7107424-1995_37_18.jpg
Digital In Arbeit

Arbeiterbildung mit Matisse

Werbung
Werbung
Werbung

Ein innerbetriebliches Bildungsprogramm höchst ambitionier-ter Art ließ der amerikanische Arzt, Chemiker und Geschäftsmann •Albert C. Barnes (1872-1951) seinen Mitarbeitern angedeihen. Für deren Kunsterziehung erwarb er ab 1912 auch Werke der europäischen Moderne, von Cezanne und Matisse bis zum frühen Picasso. Der Autodidakt Barnes besuchte regelmäßig die Pariser Galerien, seine Lieblingsmaler Matisse und Picasso lernte er in ihren Ateliers kennen. Bei den professionellen Kunsthändlern war er bald wegen seines aggressiven Kaufverhaltens gefürchtet, denn er bezahlte für die noch kaum geschätzten Werke bereits hohe Summen.

1922 gründete der Kunstfan die inzwischen legendäre Barnes-Stiftung und baute dafür ein klassizistisches Schlößchen in Merion, Pennsylvania. Hier galten besondere Zutrittsregeln: wohl aus Rache an der professionellen Kunstwelt durften einmal monatlich nur einfache Menschen mit Liebe zur Kunst und Schüler der örtlichen Kunstschule seine Sammlung besuchen. Die von Barnes verachteten Kunstkritiker und Museumsfachleute waren ausgeschlossen, ihnen warf er vor, die neue Kunst erst viel zu spät erkannt zu haben.

So blieb die 2.000 Werke umfassende Sammlung der Stiftung auch noch 40 Jahre nach dem Tod von Barnes 1951 der Kunstwelt weitgehend verschlossen, durften doch weder farbige Reproduktionen angefertigt noch Kunstwerke ausgeliehen werden. Erst die unerläßliche Renovierung des Schlößchens zwang den Stiftungsrat, einer Welttournee der etwa 90 „nie gesehenen Meisterwerke der Rarnes Collection von Cezanne bis Picasso” über Washington, Paris, Tokio, Fort Worth, Toronto und Philadelphia zuzustimmen.

Wegen Verzögerungen bei den Renovierungsarbeiten im Stammhaus der Sammlung können nun nach eineinhalb Millionen Menschen in Paris auch die Besucher des Münchner Hauses der Kunst diese einmalige Chance nutzen. Im Spätherbst sollen die Werke in das Schloß Merion zurückkehren und dieses nie mehr verlassen. Präsentiert werden sie dann wieder wie zuvor bunt gemischt mit Gemälden alter Meister, chinesischen und japanischen Pinselzeichnungen,

Skulpturen ägyptischer, griechischer und römischer Antike, Kunsthandwerk und afrikanischer Plastik.

Noch können sich Kunstfreunde und Münchenbesucher an der legendären Barnes Collection erfreuen: 21 Werke Paul Cezannes, des „Vaters der Moderne”, mit dem frühen „Knaben mit roter Weste”, den „Kartenspielern” und seinem Spätwerk „Die Badenden” sowie 15 Gemälde von Henri Matisse mit dem Höhepunkt „La Joie de Vivre”, der „zweiten Herkulessäule” der Moderne neben Picassos „Demoiselles d' Avignon” an der Spitze. Den dritten Schwerpunkt bilden 16 Werke von Renoir, dem Klassiker des Impressionismus, über den Barnes den Zugang zur Moderne fand. Vom frühen Hauptwerk „Am Ausgang des Konservatoriums” über das Gruppenporträt der „Familie des Künstlers” bis zum „Frühstück” reicht das Spektrum.

Ergänzt wird die Schau durch Werke Van Goghs, Monets, Manets, Toulouse-Lautrecs, Gauguins, Rous-seaus, weitere Picassos (darunter „Der Asket” aus der Blauen Peridoe, aber auch Werke aus der Zeit unmittelbar vor dem Kubismus) und Modiglianis, weiters von Seurat, Braque, De La Fres-naye und Soutine.

Hatte Barnes zu Beginn seiner Sammeltätigkeit auf neue, noch unerkannte Kunst gesetzt, so verweigerte er am Ende doch den endgültigen Schritt zum Kubismus und zur abstrakten Kunst. (München, Haus der Kunst, bis 22. Oktober)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung