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Auf der Erzsuche

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Wer auf den felsigen Höhen der Hohen Tauern mit den Augen des Naturforschers wandert, wird überall Spuren bergbaulicher Tätigkeit entdecken, die sidi bis in das frühe Mittelalter, ja bis in die Römerzeit erstreckt hat und den goldführenden Erzgängen nachgegangen ist. Nicht nur die Erzklüfte, sondern auch die Mineral- und Kristallklüfte wurden seit alter Zeit von Steinkundigen und Sammlern aufgesucht. Die in unserem alpinen Sagenschatz häufig genannten „Venedigermännlein“, die „Walischen“, waren solche Erz- und Mineralkundige, die aus Welschland auf die Suche nach edlem Gestein ausgingen und auf ihren Wanderungen über die Alpen bis weit nach Norden in das schlesische Riesengebirge vordrangen. Dieser reale Hintergrund der Venediger Sagen ist ans auf Grund eingehender Forschungen — ich nenne hier nur den schlesi-schen SagenforscheT Will Erich Peuckert — erschlossen worden.

Diese Wabsehen oder Walen haben sich nicht nur auf die Goldsuche gut verstanden — sie kannten genau die an der Tagesober-fl che sichtbaren Anzeichen der Erzausbisse —, sondern waren auch Meister in der Metallscheidekunst und sind hierin verwandt mit den mittelalterlichen Alchimisten, ja sie sind mit diesen zum Teil ident. So verstanden sie die Saigerung des Silbers aus Kupfer, ferner die Scheidung des Goldes aus dem Silber und verschmolzen im Erzgebirge silber- und zinnhaltige Schlacken. Ferner suchten sie im Riesengebirge Edel- und Halbedelsteine und benützten kobalthaltige Erze zur Färbung von Glasflüssen. Bei der Gold-suche waren ihre Bestrebungen außer der Auffindung neuer Erzadern auch besonders auf die Auffindung und Ausbeutung der Goldseifen in den Flüssen und Bächen der goldführenden Gebirge gerichtet.

Neben dem geheimnisvollen „Bergspiegel“, in dem sie unterirdische Schatzkammern und Hohlräume mit Kristallen — die „Kristallkeller“ der Alpen — sofort sehen konnten, fehlte natürlich auch die Wünschelrute nicht. Fast in allen Venediger Sagen steckt ein realer Kern und wir lächeln heute nicht mehr über den unversiegbaren Born alter Bauern Weisheit, an dem sich Kinder und Erwachsene erfreuen können.

Da sagt das Venediger Mandel zum Hirtenbüblein: „Wirf nicht die Steine weg, um das Vieh zu bekommen; sie sind wahrlich mehr wert als alle deine Kühe und Ziegen.“

Da finden die Venediger den goldhaltigen Sand in den Bergbrunnen und die „blaue Lasur“, eine goldreiche Erdart.

Von kulturgeschichtlicher Bedeutung sind Hie Beziehungen der Venediger zu den Alchimisten. Schon Graf Froben Christoph Zimmern schreibt von dem Geheimnis einer goldbereitenden Substanz, das die Welschen, aber nicht die Deutschen kennen und der große Historiker Bayerns, Johann Thurn-meier, im 16. Jahrhundert berichtet: „Etlich kunstleich Walen, die sich auf dem gold verstunden und dasselbig schaiden kun-ten, nachdem die Teutschen mit solchen noch nit und wisten zue gen.“ Alte Walenbücher geben uns weitere Kunde von dem Treiben dieser seltsamen Goldsucher. Ein auf Pergament geschriebenes Walenbuch des Antonius von Medici stammt aus dem Jahre 1430 und ein anderes aus dem Jahre 1470, das von Will Erich Peuckert neu herausgegeben wurde, stellt die Abschrift des Notizbuches eines Bergmanns dar, der in den schlesischen Gebirgen nach Gold suchte. Der ganze Sagenkreis beinhaltet drei Vorstellungen: die von den Bergmännlein, die von den wandernden Kunstfertigen “(Kaufleuten) und die von den wandernden Schülern. Es ist reizvoll, den Wanderungen und Wandlungen der Venediger Sage im einzelnen nachzugehen. Durch die mythenbildenden Kräfte des Volkes bekommt die Gestalt des Walen, der zunächst als reales Wesen auftritt, später zauberische Züge und die Venediger werden zu Magiern.

