Auf den Spuren der Sklavenhändler

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Stumm hütet Quidah, ein Nest an der Küste des westafrikanischen Staates Benin, seine grausame Vergangenheit

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Stumm hütet Quidah, ein Nest an der Küste des westafrikanischen Staates Benin, seine grausame Vergangenheit

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Den 500. Jahrestag seiner Entdeckung durch die Konquistadoren feiert heuer das größte Land Südamerikas, dessen Geschichte - eine endlose Kette von blutigen Eroberungen, Unterdrückung, Massenelend und Sklaverei - erdrückend eng mit dem "schwarzen Kontinent" verbunden ist: Brasilien. Schon ein flüchtiger Blick auf seine überwiegend dunkelhäutige Bevölkerung lässt erahnen, wie nachhaltig diese Welt der Samba-Rhythmen und bunten Masken durch Afrika geprägt wurde. Wer in der Nacht eines 10. Jänner am Strand von Rio spaziert, wähnt sich ob der flackernden Kerzenopfer, ekstatischen Tänze und beschwörenden Gesänge wohl eher irgendwo zwischen Dakkar und Lagos als im größten katholischen Land der Erde. Tatsächlich aber sind die im Katholizismus verpackten Voodoo-Kulte in Brasilien so tief verwurzelt wie in Haiti, New Orleans oder - Westafrika.

Dass sich die weltweit 60 Millionen Voodoo-Anhänger besonders in diesen genannten Regionen finden, ist kein Zufall. Vielmehr waren die dortigen Herren über gigantische Zuckerrohrplantagen auch die wichtigsten "Kunden" der afrikanischen Sklavenhändler: 90 Prozent der Bevölkerung Haitis entstammen afrikanischem Boden, und Brasilien importierte mit geschätzten fünf Millionen die meisten der insgesamt zwölf Millionen in die "Neue Welt" verschleppten Afrikaner. Gut 40 Prozent der heute lebenden Brasilianer hatten afrikanische Sklaven als Vorfahren, von denen die meisten aus Ouidah kamen, dem "Mekka des Voodoo".

Auf den lehmigen Straßen rosten verbeulte Fahrzeugkadaver im Schatten von Kokospalmen. Versteckt hinter verwinkelten Gassen erinnern die Ruinen verspielter Fassaden nur noch entfernt an die einst prächtigen portugiesischen Herrenhäuser. Stumm hütet das unscheinbare Nest Ouidah an der Küste des westafrikanischen Staates Benin seine grausame Vergangenheit. Bis 1890 wurden monatlich Tausende Menschen in Ketten nach Westen verschifft.

Erst 1992 hatte die UNESCO eine Gedenkstätte errichtet. Diese "Sklavenroute" beginnt am "Baum des Vergessens", von portugiesischen Sklavenhändlern 1727 gepflanzt: Ihn mußten die Elenden siebenmal umrunden, um ihre eigene Vergangenheit symbolisch abzustreifen. Die fünf schwül-heißen Kilometer zum einstigen Hafen sind nunmehr gesäumt von lebensgroßen, bunten Zementstatuen, Machtzeichen von Benins eigentlichen Sklavenhäschern, den Königen von Dahomey. Die letzten Schritte ihrer Opfer führten durch das "Tor ohne Wiederkehr" - heute ein abstraktes Kunstwerk - in eine ungewisse Zukunft: Kaum 50 Prozent der "Ware" erreichte lebend ihr Bestimmungsland. Mancher Gefangene stürzte sich in seiner Verzweiflung ins haiverseuchte Meer, viele gingen unter Deck elend zugrunde.

Francisco Felix da Souza ist das Synonym für den benino-brasilianischen Sklavenhandel. Der portugiesische Abenteurer aus Bahia landete 1788 als Händler an Benins Küste, die als das "Grab des Weißen Mannes" verrufen war: nur wenige Europäer pflegten die hiesigen Verhältnisse - Malaria, Gelbfieber und das schlagkräftige Amazonenheer des wahnsinnigen Königs von Dahomey - zu überleben. So fand sich der Portugiese auch bald als potentielles Menschenopfer im Gefängnis des blutrünstigen Monarchen wieder, konnte aber mit Hilfe des Königsbruders Ghezo fliehen. Für dessen nachfolgende Unterstützung beim Sturz des Königs erhielt der Abenteurer den Posten des "Vizekönigs von Ouidah" sowie das Monopol über den aufstrebenden Sklavenhandel. Dabei tauschte König Ghezo eroberte Sklaven gegen europäische Gewehre, die der Expansion seines Reiches - und der "Ernte" weiterer Sklaven dienten. Davon wiederum konnte Brasilien, wo Kaffee und Zucker boomten, gar nicht genug bekommen ...

"Dom Francisco" erwarb sich ein Vermögen - und den Ruf eines großen Humanisten. Noch heute ist der über Westafrika verstreute Clan der da Souzas höchst angesehen und zählt zur Elite des Benin. Das schillernde Schicksal des "Viceroy of Ouidah" hatte übrigens der Reiseschriftsteller Bruce Chatwin in seinem gleichnamigen Roman nachgezeichnet. Verfilmt wurde die Story in den Achtzigern von Werner Herzog unter dem Titel "Cobra Verde" mit Klaus Kinski in der Titelrolle.

