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Ausblick nach. Afrika

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Stark abseits von den Brennpunkten des heutigen Weltgeschehens liegt der tropische Kontinent — Afrika. Wohl sind einige seiner Randgebiete im Ausstrahlungsbcreich der großen euroasiatischen Bewegungen gelegen, wie die Länder der südlichen Mittelmeerküste und insbesondere Ägypten, als das Zentrum der arabischen Welt, oder die Südafrikanische Union, der Platzhalter des Britischen Commonwealth zwischen Atlantik und Indischem Ozean. Aber die Problematik dieser Gebiete ist nur zum Teil eine afrikanische, wenngleich sich die Ergebnisse der dortigen Entwicklung zu einem späteren Zeitpunkt tiefer in das eigentliche Afrika hinein auswirken dürften.

Um eine Perspektive für die Zukunft dieses eigentlichen Afrika zu gewinnen, haben wir in der Hauptsache drei Fragen zu stellen: Nach allgemeinen Tendenzen der regionalen Gruppierung; nach dem Vorhandensein von Möglichkeiten neuer Schwerpunktbildungen auf Grund territorialer Entwicklungsfähigkeit; und schließlich nach den Bedingungen und Aussichten des sozialen Umschichtungsprozesses, der durch die fortschreitende Erschließung Innerafrikas für die weiße Zivilisatiqi vorangetrieben wird.

Die erste dieser Fragen ist bereits gestreift worden. Das Ende der italienischen Machtstellung in Ostafrika hat die Bedrohung der Kap-Kairostraße aufhören lassen Entlang derselben sind zwei Expansionstendenzen feststellbar: die nach dem Ostsudan zielende Ägyptens, und die nach Norden gerichtete der Südafrikanischen Union. Die schrittweise Ausbreitung der Südafrikanischen Union ist durch deren Bedeutung als einziger „Weißer“, und noch mehr, als einziger stärker industrialisierter Staat auf afrikanischem Boden hinreichend gekennzeichnet. Die Bestrebungen Ägyptens zur Erlangung der alleinigen Kontrolle über das derzeitige angloägyptische Kondominium des Ostsudans gewinnen erhöhte Bedeutsamkeit durch die Tatsache, daß eine Union der arabischen Staaten im Entstehen begriffen ist. Wenn eine solche Union auch infolge der geringen Industrialisierung ihrer Gebiete keine allzugroße weitere Expansionskraft entwickeln dürfte, so wird ihre Orientierung für England nicht nur des Seeweges nach Indien halber, sondern vielleicht auch für die britische Stellung in Ostafrika von Wichtigkeit sein.

Der zweite Weltkrieg hat auch d i e Verkehrserschließung des inner-afrikanischenRaumes beschleunigt. Die bedeutendste Leistung auf diesem Gebiet ist zweifellos die Verwirklichung einer modernen Verbindung quer durch Zentralafrika, deren Bau 1942 in Angriff genommen worden war und die zum großen Teil dem Laufe der alten westafrikanischen Pilgerstraße nach Mekka folgt. Sie dürfte insbesondere wesentlich zur Erschließung der Gebiete östlich des Tschadsees und nördlich des Kongobeckens beitragen, die im Verbände des französischen Kolonialreiches noch bis in die jüngste Zeit unter Militärverwaltung gestanden haben.

Welches sind nun die Länder, die voraussichtlich als erste aus der kolonialen Anonymität der afrikanischen Territorien heraustreten werden? Hier einigermaßen begründete Vermutungen anstellen zu wollen, heißt unseren Blick auf Gebiete zu lenken, für die günstige Voraussetzungen geographischer, wirtschaftlicher und ethnischer Natur zusammentreffen. So muß es beispielsweise dahingestellt bleiben, ob in einem sich selbst überlassenen Abessinien die von italienischer Seite begonnenen Vorhaben der verkehrsmäßigen und wirtschaftlichen Durchdringung entsprechend weitergeführt werden können, wenn nicht ausländische Interessen die Initiative dazu fördern.