Sie können durch die Lüfte fliegen und jagen den sie bei ihrer Tätigkeit belauschenden Bauern Furcht und Schrecken ein. Wenn solch ein Alpenbewohner einmal nach Venedig kommt, dann zeigen sie in ihren prächtigen Palästen dem Mitwisser ihrer Schatzsuche mit Hilfe des Bergspiegels sein Heimatdorf und sein Haus und warnen ihn, das Geheimnis nicht zu verraten, wobei sie auch Beweise ihrer unheimlichen Kunst geben, wie zum Beispiel die Tötung eines Hofhundes auf Entfernung durch die Ab-schießung einer Pistole. Auch in der Gegenwart sind diese Sagenüberlieferungen im Volke erz- und mineralreicher Gegenden noch lebendig, ja man findet hie und dort noch lebende Vertreter alter Uberlieferung. Die einheimischen Mineraliensucher, die sogenannten „Strahler“, haben mitunter Züge, die an die der mittelalterlichen Venediger und Alchimisten erinnern. So berichtete Hans Schienger von modernen Goldmachern im Emistal, die nach dem Stein der Weisen suchen und ich selbst lernte einen einfachen Landbriefträger im Steiriscbcn kennen, der neben seiner beruflichen Tätigkeit seltene Steine sucht und von alchimistischem Wissen in einem handschriftlichen Büchlein die Kunst verzeichnet hat: Gold wachsen zu lassen. In seltsamer Weise sind religöse Anschauungen und Texte in diese Schriften hineinverwoben, wie ja auch die mittelalterliche Alchimie von religiösem Ideengut tief durchdrungen war.

In diesen Naturmenschen lebt auch noch der Glaube, daß ein Zauber, ja Fluch auf dem Golde ruht, der nur reinen Herzens gelöst .werden kann. Wie arm ist dagegen unsere Generation mit ihren glänzenden technischen Errungenschaften! Wohl ersetzen vollendete physikalische Instrumente, wie Schwerewaage, geoelektrische und geomagnetische Meßapparate die Wünschelrute, aber die „Natursichtigkeit“ ist uns Stadtbewohnern vielfach verlorengegangen und lebt nur in manchen Alpenbewohnern, die viel und einsam in der Natur leben, noch fort. Immer wieder ist man dann erstaunt über die beinahe hellseherisch anmutende Fähigkeit dieser Naturmenschen, Mineralien und Erze zu finden. So erklärt sich auch die erstaunliche Tatsache, daß die alten Bergleute fast jede Erzader in unseren Bergen aufgefunden und ausgebeutet haben. Technisch haben wir c; sicher weiter gebracht; die modernen Apparate funkgeologischer Mutungen, die tragbaren Verstärkergeräte, die uns mit Hilfe von akkustischen oder optischen Signalen radioaktive Mineralien anzeigen, stellen eine Höchstleistung in dieser Entwicklung dar und doch berauben wir pietätlos und ohne tiefere Einsicht in das Walten höherer Mächte die Erde ihrer Schätze und wenden diese Rohstoffe vielfach zum Schaden, statt zum Nutzen der Menschheit an. Hier wäre eine Einkehr, ja Rückkehr zu jener ehrfürchtigen und religiösen Grundhaltung des natur- und gottverbundenen Menschen nötig, die schon bei den Chinesen die Weisheit des Laotse lehrte. In der Vereinigung mit den kosmischen Kräften, mit dem „Tao“ ohne Machtwillen und Egoismus, verbunden mit Himmel und Erde, hegt höchstes Weistum.

In diesem Sinne ist auch bei unserem einfachen Alpenbewohner alte Weisheit zu finden und Will Erich Peuckert schreibt mit Recht in seinem schönen Budie „Deutscher Volksglaube des Spätmittelalters“:

„Trotz des Kulturumbruches und obwohl der Umbruch tief hinein ins bäuerliche Leben wirkt, obwohl die neue Zeit die alten mythenbildenden Kräfte trocken legt und sie versiegen läßt, noch immer gebärt des Menschen numinose Scheu und religiöse Sehnsucht jene Wesen, die ihm ein Göttliches, das sich in die große Schöpfung austeilt, wirklich werden läßt. Noch immer ist diese unsere Welt erfüllt und füllt sich täglich neu mit Gottes Wirklichkeit, denn es ist seine, Gottes Wirklichkeit, die dem einfältigen, schlichten Menschen hier begegnet. Erst wenn das nicht mehr sein wird, wenn die Welt verlassen liegen wird von jenen, die als das große Geheimnis und das große Wunder unseren irdischen Weg begleiten, erst dann ist die Kultur gestorben, die wir als die bäuerliche hier bezeichnet haben.“

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