Im 20.000-Seelenort Ouidah allerdings scheint sich kaum jemand für Sklaverei oder Dom Francisco zu interessieren. Die Leute haben andere Sorgen. Die mühsame Küstenfischerei gibt nichts mehr her, das Palmöl ist am Weltmarkt kaum mehr gefragt - und Tourismus ist fast noch ein Fremdwort. Selbst im alten portugiesischen Fort, dem einstigen Verwaltungszentrum des Sklavenhandels, erinnern nur wenige Bilder an den "Humanisten Dom Francisco". Im Mittelpunkt des Sklavenmuseums steht vielmehr die Dokumentation der westafrikanischen Kultur, wie sie von den deportierten Afrikanern in der Neuen Welt verbreitet - und nach ihrer Befreiung ab 1888 nach Afrika reimportiert wurde.

Zahlreiche afro-brasilianische Kulturzentren finden sich im heutigen Brasilien. Überleben konnten solche Traditionen allerdings nur in katholischen Ländern, weil dort - im Gegensatz zu den protestantisch-amerikanischen Sklavendestinationen - die Sklaven gleicher Herkunft nicht streng voneinander getrennt gehalten wurden. So blieben die Stammesidentitäten der jeweiligen Regionen erhalten und damit auch Elemente wie bunte Karnevalsmasken, heiße Rhythmen und Voodoo.

Gleich gegenüber der bunten Kathedrale von Ouidah, 1861 von französischen Missionaren errichtet, steht der uralte "Pythontempel". Hier residiert Daagbo Hounon, seines Zeichens "Oberster Chef der Beniner Vodoun-Gemeinde", also gut 70 Prozent der Bevölkerung. Der 75jährige Würdenträger in bunter Robe und Strohhut gilt seinen Anhängern als eine Art "Papst". An der irdenen Mauer des Tempels hängt - zwischen den Portraits seiner Vorgänger seit 1452 - eine Anerkennungsurkunde von der Voodoo-Gemeinde New Orleans, die Houna letztes Jahr besucht hatte. In jüngeren Jahren war er auch oft nach Bahia und Kuba eingeladen.

Als seine Hauptaufgabe betrachtet der einstige Staatsbeamte die Korrektur der gruseligen Hollywood-Vorstellungen des Voodootums, das wenig mit durchbohrten Puppen zur Beseitigung von bösen Nachbarn zu tun hat. Wenn auch Elemente der schwarzen Magie existieren, so vermittelt diese Religion vor allem Hoffnung und Schutz. In den von Europäern oberflächlich als exotisch empfundenen Kulten wird Kontakt mit einem Geist aufgenommen und unter Opfergaben um seinen Beistand gebeten: menschliche Appelle an eine transzendente Kraft bei Geburt, Hochzeit, Krankheit und Tod ...

Auch im Voodoo wird eine höchste Gottheit verehrt; die angerufenen Geister von legendären Menschen ähneln den christlichen Heiligen; selbst der Glaube an ein Leben nach dem Tode, an böse Mächte gleich jenen des Teufels wie auch an einen "Schutzengel" zum persönlichen Geleit der menschlichen Seele sind Voodoo-typisch; die rituellen Tieropfer erinnern an das biblische Lamm, der Genuß von Fleisch und Blut an das Letzte Abendmahl. Und was die Heiligtümer angeht, so deuten auch die Altäre mit ihren Kerzen und christlichen Heiligenbilder auf die gegenseitige Beeinflussung christlicher und Voodoo-Elemente in den Regionen des Sklavenhandels.

18 Jahre lang war Voodoo unter dem Regime des marxistischen Staatschefs Mathieu Kerekou verboten. Sein katholischer Nachfolger, der 1991 frei gewählte Präsident Nicephore Soglo, versprach sich vom Zauber der Voodoo-Anhänger eine weitere Amtszeit, weshalb er im Vorfeld der zweiten Präsidentschaftswahlen von 1996 Voodoo zur anerkannten Staatsreligion erklärte und den 10. Jänner als nationalen Voodoo-Tag ausrief. Wenn er auch seinem Herausforderer Kerekou unterlag, so bekennt sich seither dennoch das Gros der Beniner sowohl zu Voodoo als auch zum Christentum. Dabei haben die Menschen in Westafrika - wie auch in Übersee - kein Problem mit den scheinbaren Ungereimtheiten zwischen diesen Religionen, etwa mit Tierfetischen: So finden sich von Affenschädeln bis zu getrockneten Kröten auf den Marktständen der Fetischeure alles, um Wehwehchen und böse Geister fernzuhalten. Bleibt noch ein kleiner Unterschied, der vielleicht auch die hohe Popularität des Voodoo bei den schwarzen Christen erklärt: seine egalitäre Struktur! Das Voodoo-Priesteramt ist nämlich auch den Frauen offen ...

Der Autor erforschte 1999/2000 sechs Monate lang in Westafrika die dortigen Möglichkeiten einer nachhaltigen Tourismusentwicklung.

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