Zwei Gebiete können :n diesem Zusammenhang Aufmerksamkeit beanspruchen. Das eine ist der Landschaftskomplex südlich und südwestlich des Tschadsees, auf dem Boden der britischen Kronkolonie Nigeria und Fran-zösisch-Äquatorialafrikas, das andere die um den Viktoriasee gruppierte Ländermasse von Kenia, Uganda, dem nördlichen Tanganjika und Ruanda-Urundi, die englisches und zum Teil auch belgisches Kolonial- oder Mandatsgebiet sind. Beides sind verkehrsmäßig gut erschlossene Gebiete mit verhältnismäßig hoher Bevölkerungsdichte, günstigen klimatischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, einer verbreiteten Verkehrsprache und einem eigenständigen kulturellen Sediment . . . Dieses ist für den Fall Nigerias isiamisch und blickt auf eine vielhundertjährige Geschichte zurück, in der verschiedenste Einflüsse kulturell befruchtend eingewirkt haben. Bei den an zweiter Stelle genannten Ländern handelt es sich gleichfalls um Gebiete, in denen eine eigenständige Großstaatenbildung historisch ist. Bemerkenswerter Weise haben sich große Teile von ihnen dem Eindringen des Islams hartnäckig widersetzt und sind dafür in jüngster Zeit, wenn auch nach großen Anfangsswierigkeiten zu einem reichen Feld der christlichen, insbesondere der katholischen Mission geworden. Seit zwei Jahrzehnten haben dort Massenbekehrungen eingesetzt, die vielleicht in -gar niaht mehr unabsehbarer Zeit eine völlige Christianisierung dieser Gebiete erhoffen lassen; dies trotz der künstlichen Verlangsamung dieses Prozesses, die erfolgt, um eine tatsächliche Verwurzelung des Christentums zu erzielen.

Hiemit sind wir bei der dritten Frage angekommen, dem Problem der gesellschaftlichen Umschichtung im heutigen Afrika. Es ist überflüssig zu sagen, daß die verheerenden Folgen, die der erste Zusammenprall der alten einheimischen Ordnung mit der weißen Zivilisation auslöste, heute auch dort, wo er nicht abgemildert werden konnte, kraß zu Tage treten. Wiewohl sie in den meisten größeren Hafenstädten, schnell das Bestreben der europäischen Kolonialverwaltungen wachriefen, eine organische Weiterentwicklung der autochtonen Kulturen sicherzustellen. Sie wandten so ihr Hauptaugenmerk der Verbesserung der sanitären und Verkehrsverhältnisse, einem allmählichen Ausbau des Erziehungswesens und der Rechtspflege zu. Während Frankreich bestrebt war, eine möglichst enge Bindung seiner KoLonial-■gebiete mit dem Mutterland zu erzielen und deshalb vor allem die Errichtung einer straffen Verwaltung und französischer Schulen betrieb, ist das englische System der „indirect-rule“ darauf eingestellt, die einheimische Ordnung weitgehend bestehen zu lassen, ein Schulwesen auf einheimischen Grundlagen zu entwickeln. Es ist somit dazu geeignet, allmählich die nationalen Anlagen dee Afrikaner entfalten zu helfen. • Das Hauptproblem des Afrikaners von heute liegt in der kritischen Phase seiner Situation zwischen der Erschütterung seiner überkommenen Gesellschaftsordnung und seinem Hineinwachsen in eine neue, erst im Entstehen begriffene Lebensform. Der Zersetzungsprozeß der alten Kultur ist verschieden weit vorgeschritten, er hat in manchen Gebieten Afrikas vielleicht überhaupt kaum begonnen, aber er wird zweifellos nirgends haltmachen. Die Lockung eines leichteren Gelderwerbes irgendwo draußen ist oft stark, ihr Sog bedroht die Existenzgrundlage mancher Völkerschaften, zumal Bevölkerungsbewegungen in Afrika recht unkontrollierbar sind. Di- alten kollektiven Bande der Familien- und Stammesgemeinschaft mögen an sittlicher Kraft verlieren und die Entwicklung eines wurzellosen Indi-

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