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ANFÜHRER DES LEBENS

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Christus ist auferstanden. Einer der mächtigsten Geister des frühen Christentums, der Kirchenvater Ambrosius von Mailand, fügt hinzu: „In Ihm ist die Erde auferstanden, in Ihm ist der Himmel auferstanden, in Ihm ist die Welt auferstanden.“ Das Christentum betrachtet die Auferstehung nicht nur als das private Schicksal Jesu Christi, sondern zugleich als das erste Zeichen dafür, daß in unserer Welt schon alles anders geworden ist in der wahren und entscheidenden Tiefe der Wirklichkeit. Das Osterereignis ist keine alleinstehende und für sich abgegrenzte Erscheinung der Heilsgeschichte, sondern das heiligste Schicksal der ganzen Welt. In Seiner Auferstehung hat Christus über das ganze Universum Sein wirklichkeitschaffendes Wort gesprochen: Es hat begonnen!

Teden Frühling stehen wir staunend vor dem Wunder des neu beginnenden Lebens. Vor Wochen herrschte noch Tod und Erstarrung. Jetzt aber keimt schon neues Leben und treibt einem neuen Wachstum entgegen. Überall vernehmen wir, wie die Natur seufzt und stöhnt. Das „Seufzen und Stöhnen“ der Schöpfung war für Paulus ein Symbol der Verwandlung. Zeichen der Umformung unserer armen, alten und lehmigen Erde in Himmel, in eine Welt der Gottunmittelbarkeit.

Frühling ist gleichzeitig immer Osterzeit. Das ist von tief zeichenhafter Bedeutung. Mit der Auferstehung Christi trat unsere Welt in einen neuen Frühling ein, dessen Erntezeit die herrliche Neugestaltung unseres Kosmos am Ende der Zeit sein wird. Im Augenblick des Todes Christi riß der Vorhang des Tempels von oben bis unten entzwei. Der Vorhang des Aller-heiligsten. Für die jüdische Auffassung war der Vorhang des Tempels von symbolischer Bedeutung. Er bedeutete, ja er war das ganze Universum, das zwischen Gott und dem Menschen fteht. Dieser Vorhang riß beim Tode Christi entzwei, um uns zu zeigen, daß der ganze Kosmos im Augenblick der vollzogenen Erlösungstat Christi sich der Gottheit öffnet. Im Tod. im Niedergang, in der Auferstehung und in der Himmelfahrt (vier Facetten des einzigen Vorganges, des „Durchbruchs“ Christi) hat der Gottessohn die ganze Welt aufgerissen und sie gottdurch-siohtig gemacht. Das Universum ist nicht mehr dasselbe wie vorher. Die Umwandlung der Welt ist schon jetzt eine bereits eingetretene Wirklichkeit. In der „Zwischenzeit“ aber, in der Heilsepoche zwischen der Auferstehung Christi und der Parusie, harrt der Kosmos noch der endgültigen Offenbarung dessen entgegen, was schon in der Tiefe des Weltseins geschehen ist.

Wir können heute, in der Zeit des „evolutionistischen Denkens“, diese geheimnisvolle Ausrichtung der Welt auf die Auferstehung Christi vielleicht noch besser verstehen. Schöpfung heißt für uns nicht ein gewaltsames Hineinstoßen der Dinge in eine fertige Welt, sondern ein aufsteigendes Entsteheniassen der Seienden aus dem Schöße des Seins. In dieser Betrachtung erscheint uns die Evolution als die uns zugewandte Seite des schöpferischen Tuns Gottes. Schöpfung und Evolution sind zwei Aspe,kte ein und derselben Wirklichkeit, die etwa mit dem theologischen Begriff „dauernde und fortgesetzte Schöpfung“ bezeichnet werden kann. Das Weltgesamt stiebt von Anfang an vorwärts und aufwärts. Es ist der gleiche „Evolutionsdrang“, der aus dem Urstoff einen geordneten Kosmos schafft, sich dann nach Jahrmilliarden ins Leben umformt, um endlich im Menschen zum geistigen Bewußtsein zu gelangen. Die ganze Welt ist eine seit je und immer noch in Umwandlung befindliche Einheit des Werdens. Diese Weltentwicklung bekundet eine Vorzugstendenz für das bewußte Leben.

