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Auf der 28. Biennale in Venedig

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Wie eine Fata Morgana hebt sich Venedig aus den Fluten. Eei der Fahrt durch die Kanäle reflektieren die Lichter, und es steigt das Bild der Gemälde auf von Tizian und Tinto-retto, Giorgione und Bellini, Veronese und Tiepolo, Canaletto und Guardi, unter denen Venedig zu einer Weltstadt der Kunst aufstieg. Nun ist sie zur Zeit der Biennale wieder Stadt der Weltkunst. Zur 28. Biennale in Venedig — die erste fand 1895 statt und vereinte die Künstler aus 15 Nationen — fanden sich 34 Staaten ein, und der Rekordbeteiligung entspricht die Massenhaftigkeit von nahezu 5000 ausgestellten Werken. Die ausgedehnten Giar-dini Pubblici mit ihrem großen Ausstellungbau und den zahlreichen nationalen Pavillons sind fast schon zu eng geworden: Japan erstellte einen neuen Pavillon, einen auf Pfeilern stehenden Betonkubus; Finnland kam mit einem vorfabrizierten Holzbau. Nach 22jähri-ger Abwesenheit fanden sich auch die Russen wieder ein (siehe weiter unten).

Erdrückt im Osten die Staatskunst, so beklemmt der falsche Gebrauch der künstlerischen Freiheit im Westen. Erdrückend wirkt sich das bei den mit mehr als 300 Künstlern vertretenen Italienern aus, die einen Großteil der Ausstellungsfläche belegt haben. Neben den Abstrakten breiten sich die Eruptiv-Explosiven aus, die Tachisten und Konstruktivisten, teils zart verschwommen, teils brutal-ordinär, sensationell, zerfallend und ins Nichts auflösend. Ins Lächerliche gleitet bereits Alberto Burri mit seinem Oelbild Schwarz-Weiß, wo außer der die Fläche überstreichenden Farbe noch der Ucberrest einer Tasche mit Reißverschluß und zerrissene Schnürriemen aufgenäht wurden. Gräßlich wirkt Giorgio de Chirico, grotesk die Schrottplastiker, die Eisenstabfragmente und Metallstücke zusammenschmieden.

Aus dieser Masse fragwürdiger Kunstprodukte heben sich zahlreiche junge italienische Maler und Zeichner, die Inspiration und handwerkliches Können vereinen, darunter der Preisträger Afro mit seinen sensiblen ungegenständlichen Bildern und der großartige Bildhauer Giacomo Manzü. Bedeutend sind die Gedächtnisausstellungen für den Impressionisten Arturo Tosi (1871 bis 1956) und des Landschafters Filipp de Pisis (1896 bis 1956). Ueberhaupt sind die retrospektiven Schwerpunkte der 28. Biennale, so insbesondere die 76 Bilder von Eugene Delacroix in dem Napoleonischen Trakt der Prokurazien; leider sind sie sehr schlecht gehängt. Im vorwiegend italienischen Hauptpavillon ist ein Saal dem großen Anreger Juan Gris (1887 bis 1927) und einer dem Begründer des Konstruktivismus Piet Mondrian (1872 bis 1944) gewidmet.

Besonnte Vergangenheit winkt entgegen im Werk von Rik Wouters (1882 bis 1916) im belgischen Pavillon, das Erbe Mondrians tritt im holländischen Haus entgegen, wo besonders der 80jährige B. van der Leck zu erwähnen ist. Hervorragende Landschaften, das starke Apostelbild von Joaquin Vaquero Turcios und der Picasso-Freund Pablo Gargallo (1881 bis 1934) bei den Spaniern, die etwas an Paula Modersohn-Becker und Edvard Münch gemahnende zurückhaltende Finnin Helene Shjerfbeck (1862 bis 1946). Die Schweiz ist diesmal ganz der ungegenständlichen Plastik hingegeben. Bei den Japanern ragt der Holzschnittkünstler Shiko Munakata hervor. Emil Nolde (1867 bis 1956) ist das Erlebnis der an-sonst abfallenden deutschen Schau. Dem Eisen und Beton zu kühnen Formen zusammenzwingenden Engländer Lynn Chadwick fiel der große Plastikpreis zu, dem 81jährigen farbigen, feinen Jacques Villon der große Malerpreis. Im französischen Pavillon weiter der vornehme Duno-yer de Segonzac und der erfolgreiche 28jährige Neorealist Bernard Büffet. Einen Querschnitt durch alle Richtungen amerikanischer Malerei bietet die lebendige Ausstellung „American artist paints the city“.

Im österreichischen Pavillon wirkungsvoll dargeboten: der Expressionist Richard Gerstl (1883 bis 1908), der ausdrucksstarke Wilhelm Thöny (1888 bis 1949) und der gebürtige Karlsbader Josef Dobrowsky; Slavi S o u c e k und Hans Stauda c.her fallen ab; starke persönliche Eigenart zeigen die Plastiker Avramidis, Bertoni, Hof-lehner, Leinfellner und P i 11 h o f e r.

Die abstrakte Kunst ist auf dieser Biennale etwas zurückgetreten, abgelöst teilvyeise von radikalem Nihilismus und' rückläufigem Neorealismus — wobei dieser im Osten etwas andere Züge als im Westen hat —, daneben zeigt' sich aber in zunehmendem Maße, daß sich aus dem langen Ringen der künstlerischen Richtungen mit ihren zuweilen neuen bildnerischen

Formen und mit ihren Irrungen ein neues Bild der sichtbaren Welt formt. Fragwürdig ist, ob die Auswahl der Juroren wirklich die repräsentativen Künstler herausgegriffen hat. Ohne Verlust für die Gesamtbetrachtung der Weltkunst hätten wohl zwei Fünftel der ausgestellten Werke vermißt werden können. Hingewiesen sei darauf, daß eine nicht unbeträchtliche Zahl von religiösen Werken ausgestellt ist, und es wäre durchaus angebracht, diese einmal mit zu den Themen der Biennale zu stellen.

Regen und Sonnenschein wechselten in diesen Junitagen wie sonst im April. Bei der Ausfährt von Venedig hoben sich in der klaren Luft nach dem Regenguß die Konturen der Euganischen Hügel, Monte Berici und der Alpen vom blauen Himmel. Die Schnitter banden die Weizengarben, und fruchtbares Grün breitete sieh über die weite venezianische Ebene...

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