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Zur Ausstellung "Armut" im Historischen Museum der Stadt Wien, in der Virgilkapelle und in Schuberts Sterbehaus.

Ohne Mittel, ohne Heimat, ohne Würde, ohne Aussicht, ohne Schonung, ohne Scham und ohne Obdach werden normale Menschen wie du und ich zu armen Menschen. Mittellos, denn hast du was, so bist du was, hast du nichts, dann bist du nichts; heimatlos, denn "heimisch in der Welt wird man nur durch Arbeit. Wer nicht arbeitet, ist heimatlos" (Berthold Auerbach); würdelos, denn Armut ist noch schlimmer als begraben sein; aussichtslos, denn "noch viel demoralisierender als die Armut ist die Unsicherheit der Lebensstellung, die Notwendigkeit, vom Lohn aus der Hand in den Mund zu leben (Friedrich Engels); schonungslos, denn das "strengste Recht ist oft die Ungerechtigkeit" (Terenz); schamlos, denn Armut macht schamlos und obdachlos, denn die Wahrheit ist immer obdachlos.

Diese siebenfach gekennzeichnete Armut führt Menschen unausweichlich in Isolation und so unterschiedlich die konkreten Formen der Armut auch auftreten mögen und welch unterschiedliche Ursachen auch zusammenspielen mögen, das stärkste Verbindungsband knüpft in dieser Unübersichtlichkeit die Gleichgültigkeit.

Blick auf die Armut

Einen ambitionierten und gelungenen Versuch, diese Isolation aufzubrechen und der Gleichgültigkeit die kalte Schulter zu zeigen, präsentiert derzeit das Historische Museum der Stadt Wien mit den Außenstellen Virgilkapelle und Schuberts Sterbehaus in der Ausstellung "Armut". Auf dem Grundmuster eines liegenden Menschen entwickelt sich die Schau entlang der sieben Themenkreise und beschreibt den Blick auf die Armut der letzten 500 Jahre anhand von Grafik, Malerei, Skulptur, Fotografie und historischen Plakaten. Man sieht der Lösung an, dass das Ausstellungsteam um sechs "Sandler" ergänzt wurde, die nicht nur ihre spezifische Sichtweise engagiert einbrachten, sondern auch zu Recherchen vor Ort einluden. Ausstellungsdesigner Erich Woschitz schreibt dazu: "Eine Nachtfahrt zu den Parkbänken, Brücken und Kartonbehausungen der Armen unserer Gesellschaft eröffnete meinen Mitarbeitern und mir erschütternde und nicht literarisch verklärte oder geschönte Einblicke in das für uns Befremdliche dieser Menschen."

Gemeinsam wurde eine Sprache der Armut erfunden, ein Wortschatz entwickelt, Sprachbilder wie "der am Boden liegende Mensch", "am Rande der Gesellschaft", "die hohlen Augen" oder die "Mülltonne als Goldgrube" fanden Eingang in die Gestaltung der einzelnen Räume. Die Verschränkung von Original und Alltagsgegenstand in einer Vitrine gibt dem ausgewählten Original eine Umgebung zurück, die die Spannung der einzelnen Themen durch einen relevanten Kontext steigert. Ergänzt wird die Ausstellung durch Aufführungen des Musiktheaters "Bill oder Die 7 Aspekte der Armut" des Neuen Wiener MusikTheaters.

Im Themenkreis "Heimat-Los" illustriert der zu Unrecht unbekannt gebliebene Klemens Brosch in seiner Tuschfederzeichnung "Verhungerte Flüchtlinge" aus dem Jahr 1916 die kriegsbedingte Heimatlosigkeit. Brosch kommt ohne große Gräuelszene aus, um den Irrsinn des Krieges anzuprangern. Es genügt nicht, dass die Flüchtlinge offensichtlich vom Weg abgekommen, abgestürzt und in der Kloake des Abwasserkanals gelandet sind - ihr Karren ist buchstäblich verfahren. Der selbstherrliche Kriegsherr fährt in seinem Offizierswagen vorbei, der durch die Reifen aufspritzende Schlamm gibt den im Graben liegenden Flüchtlingen noch eine Extraportion drauf.

Die Sympathie des Zeichners liegt, aufgrund der gewählten Perspektive deutliche erkennbar, bei den Leuten im Graben, der Kontrast zwischen Ziehwägelchen und motorisiertem Wagen wird gesteigert, die kaprizierte Handhaltung des Offiziers mit dem Luxusgut Zigarette tut ihr Übriges.

Erschütternde Darstellung

Für den Themenkreis "Würde-Los" steuert Picasso seine Radierung "Das karge Mahl" von 1904 bei. Der blinde Mann und seine Begleiterin, wohl absinthabhängig, finden im frostigen Großstadtklima zu einer zerbrechlichen Zweisamkeit. Im scharfkantigen Profil, den gliederpuppenartigen Armen und den feingliedrigen Fingern, die wie dürre Äste wirken, zeichnet Picasso eine realistische Übertreibung von Armut, frei nach dem Motto von Breton: "Schönheit muss erschüttern!"

Im Themenkreis "Schonungs-Los" ist Käthe Kollwitz mit einer Radierung aus ihrem Zyklus Bauernaufstand vertreten. Kollwitz besaß im Berliner Armenviertel ihr Atelier und verschrieb ihr Werk zu einem großen Teil den Menschen auf der sozialen Schattenseite. Nach dem von Gerhart Hauptmann angeregten Zyklus "Weberaufstand" folgten noch weitere, der "Bauernkrieg", "Krieg" und "Proletariat".

Als Charakteristikum stellt Kollwitz dabei jeweils eine Frau als wesentliche Gestalt in das Geschehen, wie hier als aktive Kämpferin. Wobei man in der formalen Gegenüberstellung auf diesem Blatt eher den Eindruck hat, als sei die Frau hier in der Position der Generalin, die den vorwärtsstürmenden Männern den Einsatzbefehl erteilt und mit den ins Leere greifenden Händen andeutet, worum es eigentlich geht: um gefüllte Hände.

Grundsätzliche Erkenntnis

Natürlich ließen sich neben diesen Arbeiten auch noch andere von Dürer, Rembrandt, Hrdlicka, Kubin, Fronius, Waldmüller, Schwind, Hauer oder Ringel hervorheben, ganz zu schweigen von den Zeitdokumenten in Form von Plakaten oder Relikten aus den Wunderkammern.

Daneben bleibt aber auch eine andere grundsätzliche Erfahrung: Jede und jeder, die durch diese Ausstellung gehen und sich in ihrem eigenen Leben jenseits vom siebenfachen Los der Gleichgültigkeit vorfinden, wissen dann, dass sie auf alle Fälle das große Los gezogen haben.

Bis 2. Februar 2003

Historisches Museum der Stadt Wien, 1040 Wien, Karlsplatz

Dienstag bis Sonntag, 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr

Armut. Katalog zur 298. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien, Hg. von Hannes Etzelsdorfer, Wien 2002

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