Avantgarde international

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Die künstlerischen Aufbrüche der Jahre 1910-30 in Mitteleuropa im Münchner "Haus der Kunst". von

Dass die Kunst der Moderne im jungen 20. Jahrhundert nicht nur eine Kunst des Westens ist, konnte die große Schau "Europa - Europa" 1994 in Bonn eindringlich vorführen. Seither gab und gibt es zahlreiche Ausstellungen mit immer neuen Aspekten. So hat das Los Angeles County Museum of Art den "Avantgarden in Mitteleuropa 1910-1930" ein umfangreiches Projekt gewidmet, das die "kulturelle Energie und Vielfalt" einer Region mit vielen, sehr unterschiedlichen künstlerischen Zentren beleuchtet und das inzwischen vom Haus der Kunst in München übernommen wurde. Der Weg führt nach Prag, Krakau und Posen, Budapest und Bukarest, Zagreb und Belgrad, Warschau und Lód´z. Berlin, Weimar, Dessau und Wien sind Drehscheiben im dichten Netz wechselseitiger Beziehungen. Eine konstruktivistisch-offene Ausstellungsarchitektur aus Stahlträgern lässt Durchblicke in alle Richtungen zu und verstärkt so den Eindruck von Vielfalt und Vergleichbarkeiten. Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen, aber auch Druckgraphik, Fotografien, Keramik und Möbel spiegeln die Spannweite der Aktivitäten.

Es sind die aufregenden Jahrzehnte 1910 bis 1930, in denen künstlerische Kräfte durch immer neue Impulse von außen be-lebt werden. Aufbruchstimmung herrscht in den Künstlerkreisen. Man trifft sich in Kaffeehäusern, plant, diskutiert, schmiedet Pläne: in Budapest im Japan Café oder im Central Café, im Prager Arco, später im kubo-futuristisch ausgestatteten Montmartre oder im Café Union. Es ist aber auch ein Abschnitt europäischer Geschichte, in dem sich die Landkarte ändert: die Länder der einstigen Donaumonarchie gewinnen ihre Selbständigkeit, Polen seine staatliche Identität seit der Teilung 1795. Und es sind die Jahre der Zwischenkriegszeit mit wirtschaftlichen, sozialen und politischen Spannungen und Umbrüchen. Mit dem Erstarken des Stalinismus kommen Kunst- und Kulturaustausch zum Erliegen, wird der künstlerischen Freiheit ein Ende bereitet.

Wichtigstes Instrumentarium aller Avantgarden wird ihr Zusammenschluss in Künstlergruppen. Als solche organisieren sie ihre Ausstellungen selbst und gestalten ihre Zeitschriften. Damit bietet sich ihnen ein Forum für Austausch und Kontakte und zur Verbreitung ihrer künstlerischen Positionierung. Ein globales Netz zu spannen, war Teil des universalistischen Gedankens der Avantgarde.

In Prag ist es die Gruppe Skubina. 1911 gegründet von Künstlern, die früh in Berührung kommen mit den aktuellen Kunstrichtungen Expressionismus, Futurismus, Kubismus durch Aufenthalte in Paris oder über die berühmte Sammlung KramaÇr . Der tschechische Kubismus findet zu eigenen Formen: emotionaler, stärker interpretierend in der Thematik wie etwa Bohumil KubiÇstas erdenschwere, depressive Gestalt der "Epileptischen Frau", dramatisch bewegt in der Formensprache wie Otto Gutfreunds Bronzerelief "Konzert", mit kristallinen Elementen wie Emil Fillas bewegt-explosiver Bronzekopf. Mittelalterliche Tektonik, barocke Dynamik und mystisch-romantischer Kristallkult sind wie eingeschmolzen erahnbar.

In Posen bestehen ebenfalls bald nach der Jahrhundertwende Kontakte vor allem nach Berlin. Dennoch sind die Anfänge zaghaft. Die besondere politische Situation eines noch nicht existierenden Staates, die Verpflichtung zu einer nationalen Identität mag mit dazu beigetragen haben, dass die Hinwendung zum Expressionismus in der BUNT-Gruppe Posens (gegründet 1917) und die Rezeption westlicher Strömungen bei den 1919 gegründeten Formisten relativ spät erfolgt. Christliche Themen werden weitergeführt, wie etwa in Andrej Pronaszkos "Prozession" (1916). Eine schillernde Persönlichkeit unter den Formisten ist der Maler, Kunsttheoretiker, Schriftsteller und Philosoph Stanislaw Ignacy Witkiewicz. Seine experimentellen Bilder, teilweise unter kontrolliertem Drogenkonsum entstanden, muten wie Vorgriffe auf Werke des späten 20. Jahrhunderts an .

Die ungarischen Aktivisten mit dem vom italienischen Futurismus beeinflussten Lajos Kassák und dem marxistischen Theoretiker György Lukács waren getragen von Ideen einer neuen Gesellschaft. Ihr Thema sind Menschen in der Großstadt, ihrer Befindlichkeit, ihrem Ausgegrenztsein, wie sie die Portraits von Lajos Tihányi oder Lajos Kassák vermitteln. Sándor Bortnyiks "Rote Lokomotive" (1918) hingegen schiebt sich kraftvoll durch kubo-futuristische Farbfelder.

