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Austria in London

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Der internationale Kulturaustausch, staatlich organisiert, sei es in der Form eigener Auslandsinsti- tute oder der Tätigkeit von Kultur- attaehės in Botschaften und diplomatischen Vertretungen, ist ein Phänomen des zwanzigsten Jahrhunderts. Kein Land, das auf sein kulturelles Erbe etwas gibt, kann sich ihm verschließen. Wie die wirtschaftliche, militärische und soziale Repräsentanz ist auch die kulturelle nicht mehr aus dem Public-Rela- tions-Apparat des modernen Staates fortEudenken. Es wird manchmal behauptet, daß die schrumpfende Welt mit ihrer schnellen Nachrichtenvermittlung die traditionelle diplomatische Funktion zu einer gehobenen Briefträgerexistenz verurteilt habe. Den Experten der organisierten Gesellschaft sind jedoch neue Aufgaben erstanden.

So lassen sich heute nicht weniger als acht Länder in der Weltstadt London auch durch eigene Kulturinstitute vertreten und zumindest alle großen diplomatischen Niederlassungen haben Kulturreferenten unter ihrem Personal. Schon die Art und Zahl der von diplomatischen Vertretungen separat wirkenden Kuiturinstitute sind bezeichnend. Österreich hat darunter eine Sonderstellung, da sein Institut dem Unterrichtsministerium und nicht, wie die meisten anderen Institute, dem Außenministerium untersteht. Die Vereinigten Staaten sind mit einem großen „Informationsamit” vertreten, in dem eine große Bibliothek und verschiedene kulturelle Sektoren der allgemeineren Informierung dienen. Unter der Direktion des Professors der Yale Universität und Dichters Cleanth Brooks werden hier vor allem die bildenden Künste und die heutige Literatur der Vereinigten Staaten herausgestellt. Das kulturpolitisch stets besonders interessierte Frankreich hat ein großes Kultur- Institutsgebäude mit Theater und Ausstellungsräumen neben dem französischen Lyzeum in Kensington. Das französische wie auch das kleinere italienisch -Institut haben eine zahlende Mitgliedschaft, wie diese durch den gewaltigen Kreis der englischen Interessenten im Verhältnis zu den zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten bedingt ist. Zur Pflege der alten französisch-schottischen Beziehungen gibt es auch ein kleineres französisches Institut in Edinburgh, und auch die Dänen haben dort eine Stelle eröffnet, die den dänischen Interessen dienen und kulturell wirken soll.

Die Bundesrepublik Deutschland ist mit einem großen Londoner Institut vertreten (und mit einem kleineren in Glasgow), in den neben den üblichen Darbietungen musikalischer und literarischer Art eine ausgezeichnete deutsche Bibliothek und Sprachkurse (letztere für ein geringes Entgelt) jedermann zugänglich sind. Eigene Kulturinstitute mit dem jeweils sehr verschiedenen englischen Interessentenkreis werden in London aüch von Spanien, Polen und Schweden betrieben. Das österreichische Kulturinstitut, auf einem stillen Gartensquare in Kensington gelegen, mit dem äußeren Türwahrzeichen von zwei ehemals k. u. k., schwarz übermalten und heute mit Glühbirnen leuchtenden Zeltlatemen.

Als Vertretung eines kleinen Landes mit großer Kulturvergangenheit hat sich dieses Institut von Anfang an weislich eines bescheidenen Auftretens befleißigt.

Daß das „Austrian Institute”, wie es in England heißt, trotz friedlicher „Konkurrenz” mit anderen Instituten, vor allem dem deutschen, und bei der Überfülle und Qualität der Londoner musikalischen und künstlerischen Veranstaltungen, überhaupt zu bestehen, ja sein Renommee erheblich zu vergrößern vermochte, ist das Fazit seines nun zehnjährigen Bestehens. Hier und da mögen sich daheim zweifelnde Stimmen erheben: ob etwa die vom Steuerzahler getragenen Kosten einer solchen Kulturvertretung zu rechtfertigen seien? Ob das exportierbare Kulturgut nicht sowieso von einer ganzen Reihe kommerzieller, künstlerischer und wissenschaftlicher Mittelsmänner betreut werde? Ob ein solches Institut nicht nur erneut die Gültigkeit des Parkinsonschen Gesetzes von der unaufhaltsamen Vervielfältigung bürokratischer Einrichtungen bestätige? Als Mozart nach Prag fuhr, Haydn, Liszt oder Mendelsohn in London gastierten, hätten sie doch solcher Auslandsförderung nicht bedurft. Warum überlasse man es daher nicht den bestehenden künstlerischen oder wissenschaftlichen Stellen, sich im Ausland Gehör zu verschaffen?