Im auferstandenen Christus erreichte die Welt bereits diesen absoluten Höhepunkt. Mit der Auferstehung ist Christus in eine völlig neue Seinsweise eingetreten. Die Auferstehung bedeutet nicht eine Rückkehr ins bisherige Leben, wie zum Beispiel bei den Wundern der Tdtenerweckung (etwa bei Lazarus, dem Freund des Herrn, der wieder anfing, in der gewohnten und uns bekannten Daseinssphäre zu leben). Bei der Auferstehung Christi geht es vielmehr um etwas Besonderes, das die gewöhnlichen Formen menschlicher Erfahrung sprengt. Die Schranken des Iridischen sind gefallen. Der Herr ist verwandelt. Er lebt anders als früher. Sein Dasein ist von einer neuen Mächtigkeit des Geistes. Neues Sein ist geworden. Der auferstandene Christus ist aber keine losgelöste Geistigkeit, sondern ein vom Geist ganz durchdrungener Leib. Ja dieses Dasein bildet geradezu die Erfüllung der Leiblichkeit. So sehr, daß man sagen möchte, erst der Leib des Auferstandenen, erst der ganz in den Geist und in die Herrlichkeit aufgenommene Leib sei vollendet. Auf diesen Zustand hin wurde die ganze Welt erschaffen. Paulus betont ja ausdrücklich im ersten Kapitel seines Kolosserbriefes: Christus „ist das Bild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene aller Schöpfung. Alles ist durch Ihn und auf Ihn hin erschaffen. Das All hat in Ihm seinen Bestand.“ Christus, der Auferstandene, ist der letzte Sinn des gesamten Kosmos. Alles ist durch Ihn (durch den Logos, die zweite göttliche Person) und auf Ihn hin (auf den memschgewordenen und auferstandenen Sohn Gottes) erschaffen. Wäre also Christus nicht gekommen und hätte in seiner Auferstehung die Materie nicht in die ewige Herrlichkeit eingeführt, so wäre das ganze Werden der Welt im Letzten sinnlos. Wer also die Auferstehung ablehnt, beraubt unsere Welt ihres tiefsten

Der Auferstandene. Bronzerelief von Dinnedahl Telgte

Photo: Christa Pülrl

Sinnes. Die Osterbotschaft ist die lebendigste, für das gesamte Universum gültige Botschaft des Christentums. Christus ist die Spitze, der kosmische Pfeil des Werdens der Welt. Alles strebt von Anfang an auf diesen Höhepunkt, auf die Auferstehung des Sohnes Gottes hin. Wie von einem großen Magnet angezogen, drängt die Welt auf jeder Stufe ihrer Entwicklung auf den auferstandenen Christus zu.

