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Aufmarsch der Bilder

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Jahr für Jahr beherbergt das Münchner „Haus der Kunst“ die „Große Kunstausstellung München“. Jahr für Jahr klettern die Ziffern der ausgestellten Werke. Dieses Jahr waren es 1200. Jeder Angehörige einer der drei Münchner Künstlergenossenschaften, die weniger als Stil- denn als Interessengemeinschaften zu verstehen sind, hat das Anrecht darauf, ausgestellt zu werden. Vom Verkaufsstandpunkt aus ist das richtig. Vom Geschmacksstandpunkt nicht. Der Besucher, der alles kennenlernen möchte, um eine Ueberschau des derzeitigen deutschen Kunstschaffens zu gewinnen, ist am Ende erschlagen von der Fülle. Nur wenige werden Zeit und Muße finden, sich die Schau partienweise vorzunehmen, was wiederum keineswegs heißt, daß man etwa gleiche Strömungen in gleichen Sälen findet — nein, jede der drei Genossenschaften stellt für sich ihre „Neuen Sachlichen“ oder ihre „Abstrakten“ zusammmen, so daß man zur Vollständigkeit einer Stilrichtung in drei Himmelsrichtungen des Hauses wandern muß.

Trotz allem, die Ausstellung, die sich ja auf die Tradition der Glaspalastausstellungen früherer Jahrzehnte berufen darf, bietet immerhin, wie keine andere deutsche Ausstellung, den repräsentativen Querschnitt durch das deutsche Kunstschaffen, Die Alten, zum Beispiel Kokoschka mit einem lichtfunkelnden Bild des Kölner Domchors, Schmidt-Rotluff, Hartmann und Unold mit farbreinen, sachlichen Sujets und Purrmann mit kühlfarbenen, aber doch magischen Porträts und Landschaften, die Meister also, die schon in den zwanziger Jahren einen Namen hatten, finden sich,

wenn auch spärlicher als in den vergangenen Jahren, auch heute noch unter der anwachsenden Zahl der Arrivierten und der Neulinge von 1957.

Das Vereinfachen der Landschaftselemente herrscht vör, vielleicht als Folge jener Vereinfachung von Farbe und Form, welche die abstrakte Kunst gegenüber dem kopierenden Naturalismus anstrebte. In der Menschencharakteristik neigen viele ebenfalls zu einfacher Form und zur Stilisierung. Dabei könnten ebensosehr die deutschen Werke der „Neuen Sachlichkeit“ um 1930 wie die „zahmeren“ Porträts von Picasso als Anreger vermutet werden.

Unter den Surrealisten ragt wieder Edgar Ende heraus, diesmal mit einem beklemmenden Sinn-Bild mit dem Titel „Der Streit“. Es kann ebensogut als Darstellung des Väterstreits in „Romeo und Julia“, wie auch als Symbol für die zweigeteilte Welt verstanden werden.

Auch die deutsche Plastik zeigt ein vielgestaltiges Gesicht. Neben Georg Brenningers minuziös dynamischem „Merkur“ die urgesteinhafte Gruppe um die weiße Rose von Karl Reidel und neben A. Ammans und L. Dietz' beseelten Frauengestalten die abstrakten Kompositionen Hartungs.

Sind auf dieser Ausstellung nun neue Wege zu erkennen? Kaum. Spontane, neue und erregende Impulse werden stets aus dem Bedürfnis nach einer Gegenbewegung gegen den herrschenden Zeitstil geboren. Was aber, wenn der Zeitstil sich in der Koexistenz zahlloser höchst verschiedenartiger Stile präsentiert? Wir haben es hier augenscheinlich mit einer negativen Seite der allzu bewußten Internationalisierung der Kunst zu tun. Während man voriges Jahr neben den Deutschen auch die Franzosen von 1900 bis 1956 in einer guten Auswahl zeigte, ist diesmal die Kunst Italiens von 1910 bis heute 'im Haus der Kunst zu Gast. Von den Futuristen Boccioni und Fedova bis zu den Abstrakten, zum Beispiel Afro, und zu Surrealisten wie de Chirico ist eine repräsentative Auswahl zu sehen. Doch gerade der Vergleich dieser italienischen Auswahl mit dem heutigen Schaffen der Deutschen demonstriert deutlich, wie uniform die europäische Kunst trotz oder vielmehr gerade wegen ihrer diffusen Vielseitigkeit geworden ist. Es drängt sich die Frage auf, ob nicht eine Rückwendung zum Bodenständigen (die keineswegs identisch sein muß mit Hitlers ,,Blut-ünd-Boden“-Formel) der künftigen Entwicklung dienlich sein kann.

Wer von der Prinzregentenstraße noch einen Abstecher nach Schwabing macht, findet dort im Schweizer Haus eine sympathische Ausstellung der jungen schweizerischen Künstler, die, wie einst mancher Schweizer Künstler von Welti bis Pellegrini, in München Station auf ihrem künstlerischen Wege machten. Besondere Beachtung verdienen die graphisch sauberen und farblich gut abgestimmten abstrakten Arbeiten Hans Peters, die übersichtlich gegliederten Bühnenbilder Anneliese Corrodis und die magischen, vom Material her besonders originellen Bühnenbilder Jürg Ernis. Die Werke Karl Tschirskys verraten mit ihren eigentümlichen Dämmereffekten vom Oel bis zum Litho eine eigene Handschrift.

Am 7. Juni wurde schließlich nach jahrelangem Hin und Her zwischen dem Gedanken des Abbruchs oder des Wiederaufbaues die nun doch neu errichtete Alte Pinakothek wieder eröffnet. Die größte Westdeutsche Gemäldesammlung ist damit wieder mit ihren prachtvollen Schätzen von den Altitälienern, den Altdeutschen und Rembrandt bis an die Schwelle des Barock der Oeffentlichkeit freigegeben. Man wird sich zwar gern noch der Notuiiterbringung einer guten Auswahl im Haus der Kunst erintiern. Sie gewährte eine gedrängtere Ueberschau. Nun aber wird die ganze Fülle der einst gezeigten Werke wieder zugänglich. Besonders glücklich ist dabei die sinnvolle Aufstellung der Altargemäldegruppen, die wieder aus der Wandbehängung herausgelöst wurden.

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