Eine Pionieraufgabe

Die moderne Wirklichkeit scheint diese Einwände jedoch nicht zu rechtfertigen. Das Institut ist ja auch nicht dazu da, um mit anderen Stellen zu konkurrieren, sondern vorbereitend und ergänzend eine eigene Vermittlerrolle zu spielen, die ganz „uneigennützig”, wenn auch in beamteter Form, der kulturellen Verständigung dient. Kein kommerzieller Impresario würde es zum Beispiel riskiert haben, unbekannte junge österreichische Künstler einem Londoner Publikum vorzustellen, wie es das Kulturinstitut im Falle der Pianisten Rudi Buchbinder und Heinz Medjimorec getan hat, die sich dadurch seither auch weiter durchsetzen konnten. Auch mit der Vermittlung der Werke junger österreichischer Komponisten — mehr als vierzig sind bisher zu Wort gekommen — hat das Londoner Institut eine Pionieraufgabe erfüllt, wie nicht nur das interessante Echo der britischen Musikkritik beweist, sondern auch die Reaktion der jugendlichen Zuhörer, vor allem der Musikstudenten, für die ein solches Konzert mehr als ein Mozartabend eine in London nicht anderweitig gebotene Erweiterung ihres Horizontes bedeutet.

Der musikalische Beitrag Österreichs hat in dem sprachunbegabten England notwendigerweise an erster Steile zu stehen. Wenn auch die Klassiker und viele österreichische Musiker und Sänger der Gegenwart zum ständigen Programm der Londoner Konzert- und Opemsaison gehören, ist ein gelegentliches, mit anderen Engagements verbundenes Auftreten in der intimen Atmosphäre des Instituts besonders geschätzt. Das Kulturinstitut hat sich in zehn Jahren einen großen englischen Freundeskreis geschaffen und ist auch für viele einst oder heute mit Österreich verbundene Menschen zu einem Hort seiner besten Wesensart geworden. Unter den international bekannten österreichischen Künstlern sind in letzter Zeit aufgetreten:

Paul Badura-Skoda, Willi Bos- kovsky, Alfred Brendel, Jörg Demus, Anton Dermota, Ingrid Haebler, Emmy Loose, das Weller-Quartett, die Wiener Sängerknaben und, zum besonderen Anlaß der Zehnjahres- feier, Irmgard Seefried und Präsident Sittner von der Wiener Kunstakademie mit Erik Werba und vier ausgesuchten Studenten der Akademie. Die wachsende Beliebtheit Bruckners in England ist zum Teil auch ein Verdienst der Förderung, die das Institut einem Londoner Bruckner-Festspiel und den an diesem Komponisten interessierten englischen Musikern gewährt hat.

Unter den Höhepunkten des Vortragsprogramms war ein Vortrag des Chefdramaturgen des britischen Rundfunks und Brecht-Biographen Martin Esslin über die keineswegs unwesentlichen Beziehungen Brechts zu Österreich. Esslin teilte einige wenig bekannte Einzelheiten mit, um die Erwerbung der österreichischen Staatsbürgerschaft Brechts, die seine spätere Rückkehr in das kommunistische Deutschland in ein weniger ideologisches Licht stellt. Auch die Tatsache, daß sein früher österreichischer Aufenthalt Brecht zur Namensänderung von Berthold auf Bertholt veranlaßte — weil das harte „t” einer revolutionären Gesinnung gemäßer schien —, war manchem Zuhörer unbekannt. Fritz Hochwälder sprach vor längerer Zeit über „Mein Theater”. Otto Demus über neuentdeckte romanische Fresken in Österreich, Otto Erich Deutsch über „Schubert und England”, Clemens Holzmeister über seine architektonische Arbeit, Roland Rainer über Probleme der Stadtplanung und ein geistreicher Vortrag des jetzt aus London geschiedenen Botschafters Dr. Johannes Schwarzenberg über Shakespeare, eine Amateurleitsung im besten Sinne des Wortes, bleiben in der Erinnerung.