Christus ist für immer eingedrungen in den Bereich der Herrlichkeit, in die Sphäre der Endgültigkeit. Er ist dorthin eingedrungen als der „Anführer des Lebens“. Petrus nennt Ihn so in seiner ersten Predigt. Die Auferstehung ist demnach ein Vorgang, der damals bei der Auferstehung Christi bloß begonnen hat, eine Kraft, die seither wirksam ist. Zwischen der Auferstehung Christi und der endzeitlichen Umwandlung des Alls in eine Stätte der Herrlichkeit liegt kein leerer Raum. Dieser ganze Raum ist das eine Kraftfeld der Auferstehung. Wie wird dieser Zustand der letzten Vollendung sein? Die ganze Welt wird dem auferstandenen und verklärten Leib Christi ähnlich werden. Nicht nur die Menschen werden einen solchen Leib erhalten, sondern auch die gesamte Schöpfung wird zu solcher Leiblichkeit erhoben und verwandelt. Der auferstandene Leib Christi ist eine Verheißung für unsere ganze Weltlichkeit. Mit derselben Kraft, mit der Er Seinen Leib in der Auferstehung verwandelt hat, wird Er allen Stoff zum Sein der Herrlichkeit erheben. Der Apostel Johannes versucht in seinen „Geheimen Offenbarungen“ diese neuerschaffene Welt, den Himmel, unsere Heimat zu beschreiben. Er benützt dazu Bilder, er häuft sie zusammen und vermengt sie miteinander, so daß man den Eindruck hat, daß das, was er zu beschreiben sucht, in Wirklichkeit unaussprechbar ist. Er spricht von Meeren aus Glas, von Straßen aus kristallenem Gold, von Toren, die aus einer einzigen Perle gebildet sind, von Mauern, aufgebaut aus leuchtenden Edelsteinen. Er versucht damit, die geistig neuerschaffene Welt zu beschreiben, in der all dieses Leuchten die mächtige, alles durchwirkende Gegenwart des Auferstandenen bezeichnet. Auf diesen Zustand hin ist alles Werden der Welt angelegt. Der letzte Konvergenzpunkt des Alls ist eine auf den auferstandenen Christus hin transparent gewordene und von Ihm bis zum Rande erfüllte Welt. Deshalb wird Christus von der Kirche — in Anlehnung an ein alttestamentarisches Wort der Vulgata-Übersetzung — „Sehnsucht der ewigen Hügel“, das heißt „Sehnsucht der Schöpfung“, genannt.

Der Auferstandene ist nicht nur die Sehnsucht des Alls, sondern auch der geheimnisvolle Mittelpunkt aller Träume der Menschheit. Der Marxist Ernst Bloch hat uns in seinem unvergleichlichen „Das Prinzip Hoffnung“ gezeigt, wie der Mensch in seinem Sehnen und Trachten stets ins Uferlose zielt. Im Menschen verdichtet sich ja das große Streben des Universums. Deshalb ist sein Leben ein ständiges Träumen nach vorwärts. Dieses Träumen von einem Neuen und Niedagewesenen ist die eigentliche Triebkraft seiner Existenz. Diese Träume stehen im Kraftfeld der Weltbewegung. Sie zeigen an, daß das große Drängen des Universums im Menschen weiterlebt. Der Mensch sehnt sich nach Neuem, und darin ist er ein Mensch Die Sehnsucht des Alls wird in ihm bewußt und spiegelt sich sogar in seinen kleinsten Träumen. In den Märchen, im Phantasieren, im Trieb zu wechseln, in den Erlebnissen der Natur, in der Liebe, in der Musik und im Philosophieren, in der Malerei und in der Dichtung, in der Technik und in den Ent' deckungsfahrten — überall, wo nur der Mensch Mensch liches schafft, träumt er sich in eine schönere Zukunft. In ak seinen Regungen wohnt eine Sehnsucht nach schöpferischer Neu heit. Der Mensch trägt das mächtige Sehnen des Universums, jene Kraft, welche die Evolution beseelte und die Welt zu immer höheren Stufen der Entwicklung hob, in seinem Innern. In uns erschafft sich die Welt in jedem Augenblick neu. Etwas Wunderbares will aus uns emporsteigen. Und bevor dieses Wunderbare eintritt, fühlen wir uns unglücklich, leer, unseres eigentlichen Lebens beraubt. Es besser, schöner haben zu wollen, das schläft nicht ein. Die Menschheit kann ihren Traum von einer vollkommenen Welt nicht vergessen. Die Hoffnung einer heilen Welt beseelt ihr ganzes Leben. Paulus verdichtete all dieses Träumen der Menschheit in einem einzigen Satz: „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und was in keines Menschen Herz gedrungen ist, hat Gott denen bereitet, die Ihn lieben.“ Gott verspricht uns im auferstandenen Christus eine Erfüllung, vor der wir nicht einmal träumen können. Ihm ist unsere Sehnsucht nach unendlicher Vollendung heilig. Uns Christen sind alle Träume der Menschheit wesensverwandt. Wir fühlen uns mit jeglicher Hoffnung solidarisch. Die Sehnsucht nach unendlicher Vollendung hat jaChristus selbst in unser Herz gelegt. Unsere Träume können nie vermessen genug sein, denn sie zielen, wenn auch meist nur unbewußt, auf den auferstandenen Christus hin. Man könnte einmal — in Abwandlung eines Ausspruchs von Karl Rahner — das ganze Christentum auf die Formel bringen: Es ist der Glaube, in dem Gott die Sehnsucht des Menschen derart übertrumpft, daß die wildesten Hoffnungen und die vermessensten Träume der Menschheit als Kleinglaube und fast tierische Stumpfheit erscheinen.