Berlin ist Drehscheibe und Schmelztiegel für die Künstler auch aus Mitteleuropa. Erste Adresse in Sachen Avantgarde sind seit 1910 Herward Waldens Zeitschrift Der Sturm sowie die wenig später angegliederte Galerie, in deren Ausstellungen sich Künstler aus West und Ost begegnen. Absoluter Höhepunkt aktueller Kunstströmungen europaweit ist der 1. Deutsche Herbstsalon 1913, an dem auch Prager Skubina-Künstler teilnehmen.

Alle Bestrebungen hin zu einer Internationalisierung der Avantgarde polarisieren sich im Mai 1922 in Düsseldorf. Für den Kongress der "Union internationaler fortschrittlicher Künstler" wird eine riesige Schau von rund 800 Exponaten aufgeboten, vergeblich. Die Geister scheiden sich an der heiklen Frage: Freiheit des individuellen Künstlers oder sein schöpferisches Engagement für die Gesellschaft. Später sollte sich den Künstlern diese Frage auf bedrückende Weise stellen.

Mit der Gründung der "Konstruktivistischen Internationale" im Herbst in Weimar rückt auch das Bauhaus in den Brennpunkt internationaler Beziehungen, ganz besonders für die Künstler Mitteleuropas. Mit der Berufung von László Moholy-Nagy als Lehrer wird Ungarn wichtig für das Bauhaus. Andere, wie Alfréd Forbat, Farkas Molnár und Sándor Bortnik zählen zu den herausragenden Studenten. Mit dem Ziel, Kunst und Technik, rationale Formanalyse und industrielle Produktion zu verbinden, war dem Konstruktivismus eine Richtung gewiesen. Alle Bereiche des täglichen Lebens sollten einbezogen sein, auch jene der Printmedien sowie Film, Theater und Tanz. Das Leben neu zu gestalten war Programm des Bauhauses. Sándor Bortniks "Der neue Adam" und "Die neue Eva" spiegeln Anregungen seiner Kollegen: Oskar Schlemmers Figurinen, Ludwig Hilbersheimers Zwillingstürme für die Chicago Tribune.

Für die ungarischen Künstler vertieft sich die Beziehung zu Wien durch die politischen Ereignisse rund um die Revolte der ungarischen Kommune 1919. Von Wien aus entfalten sie ihre Aktivitäten, geben Die Zeitschrift MA ("Heute") heraus, die Vorbild wird für Medien anderer Gruppierungen. Anläßlich der großen Theater-Ausstellung 1924 in Wien würdigt MA in einer Sondernummer die Raumbühne in der Wiener Konzerthalle des gebürtigen Rumänen Friedrich Kiesler. Seine Ausstellungsarchitektur aus farbigen Holzlatten verstand er zugleich als autonome Skulptur - eine Doppelfunktion, wie auch die Nachbauten in München zeigen.

Einzigartiges Beispiel für das Gesamtkunstwerk Medientheater ist das rekonstruierte Denkmal für den Dichter-Revolutionär ÇSevÇcenko in Charkov, ein Entwurf des ungarischen Bauhaus-Schülers István Seb´ók (1930), ein Turm mit großen Projektionsflächen über einem kreisrunden Podium für interaktive, multimediale Open-Air-Veranstaltungen. Filmische Arbeiten internationaler Avantgarde-Künstler sind hier zu sehen.

Der Rundgang durch die Avantgarden Mitteleuropas weist am Ende bereits weit ins 20. Jahrhundert mit den eindrucksvollen Arbeiten des Künstlerpaares Wladyslaw Strzemi´nski und Katarzyna Kobro. Für beide Künstler, Schüler von Kasimir Malewitsch, ist die Kunst eine Modell schaffende Kunst. In seinen Unistischen Kompositionen entwickelt Strzemi´nski die Gleichwertigkeit von Bild und Bildgrund und damit eine neue visuelle Wahrnehmung.

K. Kobro legt ihren Raum-Konstruktionen bildnerische Prinzipien zugrunde, die die Negativform als gestaltendes Element einbezieht. Ihre farbig gefassten Stahl-Skulpturen sind Leihgaben des Muzeum Sztuki in Lód´z, das die beiden Künstler nach ihrem Umzug aus Warschau 1929 bis 1931 gegründet haben, das älteste europäische Künstlermuseum der Moderne. Doch die Musealisierung der Avantgarden ist zugleich auch ihr Ende.

Die Münchner Ausstellung leistet einen wichtigen, sehenswerten Beitrag zur Kunst Mitteleuropas zwischen 1910 und 1930. Verwurzelung wie Internationalität waren die Voraussetzungen. Die Avantgarden in Mitteleuropa - ein Stück europäischer Kultur- und Kunst-Geschichte, das es zu erinnern gilt, nicht nur im Hinblick auf ein zusammenwachsendes Europa.

!Avant!garden in Mitteleuropa 1910-30

München, Haus der Kunst,

bis 6. Oktober täglich 10-22 Uhr, ab 10. November Berlin, Martin-Gropius-Bau.

www.hausderkunst.de

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