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An der Kamera:

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„Es ist hier so beispiellos schön. So viel Licht. Der Sonnenaufgang heute morgen war ein blödsinnig schönes Schauspiel. Alles in Goldbronze getaucht, reinste Plastik, die Farben nicht fühlbar, weil die Formen alles erschlagen und das Komplementäre so ausgeglichen ist, daß die Gegensätze sich aufheben. Nur Wärme und Form. Hier wird die Notwendigkeit zur Schönheit."

Dieser Gruß aus Ospedaletti bei San Remo war an Felix Salten gerichtet. Wäre die spontane Schilderung etwa Peter Altenberg in die Hände gekommen, dann hätte er wahrscheinlich begeistert ausgerufen: „Aber das ist ja eine Momentphotographie in Worten, wie ich sie immer anstrebe!“ Und damit hätte P. A. das Richtige getroffen, denn der Schreiber jener Zeilen sah die südliche Impression tatsächlich mit dem Blick des Photographen: Josef Kainz, der große, gefeierte Kainz.

1904 hatte er den idyllischen Ort an der Riviera als Frühlings-Retiro entdeckt, angeregt durch den einstigen Burgtheaterdirektor Max Burckhard. Ospedaletti war damals noch ein Geheimtip für Connaisseurs des Reisens. Dort konnte Kainz mit Gerhart Hauptmann Gedankenaustausch pflegen, mit seinem engsten Freundeskreis, der bekannten Wiener Familie Mautner, weite Ausflüge unternehmen und, Gentiluomo der er war, allen Komfort der pompösen Luxushotels genießen, die er lächelnd „Fürstenhöfe“ nannte.

Niemals geht Kainz ohne Kamera aus, jedes Motiv, das wert ist, festgehalten zu werden, erfaßt er mit Schnittfilm-Format 8 X 14: die mediterranen Veduten, die Wirkungen von Linienspiel, Licht und Schatten. Manchmal greift er auch zu Pinsel und Farben und aquarelliert mit leichter Hand. (Noch auf dem Sterbebett konstruiert Kainz, der Praktiker, einen Spezialkoffer für sein Malzeug.) Aber von seinen realen Liebhabereien schätzt er die Photographie am höchsten, seit er sich um 1890 dafür zu interessieren begann. Die Amateur-Lichtbildnerei 1st. dermalen noch eine Art künstlerischer Kavaliersport, eine Passion für Eingeweihte, erst viel spätere Epochen, sollten sie zum bequemen raschen Knipsertum demokratisieren.

Mit jener Gründlichkeit und Intensität, die aus dem im Lernerfolg lange vor der Matura verunglückten Gymnasiasten einen beispielhaft universalen Geist und genialen Autodidakten machten, eignet sich Kainz auch die theoretischen Kenntnisse und die Technik des Photographierens an. Schon im Badezimmer seiner Berliner Wohnung richtet er ein fachmännischen

Ansprüchen genügendes Labor ein und experimentiert nach den verschiedenen noch recht umständlichen Methoden. Er beschafft sich die einschlägige Literatur: Werke über Chemie, Physik, Optik und Apparatekunde, dazu Stapel von Fachzeitschriften. Denn er beherrscht die, wie er selbst sagt, viel zu wenig geübte Kunst des Nachschlagens virtuos. Während seiner Wiener Jahre im Döblinger Cottage wird seine kostbare Bibliothek dann noch um Bücher über Astronomie, Botanik und Geologie bereichert. („Mit dem Hammer ein bisserl herumgehen und anschauen.“)

Besonders reizt ihn von Anfang an die Selbstaufnahme, die Platten haben geringe Empfindlichkeit, man braucht lange Belichtungszeiten. Das Eigenkonterfei bietet Kainz eine fast magische Begegnung mit sich selbst, ist dem Unermüdlichen Hilfe beim mimischen Erarbeiten und Vertiefen seiner Rollen. Auch ist das Photo das einzig Bleibende, das als Dokument einen Abglanz der schauspielerischen Leistung bewahrt. So entstehen in den neunziger Jahren zahlreiche Bilder, die an Unmittelbarkeit des Augenblicks, dramatischer Auffassung, Lichtführung und photographischer Technik vieles, was von Berufsphotographen der Zeit geschaffen wurde, bei weitem übertreffen: ein streng gestraffter, ganz auf den Ausdruck konzentrierter Mark Anton etwa, ohne jegliche Kostümfinessen. Im Gegensatz dazu ein auf malerische Wirkung und die Beschwörung erlesener Renaissancefolie abgestimmter Don Carlos wie aus der Welt des jungen Hofmannsthal, oder die überraschend moderne, man könnte sagen telegene, harte Naheinstellung auf den Suder- mannschen „Johannes“.

Zwischendurch kommt der Humor zu seinem Recht, der quecksilbrige Nestroy-Darsteller macht sich hin und wieder auch vor dem Objektiv und mit Bromsilber einen Jux. Spätere Selbstaufnähmen schlagen das Sinfonia-Domestica-Thema eines gereiften Grandseigneurs der Jahrhundertwende an: Kainz, nobel, aristokratisch in seiner feudalen Privatsphäre. Dort porträtiert er auch sehr gekonnt seinen Freund und Kollegen Hermann Nissen in der Maske von Ibsens „John Gabriel Borkman“.

Jede Neuerung auf dem Gebiet der Photographie wird sofort ad notam genommen und, wenn möglich,

gleich erprobt. Kainz kopiert alle seine Negative selbst, im Tageslieht- kopierrahmen, wie es damals Usus ist. Vor jeder Reise kontrolliert er, ob die Apparate einwandfrei funktionieren. Brennend interessiert ihn auch die Kinematographie, leider erlebt er nur den Anbruch des Filmzeitalters. Er war, um ein Zitat aus Lessings „Emilia Galotti abzuwandeln, ein idealer, vollendeter Filmregisseur, ohne je einen Film zu drehen. Wäre es dazu gekommen, er hätte sich gewiß „höchst königlich bewährt“.

Marie Mautner-Kalbeck, heute wohl einer der allerletzten Mensehen, die Kainz persönlich gut kannten, erinnert sich:

„In einer Mansarde hatte er ein Atelier eingerichtet. Nichts entspannte ihn mehr, als sich mit aller Konzentration dem Entwickeln oder Vergrößern seiner Aufnahmen zu widmen oder schöne Kohledrucke herzustellen. Er besaß feinnervige, geschickte Hände, richtige Bastlerhände — und verlor nie die Geduld.

Über einen neuen Dunkelkammerschrank konnte er sich wie ein Kind freuen."

Den stupenden Sprung in die Konzentration beweist Kainz, der Photoamateur, einmal während einer „Fiesco“-Aufführung im Burgtheater. Mit seinem Vetter, dem Klosterneuburger Photographen Adolf Bernhard, steht er in den Kulissen und erörtert angeregt Entwicklungsverfahren für Bromsilberpapier. Da flüstert ihm der Inspizient zu: „Herr Kainz, Ihr Auftritt!“ III. Akt, 2. Szene. Fiesco steht am Fenster und blickt auf Genua hinab. Doch dort, wo sich die „majestätische Stadt“ breitet, sieht der Künstler im Dämmer der Hinterbühne seinen getreuen anverwandten Pollux. Halblaut und ganz sachlich sagt er zu diesem: „Es ist doch besser, wenn du Adurol zum Entwickler nimmst!“ In der nächsten Sekunde aber beginnt er mit voller Stimmstärke, im berühmten tenoralen, damaszenerhaften Kainz- Ton, den Monolog: „Was ist das? — der Mond ist unter — der Morgen kommt feurig aus der See …“

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