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Asien und der Ursprung der altamerikanischen Kulturen

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Der Streit über die Frage, ob die Kulturen der Indianer ganz selbständig entstanden sind oder aber ihre Entstehung asiatischen Einflüssen verdankten, ist beinahe so alt wie die Entdeckung Amerikas. Noch Alexander von Humboldt war so beeindruckt von den Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen der alten Mexikaner, Maya und Peruaner und jenen des Orients, daß er sich für die Annahme eines Zusammenhanges aussprach. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aber trat unter dem Einfluß gewisser, damals herrschender wissenschaftlicher Richtungen eine Wendung ein. Man nahm an, daß die Indianer, nachdem ihre Vorfahren in ferner Vorzeit als primitive Jäger von Sibirien über die Beringstraße in den amerikanischen Kontinent eingewandert waren, dort Im Lauf der Jahrtausende, ohne jede Beeinflussung von außen, ihre Kulturen weiter entwickelt und schließlich die glänzenden Hochkulturen Mexikos, Mittelamerikas und Perus geschaffen hätten. Diese Annahme blieb allerdings die Erklärung dafür schuldig, warum unzählige indianische Werkzeuge, Waffen, Musikdnstrumente, technische Methoden, Kunststile, Bauformen, gesellschaftliche und politische Einrichtungen, Mythen und Bräuche jenen Asiens und Ozeaniens bis in Einzelheiten gleichen. Trotzdem hatte die Lehre von der Selbständigkeit der Indianerkulturen so festen Fuß gefaßt, daß es bis vor kurzem, besonders in Amerika, geradezu als wissenschaftliche Ketzerei galt, auch nur die Möglichkeit altweltlicher Einflüsse zuzugeben.

Da faßte im Frühjahr 1949 die völkerkundliche Abteilung des Naturhistorischen Museums in New York den Entschluß, anläßlich des gerade bevorstehenden Internationalen Amerikanistenkongresses eine Ausstellung zu veranstalten, die das Bestehen alter Kulturbeziehungen .zwischen Asien, Ozeanien und Amerika nachweisen und die Art dieser Beziehungen veranschaulichen sollte. Das Museum trat damit in mutiger Weise für einen Gedanken ein, der damals, vor einem Jahr, noch von der übergroßen Mehrheit der amerikanischen und auch der Mehrzahl der europäischen Gelehrten abgelehnt wurde. Mit der Vorbereitung und Durchführung der Ausstellung wurden der Verfasser, wegen seiner Beschäftigung mit asiatischen und ozeanischen Kulturen, und zwei hervorragende Vertreter der amerikanischen Altertumskunde, Gordon Ekholm und Ju-n i u s B i r d, betraut.

Die Ergebnisse unserer gemeinsamen Arbeit übertrafen bei weitem auch unsere kühnsten Erwartungen. Wir fanden, daß dieselben hochspezialisierten Formen von Keulen, Steinbeilen, Angelhaken, Werkzeugen zur Rindenstoffbereitung, Musikinstrumenten usw. sowohl in Ozeanien wie in Amerika vorkommen. Dieselben Arten des Blasrohrs, manche einfach, andere kunstvoll aus mehreren Rohren zusammengesetzt, werden auf der malaiischen Halbinsel und den Inseln Indonesiens und auf der anderen Seite des Ozeans in den Urwäldern Südamerikas zur Jagd verwendet. Ja, In manchen Fällen sind sogar die Muster, mit denen die Oberfläche des Rohrs verziert ist, hier und dort die gleichen, und hier wie dort mischt man zerstoßene Ameisen in das Pflanzengift, mit dem die Blasrohrpfeile bestrichen werden. Webstühle von so komplizierter Konstruktion und derart raffinierte Webe- und Färbetechniken, daß man unmöglich zweimalige selbständige Erfindungen annehmen kann, finden sich in gleicher Weise in Südostasden und Amerika.

Die Kunst der Indianerstämme der amerikanischen Nordwestküste, in Bri-tisch-Kolumbien und im südlichen Alaska, ist berühmt wegen ihrer großartigen Totempfähle und ihrer prachtvollen Holz-und Knochenschnitzereien. Wir konnten feststellen, daß sie sowohl hinsichtlich ihrer charakteristischen Stilgesetze wie auch in einer sehr großen Zahl einzelner Motive mit Werken altchinesischer Kunst aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. und mit neueren Denkmälern von den Inseln Indonesiens und Melanesiens übereinstimmt. Alles deutet darauf hin, daß diese Kunst von einem Stil abgeleitet ist, der Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung im Gebiet des heutigen China geblüht und sich von dort einerseits nach Amerika, andererseits nach Indonesien und den Inseln der Südsee verbreitet hat.

Diese und viele andere Tatsachen, zu zahlreich, als daß sie hier angeführt werden könnten, beweisen, daß im Lauf der Jahrtausende immer wieder Menschengruppen aus verschiedenen Gegenden Asiens und Ozeaniens den Ozean überquert und die Kulturen der Indianer entscheidend beeinflußt haben.

Unsere größten Überraschungen erlebten wir jedoch hinsichtlich der alten Hochkulturen Mexikos, Zentral- und Südamerikas. Es erwies sich, daß manche Kunststile von Mexiko, Honduras und Peru dem Kunststil, der in China von etwa 650 bis 200 v. Chr. herrschte, so ähnlich sind, daß man sie geradezu als koloniale Abarten des letzteren betrachten kann. Die Unterschiede sind tatsächlich nicht größer als etwa die zwischen italienischer, französischer und deutscher Renaissance. Sogar der chinesische Drache mit der gerade für jene Periode charakteristischen Flügelform erscheint sowohl in Mexiko wie in Peru.