Budgetschranken

Englischen Germanisten und Kennern der deutschen Sprache hat das Institut bei Dichterlesungen namhafte österreichische Schauspieler, wie Susi Nicoletti, Elfriede Oft, Albin Skoda, Felix Steinböck und Hans THlnti®, vor gestellt. Rein- hard-Seminar hat Proben des österreichischen Theaters in London und an 14 britischen Universitäten gegeben, und von österreichischen Autoren haben zuletzt Elias Canetti, Erich Fried und Werner Riemerschmied aus eigenen Werken gelesen. Das ln Großbritannien jetzt wachsende Interesse für die moderne Literatur des deutschen Sprach- raums könnte künftig zu einer Stärkung dieser Seite der Institutsaktivität führen, wie auch die bildenden Künste mehr Beachtung verdienten. Hier sind dem Institut jedoch durch sein Budget Schranken gesetzt. Die größeren Ausstellungen der Nachkriegszeit, wie die der österreichischen, Malerei und Skulptur 196(1 können natürlich nur in einem breiteren Rahmen veranstaltet werden, wobei der Staat die hohen Kosten nicht weniger scheut als die Besitzer das Reiserisiko ihrer Leihgaben. Interessant vor allem für Germanisten der englischen Universitäten, zu denen das Institut enge und herzliche Beziehungen pflegt, erwiesen sich Sohauausstellungen der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts und separate Ausstellungen über Hofmannsthal, Musil und Trakl. Angesichts des großen Aufschwungs des englischen Theaters und der wachsenden Bedeutung der Londoner Welttheatersaison ist es zu bedauern, daß Österreich nun auch bei den dritten Welttheaterfestspielen in London nicht vertreten sein wird, weil anscheinend das Burgtheater nicht dafür zu interessieren war. Das ist eine kurzsichtige Einstellung, die von den besten Bühnen der Sowjetunion, Frankreichs, Italiens, Deutschlands, Polens, der Vereinigten Staaten nicht geteilt wird.

Durch eine immer mehr vertiefte Kenntnis Großbritanniens ist das Londoner Institut ein sehr nützlicher Berater und Vermittler in den verschiedensten britischen und österreichischen Kulturbereichen geworden. Ein Informationsdienst sorgt für die schriftliche und mündliche Beantwortung von Anfragen, die aus allen Teilen des Landes kommen und sich in der Thematik von Kochrezepten über die Lokalisierung von drittrangigen Kunstwerken bis zur paläontologischen Recherchen erstrecken. Der Wissensdurst speziell der englischen Schuljungend über österreichische Sitte, Brauchtum und Trachten scheint unbegrenzt zu sein. Mit einer derzeit 6000 Bände umfassenden Bibliothek, die auch der britischen Fernleihorganisation angehört, und 49 periodische Druckschriften aus Österreich und zahlreiche Nachschlagewerke aufliegen hat, sowie mit einer für den Verleih bestimmten Sammlung von Kulturfilmen, Diapositiven, Schallplatten und Tonbändern ist dem Institut eine breite Außenwirkung gesichert. Als ein besonderes Anliegen Österreichs bleibt es. zu hoffen, daß die vermittelnde Tätigkeit des Instituts englische Historiker zu einem besseren Verständnis der österreichischen Vergangenheit führen werde.

Der Ruf österreichischer Kultur und Lebensart ist in England so groß, daß sich die Arbeit des Instituts allgemein unter sehr viel glücklicheren Vorzeichen vollzieht als die des deutschen. Nicht zu unterschätzen neben solchen die Wege ebnenden, berechtigten oder auch imberechtigten Vorurteilen 1st jedoch auch das persönliche Wirken des Institutsd i rėkto?s und seiner ‘ÄÖtäf™’ beiter und der, vop ihnen nen guten Atmosphäre sowohl bei” den Veranstaltungen im Haus selbst (mit dem nachfolgenden gemütlichen Beisammensein bei einem Glas österreichischen Weins) als auoh in ihren Kontakten zur englischen kulturellen Welt. Eine hohe britische Persönlichkeit hat neulich vielsagend und ohne zu übertreiben feststellen können, daß man in London zu keinem der ausländischen Kulturinstitute so gerne geht wie zu den Österreichern. Das ist ein befriedigendes, sichtbares Ergebnis der zehnjährigen Tätigkeit.

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