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Auf der Suche nach Bildsymbolen

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Bayreuth hat in diesem Jahr eine tiefgreifende Metamorphose vollzogen: Richard Wagners „bürgerliche“'Komödie — „Die Meistersinger von Nürnberg“ — wurde nahezu in den Stand des Mysterienspiels versetzt, ohne daß der menschliche Gehalt dabei verlorenging, und das mythische Welttheater des „Ringes“, ebenso das Weihespiel „Farsifal“, erfuhren eine gewisse Vergegenständlichung und Auflockerung.

Wieland Wagner stellte die einzelnen Akte der „M eisfersinger“ unter beherrschende Bildsymbole:: das Innere der Katharinenkirche, durch freistehende Gitter und Bänke, angedeutet, darüber eine Soffitte, das Gebälk darstellend, mit den Riemen-schneider-Figuren von Adam und Eva — der erste Aufzug; abstrakte Schräge vor blauem Rundhorizont, ein fjfeischwebender, stilisierter Holunder, eine Bank mit ebenfalls stilisiertem Strauch, ein pfeilschießender Amor im Hintergrund — der zweit!; ein spartanischer „Raum“ mit golddurchwirktem Hintergrund, die Figur Johannes des Täufers in der Mitte der herabhängenden Deckenleiste — die Stube des Sachs, und schließlich das Arenarund einer mittelalterlichen Mysterienbühne — die „Festwiese“.

Das geistige Konzept der Inszenierung beruht — soweit es theaterhaft deutlich wurde — auf drei Schwerpunkten: auf der Parallele zwischen dem ersten Akt und der „Schusterstube“, auf der echten Auseinandersetzung zwischen dem schöpferischen Wagner — personifiziert sowohl in Hans Sachs als auch in Stol-zing — und seinem durchaus ernstzunehmenden „Beckmesser“, und auf der Polarität von „Sommernachtstraum“ (zweiter Akt) und „Sommertagstraum“ (Festwiese). Der g'roße Choral des .Beginnes, der dem hl. Johannes gilt und bisher nur Klangknlisse für die sich anspinnende Liebesbeziehung Zwischen Walther und Eva wa, steht jetzt ganz für sich; keine pantomimische Handlung, zerstört das- Wort. Die „Gemeinde“ ist dem Publikum zugewandt. Hans Sachs ist — vor allem im zweiten Akt und im „Festwiesen“-Bild — 111$ leiser Ironie gezeichnet: die Resignation des Mci?ters nach dem Tribschener Erlebnis mit Mathilde Wesendonk. Sein Widerpart Beckmesser ist keine Charge, keine Karikatur, sondern eine Person von Stand, die sich vom Kleinbürger nicht zum Bürger wandeln konnte. Hans Hotter zeichnete den Sachs mit königlicher Schlichtheit, Karl Schmitt-Walter folgte vor allem darstellerisch den Intentionen der Regie: Gre Bronwenstiin, Wolfgang Wlndgassen, Georgine von Milirikovic und die „Meister“ von Dietrich Fischer-Dieskau, Josef Grei'ndl und JoSef Traxel halfen — gesanglich''makellos — mit. diese denkwürdige Aufführung unter der Leitung des form-Mar'iJisponiereiiden -AmM Cl ten s.Btid mit Wilhelm Pitz' machtvollen Choren zum festspielmäßigen Ereignis zu formen. Vieles erschien uns noch nicht „endgültig“, als, autonome Form nicht überzeugend; aber es mag hier gehen Wie mit der „Tannhäuser“-

Mandient

Neugestaltung vor zwei Jahren: die neuen Konturen müssen einmal bis zur äußersten Grenze abgesteckt werden — die kommende Festspielsaison bringt vielleicht die endgültige Gestalt.

Die „P a r s i f a 1“-Inszenierung war einbezogen in jeuen, oben bereits angedeuteten Trend, den man — in vollem Bewußtsein der Gefahren einer solchen Verallgemeinerung — etwa so fixieren möchte: Klärung der Bildelemente durch Verdeutlichung der jeweiligen Kontur und Intensivierung der Farbe, damit im Einklang eine psychologische Differenzierung der Personalregie — ja eine Hinwendung zum Dramatisch-Realistischen; im Ganzen also: Klärung der Symbole und des geistigen Raumes. Bayreuth arbeitete bisher in erster Linie mit Farbe und Licht, mit mehr oder weniger diffusen Wirkungen, denen ein oft statuarisches Bewjgungsprinzip das Zcrflatternde, Ungenaue nahm. Jetzt hat sich alles gefestigt, ohne daß der Neu-Bayreuther-Stil dabei aufgegeben wäre.

Die in wesentlichen Teilen erneuerte .,R i n g“-Inszenierung ist von der „Götterdämmerung“ her faßbar. An diesem letzten Tage des Bühnenfestspieles geschieht Großartiges, vor allem im zweiten Akt. dessen Innenspannung kaum noch zu überbieten ist. Die Szenen zwischen Brünhilde, Siegfried, Gunther, Gutrune und Hagen entfernen sich weit von dem herkömmlichen heroisch-pathetischen Wagner-Bild; ia sie haben mit diesem Bilde nichts mehr gemein: sie sind packend, gegenwärtig und lapidar in der menschlich-dramatischen Aussage. Sobald sich das Geschehen ins Mythologische, Kosmische wendet, sprechen wieder Farbe und Licht die wesentliche Sprache: Walhall vergeht in einer glänzenden Apotheose, in der nur noch die Elemente herrschen, Feuer und Wasser.

Erfreulich hat sich die — abseits von den dynamischen Stilversuchen des jungen Bayreuth angesiedelte — Inszenierung des „Fliegenden H o 11 ä n-d e r“ Wolfgang Wagners weiterentwickelt: die einander widerstrebenden Elemente des Werkes sind zu einer Formeinheit gebunden, die diese „dramatische Ballade“ an den ihr gebührenden Platz stellt — als eine Vorahnung dessen, was man das „Musikdrama“ zu nennen pflegt.

Musikalisch ruhten die Aufführungen in bewährten Händen: „Der fliegende Holländer“ und der erste .,Ring“-Zykhis in den dramatisch akzentuierenden von Joseph Keilberth und „Parsifal“ in den die Klangpalette unendlich ruhevoll ausbreitenden von Hans K n appertsbusch (der auch den zweiten ;,Ring“-Zyklus leitete). Die Blä!er des Orchesters hielten leider nicht das gewohnte Niveau, die Chöre übertrafen es. Oskar Sala bediente das elektronische Tratitortfüm: mächtig dröhnten aus einer anderen Welt die Gralsglocken herüber, höllenhaft hämmerte es in der Rheingoldschmiede zu Nibelheim.

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