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Avantgarde und Zeitgenossen

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Auf seiner Europatournee, überhaupt der ersten größeren des Ensembles, stellte sich das Residenzorchester Den Haag im Konzerthaus vor: Ein technisch perfekter Kang- körper von homogenem Musizieren, mit virtuosen Blech- und Holzbläsern, einer respektablen Schlagwerkbatterie. Lediglich diie Streicher klingen weniger geschmeidig als man sich dies wünschte. Star dieses erfolgreichen Abends war Pierre Boulez, dessen „Eclat", eine meisterhaft knappe, ganz nach innen gewandte Piece, hier unter seiner Leitung voll Subtilität, in feinst nuancierten Klangkombinationen gespielt wurde. Manipulierbarer Nachhall und vom Dirigenten gelenkter fließender Rhythmus bestimmen das Klangbild. Zu Bartöks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta (1936), einem der wichtigsten Werke in Bartöks Schaffen, zeigten Boulez und das Ensemble, mit dem er immerhin etwa fünf Wochen pro Jahr arbeitet, engste Kontakte: Die Aufführung schwelgte in zarten Schattierungen — besonders im „Nacht“-Adagio —, prickelte in den Tanzrhythmen des Allegro-Finales. Die Wiedergabe von Webems Symphonie (op. 21) und der Fünf Sätze für Streichorchester (op. 30) gerieten durchsichtig, klanglich, den Formen entsprechend, in einem Höchstmaß an Ökonomie. Ein — übrigens gutbesuchtes — Konzert von seltener Konzentration. K. H. R.

Drei Werke österreichischer Komponisten der Gegenwart stellte Radio Wien im Zyklus VI zur Diskussion: Kurt Schmideks Symphonie in C erwies sich als das dominierende Stück, knapp, straff organisiert, in der fast monothematischen Konzeption absolut zwingend. Rhythmisch reizvolle Partien beleben ungemein. Leopold Matthias Walzel geht in seinem 1966 für den Rundfunk geschaffenen Klavierkonzert (op. 43) von pentatonischen Skalen aus. Sie dienen ihm als Basis für ausgedehnte koloristische Spiele. Alles in allem: ein etwas zu breit geratenes Werk, dem man stellenweise mehr Spannung und Kontraste wünscht. Wilhelm Waldsteins

„Diptychon für Orchester“, der Tn- stan-Welt und Bruckners Scherzi verpflichtet, zeugt vom noblen Geschmack seines Schöpfers, ist aber in der Aussage retrospektiv gewandt. Karl Österreicher sorgte für klangfrische Wiedergaben. Hans Weber hob Walzels Konzert mit virtuosem pianistischem Einsatz aus der Taufe.

Zu einer Apotheose des Tanzes gestaltete Franz Allers das Symphonikerkonzert im Sendesaal: Paul Cre- stons beschwingte „Tanzouvertüre" (op. 62) und die Symphonischen Tänze aus Bernsteins „West Side Story“ (op. 62) gerieten frisch, in kräftigen Farben und prickelnden Rhythmen. Mehr Verve hätte indessen, speziell in der Bernstein-Aufführung, nicht geschadet. Monique Haas spielte Ravels D-Dur-Klavier- konzert überaus delikat, mit Flair für die kapriziösen Arabesken, glitzernden Kaskaden, pompösen Akkordballungen. Haydns F-Dur- Symphonie ließ jede Inspiration in der Wiedergabe vermissen. Die Symphoniker wurden von Allers straff und exakt geführt.

Der Zyklus „Wir stellen vor“ im Mozart-Saal hat trotz der kurzen Zeit seines Bestehens längst Meriten: Jüngst hörten wir das Pariser Bern&de-Quartett, das sich mit einer spannungsträchtigen, fein schattierten Wiedergabe von Debussys Opus 10 sofort alle Sympathien gewann. Klangliche Fülle, geschmeidige Tongebung voll Flexibilität, Homogenität des Zusamimemspiels sind A touts der vier Herren. Die Aufführung der Quartette von Haydn (op. 76 2) und Mozart (K. V. 387) schienen uns etwas zu parfümiert, zu pompös.

Karlheinz Roschitz

Im Zyklus „österreichisches Musikschaffen der Gegenwart“ spielte das Tonkünstlerorchester unter der Leitung von Kurt Wöss im Großen Musikvereinssaal vier Werke von vier Komponisten. Oskar Dietrich, 1888 in Wien geboren, 1st den Jahren und der Schreibweise nach der älteste und konservativste. Seine neun Variationen über die Melodie eines eigenen Liedes bewegen sich auf der Linie Brahms-Reger-Schmidt. Der jüngste und modernste der

Gruppe ist Horst Ebenhöh, Jahrgang 1930. Die fünf kurzen Sätze seiner Musik für Klavier und Orchester sind ungleichwertig und stilistisch kaum unter einen Hut gebracht. Gewisse Instrumentaleffekte und komplizierte Rhythmen in den Ecksätzen lassen an Bartok denken, der 4. Teil, in dem eine Solo-Oboe von der großen Trommel begleitet wird, ist ein orientalisierendes Genrestück

— übrigens nicht ohne Reiz, aber auch ohne Konnex mit den übrigen Teilen. Die vierteilige Sonatine für Orchester von Marcel Rubin (Jahrgang 1905) — übrigens keine Uraufführung, wie im Programm vermerkt

— machte den geschlossensten Eindruck. Zwischen den formal und instrumental meisterlich geformten Ecksätzen (zumal das Finale ist überaus „fesch“ geraten, wenn auch nicht ohne Anklänge an Strawinsky) steht ein leicht archaisierendes Andante und ein Allegretto commodo, dessen Stimmung dem Komponisten nicht ganz zu liegen scheint. — Die 3. Symphonie von Leopold Matthias Walzel (Jahrgang 1902) mit ihrer halbstündigen Dauer war das weitaus längste Werk des Abends. Sie hat kein traditionelles Adagio und stellt eine Synthese zwischen der klassisch-romantischen „Weltanschauungssymphonie“ und dem modernen Concerto per orchestra her. Kräftige Baßgrundierung und häufige parallele Quarten und Quinten charakterisieren Struktur und Klang. Die Höhepunkte sind von dramatisch-pathetischen Gebärden markiert, das ganze Werk zeigt einen, wenn auch traditionellen, so doch echten symphonischen Stil. Kurt Wöss war für alle Werke ein überzeugter und überzeugender Anwalt, die Tonkünstler zeigten sich in Bestform.

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