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Ausstellungen, die erwünscht sind

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Die erste Hälfte dieses Jahres brachte eine Flut von Kunstausstellungen jeder Art und jeder Güte mit sich. Nun, der Interessierte hatte Gelegenheit, Tausende und aber Tausende von Bildern zu sehen, im ganzen mußte er feststellen, daß einer gewiß beträchtlichen Anzahl von bemerkenswerten Kunstwerken eine nahezu unübersehbare Produktion von belanglosen, unzureichenden Dingen gegenüberstand, deren Durchschnittsniveau bedauerlich tief lag und die das Wertvolle bisweilen ganz verdrängte. Daraus ein Pausch- und Bogenurteil über die neuere österreichische Kunst abzuleiten, wie dies bisweilen getan wurde, wäre indessen falsch; die absonderliche Kunstpolitik der sieben Kriegsjahre und die Kitschkonjunktur der Nachkriegszeit hat unleugbar dem Kunstpfuschertum und der Dutzendkünstelei zu viel Auftrieb gegeben, als daß der aufgewirbelte Staub sich so schnell wieder hätte legen können. Den so notwendigen Scheidungsprozeß zwischen Kunst und Ramsch zu beschleunigen, wird Aufgabe der kommenden Zeit sein. Die Künstler werden sich ihr ebenso unterziehen müssen wie das Publikum oder die Kritik.

Dazu bedarf es unter anderem einer Regeneration des Ausstellungswesens. Es ist nichts damit getan, daß Säle um Säle mit Bildern vollgehängt werden, denn Quantität kann Qualität auch hier nicht ersetzen; es hat keinen Sinn, daß Kunstvereinigungen pünktlich zum Herbst- und Frühjahrstermin ihre Ausstellungen eröffnen, wenn sie nicht sicher sind, wirklich Wertvolles zeigen zu können. Gewiß sind große Ausstellungen wichtig, denn sie allein vermögen Durchblicke zu liefern. Aber sie allein ermöglichen weder klare Trennungen, noch können sie die Positionen aufzeigen, an denen unsere besten Kräfte halten. Dazu bedarf es der Förderung und Vermehrung anderer und kleinerer Ausstellungstypen.

Es mangelt immer noch an Kollektivausstellungen, in denen der Künstler einen Überblick über sein gesamtes bisheriges Schaffen gibt oder wenigstens einen Abschnitt davon der Öffentlichkeit vorstellt. Ein, zwei Bilder, die unter vielen Dutzenden oder Hunderten hängen, sagen erfahrungsgemäß wenig aus. Sie können gute oder schlechte Bilder sein — aber sie lassen offen, ob der Künstler, der hinter ihnen steckt, eine wirkliche Persönlichkeit ist. Meistens läßt erst die Kollektivausstellung erkennen, ob ein Gemälde nur Ergebnis einer geschickten Manier ist. Umgekehrt kann manches, was in langen Bilderreihen unbemerkt geblieben ist, im Zusammenhang mit den anderen Arbeiten des gleichen Künstlers plötzlich wertvoll werden.

Freilich ist die Kollektivausstellung für den Künstler eine grausame Prüfung. Sie deckt, ihm selbst noch deutlicher als den anderen, Fehler, schwache Stellen, Einflüsse und vor allem die gefährlichen Flecken auf, in denen Routine als Surrogat schöpferischer Leistung verwendet wurde. Das alles mag für den Kräftigen einen Anstoß bedeuten — für den Schwächeren kann es eine Katastrophe sein; Kollektivausstellungen sind schon oft zum Begräbnis aller künstlerischen Hoffnungen geworden. Es gibt andere Fälle, in denen Künstler solchen Proben aufs Exempel mit Bedacht aus dem Wege gehen, wohl wissend warum …