Ebenso schlagend sind die Ubereinstimmungen zwischen den Skulpturen und Bauwerken der alten Mexikaner und Maya und jenen der brahmanischen und buddhistischen Völker Indiens und Südostasiens. Wir konnten dafür zahlreiche Beispiele in der New-Yorker Ausstellung zeigen.

Die Ubereinstimmungen beschränken sich jedoch keineswegs auf Kunst und Architektur. Wir finden sie auch in Riten und Bräuchen, in den Einrichtungen des Staates und des Königshofes, in Mythen und Göttergestalten, in den Vorstellungen vom Weltgebäude, in der Astrologie und in den sehr komplizierten Kalendersystemen. Um auch hier wieder nur ein Beispiel für viele anzuführen: sowohl in Asien wie bei den Kulturvölkern Amerikas wurden Sonnenschirm, Fächer und Sänfte als Würdezeichen des Königs verwendet.

Schon vor siebzig Jahren hat der große englische Ethnolog Edward Tylor, der in vielem seiner Zeit voraus war, darauf hingewiesen, daß das alte mexikanische Brettspiel Patolli mit dem PachisispieV Indiens identisch ist. Er nahm auf Grund dessen das einstige Bestehen von Beziehungen zwischen Asien und Amerika an. Die Richtigkeit dieser Vermutung wurde nun vollauf bestätigt.

Welcher Art waren nun diese Beziehungen zwischen den alten Kulturvölkern Asiens und Amerikas? Ganz bestimmt kann es sich nicht um bloß zufällige Berührungen gehandelt haben, etwa durch Schiffe, die durch Stürme und Meeresströmungen nach Amerika verschlagen worden waren. Architekten, Bildhauer, Astrologen und Staatskundige (was in diesem Fall wohl Br.-.hmanen heißt) findet man normalerweise nicht unter den Matrosen und Kaufleviten, aus denen die Besatzungen und Passagiere solcher zufällig verschlagener Schiffe bestanden hätten. Die Art der Ubereinstimmungen zwischen den beiderseitigen Kulturen zwingt uns deshalb zu der Schlußfolgerung, daß einmal ein mehr oder weniger regelmäßiger Schiffsverkehr von Asien nach Amerika und wieder x u r 11 c k nach Asien bestanden hat. Darüber, daß Schiffbau und Schiffahrt bei Chinesen und Indern genügend hoch entwickelt waren, um Fahrten über den Großen Ozean zu ermöglichen, kann wohl kein Zweifel bestehen. Wir wissen aus den Berichten früher buddhistischer Pilger, daß die alten Völker Süd- und Ostasiens Schiffe besaßen, die größer waren als die des Columbus. Wir wissen aus denselben Quellen auch, daß die alten asiatischen Seeleute keineswegs nur den Küsten entlang segelten, sondern daß sie sich nicht scheuten, den Indischen Ozean zu überqueren. Der Pazifische Ozean konnte der Schiffahrt keine größeren Schwierigkeiten bereiten als der Indische.

Die chinesischen Verbindungen mit Mexiko und Zentralamerika dürften spätestens im 4. Jahrhundert v. Chr. begonnen und bis 200 oder 300 n. Chr. angedauert haben. Vom 2. oder 3. Jahrhundert n. Chr. an scheinen sie von den Völkern Hinterindiens und Indonesiens fortgesetzt worden zu sein, die inzwischen zum Hinduismus und Buddhismus bekehrt worden waren und die indische Kultur übernommen hatten. Da in der Architektur der Maya auf der Halbinsel Yukatan im 12. Jahrhundert gewisse Eigentümlichkeiten erscheinen, die auch in Kambodscha erst dem 11. und 12. Jahrhundert angehören, dürften diese Verbindungen bis etwa 1200 n. Chr. aufrechterhalten worden sein. Uberhaupt scheint nach dem

Ausscheiden Chinas Kambodscha das wichtigste Zentrum des asiatischen Verkehrs mit Amerika gewesen zu sein. Es ist darum wahrscheinlich, daß das Ende dieses Verkehr durch den politischen Zusammenbruch des alten kambodschanischen Reiches um 1220 n. Chr. herbeigeführt worden ist.

Das Zeugnis der in der Ausstellung des New-Yorker Museums nebeneinander gestellten altweltlichen und amerikanischen Gegenstände und Bilder wirkte stärker, als es je das gesprochene oder geschriebene Wort vermocht hätte. Hier waren Tatsachen vorgelegt, deren Beweiskraft nicht weggeleugnet werden konnte. Die Folge war denn auch, daß unter den Teilnehmern des Internationalen Amerikanistenkongresses ein völliger Umschwung hinsichtlich der Beurteilung des Ursprungs der amerikanischen Kulturen eintrat.

Vielleicht das wichtigste Ergebnis der neuen Erkenntnisse ist die Feststellung der Tatsache, daß alle hohen Kulturen in einem tieferen historischen Sinn eine Einheit bilden. Es zeigt sich nun, daß sie alle, trotz all ihrer Verschiedenheiten, letzten Endes miteinander verwandt sind. Sie alle sind Zweige eines Baumes, der im 4. vorchristlichen Jahrtausend im nahen Orient aufwuchs und seine Äste im Lauf der Jahrtausende über Europa, Indien, Ostasien und endlich auch Amerika ausgebreitet hat.

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