Paulus erfaßt das tiefste Geheimnis unserer christlichen Existenz darin, daß wir, indem wir Christen sind, in den auferstandenen Leib Christi hineinintegriert, mit unserem ganzen Dasein in Christus einverleibt werden. Christus trat durch Seine Auferstehung in jenen Bereich pneumatischer Leiblichkeit ein, in welchem wir mit Ihm leibhaft zusammenwachsen können, ohne unsere Eigenpersönlichket zu verlieren. So kann jene wechselseitige „Inexistenz“ geschehen, in der Paulus das Wesen des christlichen Daseins erblickt: Der auferstandene Christus lebt ganzheitlich in uns, und wir leben ganzheitlich in Ihm. Wir machen den auferstandenen Leib Christi aus. Dies vollzieht sich freilich jetzt noch auf „mystisch-verborgene“ Weise. Daher auch das Wort „mystischer Leib“. Himmel wird nichts anderes sein als die Offenbarung dieses unseres Zuammenwachsens mit dem Auferstandenen. Bis dahin gilt für den Christen: sich immer tiefer in den auferstandenen Christus hinein zu verbergen, immer stiller, verstehender, geduldiger, aufopfernder, demütiger und gütiger zu werden. In diesen Akten der christlichen Reifung vollziehen wir bereits unsere Auferstehung und Himmelfahrt. Wir lassen den Himmel, das heißt das Pieroma Christi, Christus aufgebaut aus Menschenwesen und umgeben von einer verherrlichten Welt, aus der Verborgenheit emporsteigen. Im .Nachvollzug unseres Christseins können wir also der Welt den Himmel schenken, den auferstandenen Herrn. Der Christ ist deshalb der Vermittler der kosmisch-universalen Auferstehung und Himmelfahrt. Das ist das letzte Geheimnis des christlichen Lebens und der christlichen Tat.

Die Auferstehung Christi ist also der letzte Durchbruch des universalen Werdens, der von Anfang an auf Christus hin erschaffenen Evolution und der auf Ihn zustrebenden menschlichen Geschichte. Was geschieht nun? Der Gottessohn hat schon einen Teil der Weltwirklichkeit, Seinen Leib, mit sich gerissen, hinein in die ewige Vollendung. Das erste und vornehmste Wesen, das mit Leib und Seele in die ewige Herrlichkeit hineinging, war Seine heiligste Mutter, Maria. Sie war die erste, die Ihm folgte, aber sie ist nicht die einzige. Wir alle sind dazu berufen, Ihm in die Auferstehung hinein zu folgen. Die ganze Welt wird umgestaltet und erlangt ewigen Bestand. Die ganze Geschichte nach Christi Auferstehung hat also nur den einen Sinn, die Menschheit und mit ihr das Universum in einer einzigen Bewegung der Auferstehung und Himmelfahrt Christus nachströmen zu lassen. Christus ist vorangegangen und wartet nun am Endpunkt, am Punkt Omega, an der Konvergenzstelle der kosmischen Geschichte auf uns. Und wir Christen führen die Welt durch unsere freie Entscheidung für Christus der ewigen Vollendung entgegen. Also stehen wir Christen — und so steht die Kirche — in direkter Achse des universalen Werdens. In uns leben die Kräfte der Umwandlung der Welt.

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