Gerade eine solche Scheidung aber tut not, um endlich Klarheit zu schaffen über die vorhandenen Qualitäten und Kräfte, die unter der dichten Decke des Mittelmäßigen und der Dutzendbanalität zu verschwinden drohen. Nur die Entblößung des eigenen Werks vermag die Spreu vom Weizen zu sondern und das Durchschnittsniveau des Ausstellungsbetriebes, das so wichtig wie die Einzelleistung ist, zu erhöhen. Ernst-zunehmende Stimmen haben schon oft gefordert, daß auch die großen Kunstvereine in ihren eigenen, oft einen Großteil des Jahres leerstehenden Häusern, Kollektivausstellungen ihrer Mitglieder zeigen mögen; die „Sezession" ist rühmenswerterweise dieser Anregung gefolgt, wenn sie auch durch Raummangel arg behindert war. Wir hoffen, daß andere Vereinigungen ein Ähnliches noch tun werden. Denn der Privatgalerien sind zu wenige, als daß eine größere Anzahl von Künstlern ausgiebig zu Wort kommen könnte.

In zweiter Linie fehlt es an Ausstellungen, zu denen sich Künstler freiwillig und zwanglos zusammentun, weil sie sich in ihrer Kunst verwandt fühlen oder glauben, denselben Zielen entgegenzugehen; es mangelt die freie G r u p p e n b i 1 d u n g abseits von Organisationen und Vereinen, Vorschriften und Mitgliederlisten. In der vergangenen Ausstellungssaison sind nur zwei oder drei solcher Gemeinschaftsausstellungen zu sehen gewesen, aber sie vermittelten überraschend starke Eindrücke; der aufgeschlossene Besucher wurde in ihnen gewissermaßen zum Zuschauer eines Kristallisationsprozesses gemacht, in dem sich das Verschiedenste mischte und zu neuen Einheiten verschmolz. Aber das waren Ausnahmen, die noch zur Regel werden sollten. Bis jetzt wurde, um einige präzise Beispiele anzugeben, noch keine Ausstellung veranstaltet, in der sich die österreichischen Graphiker der Generation nach Kubin und Boeckl zusammengefunden hätten und die aller Wahrscheinlichkeit nach höchst erfreuliche und bedeutsame Dinge erweisen würde. Andererseits hat man in Wien noch sehr wenig von den Arbeiten der kleinen und leistungsfähigen Künstlergruppen und -kolonien gesehen, die sich in den letzten Jahren in Tirol und anderen Bundesländern gebildet haben und deren Bekanntschaft zu machen uns sehr interessieren würde. Diese und ähnliche Expositionen könnten klarmachen, auf welchen spirituellen und eigenartigen Grundlagen die Kunst unseres Landes und unserer Zeit aufwächst. Freilich kann hier die Initiative nicht von Seiten einer Berufsvereinigung oder eines Galeriedirektors, sondern nur von den Künstlern selbst ausgehen. Kürz gesagt: Während Kollektivausstellungen die Fehler sichtbarer machen als die Vorzüge, lassen derlei Gruppenausstellungen erkennen, welche Früchte heranreifen.

Ein Wort schließlich noch zu der äußerlichen Gestaltung unserer Kunstausstellungen. Es hat sich in letzter Zeit unter dem Einfluß des Kunsthandels der Gebrauch eingebürgert, möglichst viel „aufzumachen". Dazu gehören einerseits gewisse den Innenarchitekten und Auslagenarrangeuren abgelauschte Tricks — das Aufstellen alter Möbel zwischen den Bildern, die „künstlerische“ Anordnung von Blumenvasen und dergleichen mehr, dazu gehört andererseits die Abhaltung von Modeschauen und Fünf- Uhr-Tees in Kunstausstellungen, wozu die Werke des Künstlers den „stilvollen“ Hintergrund zu bilden haben. Dies mag seine Berechtigung in großen, eher der Kulturgeschichte als der Kunst dienenden Expositionen haben. Bei kleineren Ausstellungen, die ernst genommen sein wollen, sind derlei Geschmacksbeweise fehl am Platz. Sie machen aus dem besten Bild ein Dekorationsstück.

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