast gesetzmäßigen RegeR mäßigkeit durch die Initiative der Farmer zu vollziehen scheint, in anderen Ländern-der Erde durch den Staat erreicht werden will.

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