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Ave Ascona!

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Ave Ascona! Sei gegrüßt, du stolzes Tessiner Städtchen, das im ewigen Frühling des gottgesegneten Sonnensüdens von einer weiten Bucht des Lago Maggiore bis über die sanften Hügelhänge des Monte Verita, des sogenannten „Wahrheitsberges“, mit vielen Villeggiaturen hinaufklettert und das von mächtigen Alpenzügen an drei Seiten umkränzt wird.

Ave Ascona! Sei gegrüßt, du zweitausend Jahre alte arkadische Ortschaft mit den ernsten Zypressenalleen und gepflegten Palmengärten, mit deinen einst wehrhaften Kastellen und dekorativen Patrizierpalazzettos an der Piazza, mit deinen malerischen Steinstiegen und romantischen Torbögen in verwinkelten Enggäßchen, an denen die vielen fleißigen Seefischer ihre Heime haben.

Ave Ascona! Sei gegrüßt, du fromme Siedelung, aus deren Mitte der sdilankhohe romanische Turm der Wallfahrtskirche Madonna della Misericordia emporsteigt.

Am Hochaltar dieses altehrwürdigen Gotteshauses steht frei das goldgerahmte Oktogon des Gnadengemäldes, das zur Renaissancezeit von dem Asconer de La Gaia in starkleuchtenden, reinen Farben zur Verherrlichung der gebenedeiten Gottesmutter auf die acht aneinandergefügten Tafeln ausdrucksvoll gemalt wurde.

An den weißen Wänden des einschiffigen I^nghauses, das mit dunklen Holzkassetten flach überdeckt ist, hat man unter sorgsam abgeklopften Mörtelschiditen kostbare mittelalterliche Fresken aufgefunden: im Chor einen vielteiligen Bilderzyklus des Alten und Neuen Testaments, „die anschauliche Volksbibel jener Zeit“, auf den Längsseiten in übereinanderliegenden Reihen frühere Darstellungen der thronenden Maria und vieler hier besonders verehrter Heiligen, wie Bernhard von Siena, Antonius von Padua, Sebastian, Rocco, Veronika und eine wuchtige Riesenfigur des Christopherus. Die flankierenden Flächen beiderseits und oberhalb des gotisierenden Spitzbogens der Trennungsmauer von Chor und Kirchenschiff sind vollständig mit streng stilisierten, wunderbaren Wandbildern bedeckt, jubilierende Engelgruppen umschweben- das Medaillon des segnenden 'Ewig-vaters, daran setzen sich Szenen der Verkündigung, der Kreuzabnahme, die Glorifizierung Gottes und seiner himmlischen Heerscharen; all diese Vielfalt wird durch Form, Farbe und Rhythmik zu einer vollkommenen Einheit zusammengebunden. Ein großartiges Tedetim der Malerei ist diese harmonische Ausschmückung des hohen Hallenraumes, durch den der Atem Gottes weht, sie gilt als eines der herrlichsten Kunstdenkmale aus dem 15. Jahrhundert der Schweiz.

Diese würdige Basilika gehört zu dem umfriedeten großen Gebäudebezirk des „Collegio“, das als wohltätige Stiftung des einst in Rom verstorbenen Asconesen Papio gegründet und auch nach ihm benannt wurde. Die nunmehr als dreihundertfünfzigjährige, jetzt von Benediktinermönchen aus Einsiedeln musterhaft geführte Unterrichts-anstalt für Knaben ist zugleich eine der wichtigsten Kultstätten des Kantons Tessin. An die Kirche schließt sich unmittelbar der Kreuzgang des Kollegs an, eine berühmte Sehenswürdigkeit dieses wahrhaft an solchen Schätzen nicht armen Seegestades. In zwei geräumigen Geschossen hatte dort der entwerfende Architekt Pellegrini die von toskanischen Säulen getragenen Bogengänge angeordnet, unter deren Zwillingsgewölben marmorne Kartuschenwappen der vielen päpstlichen Förderer dieses Instituts zur Erinnerung untergebracht sind.

Der fruchtbaren Erde des von jenen Arkadenreihen rings umschlossenen Hofes entwachsen hohe feierliche Fächerpalmen, beständig blühende RosenFtöcke, wuchernde immergrüne Blattpflanzen und in um-zirkten Beeten das ganze Jahr vielfarbig aufbrechende, üppigste Blumendolden um einen uralten Ziehbrunnen. Welch ein stilles, weltabgeschiedenes, paradiesisches Gartengeviert von berückender Schönheit ist hier im „Chiostro“ entstanden!

In diesem ausgezeichnet akustischen Freilichtraum werden oft sehr stimmungsvolle

Abendkonzerte veranstaltet, dabei vermählt sich der Wohlklang musikalischer Instrumentalwerke mit der Sicht edelgegliederter Architektur und der prangenden Pflanzenpracht zu erhebenden Andachtsstunden.

Zwischen den vielen Schul- und Wohnzimmern liegt der im Jahre 1905 erbaute Theatersaal; er ist von der Straße aus direkt zugänglich und merkwürdigerweise gleicht seine Portalfassade einer Kirchenfront.

Auf der mit primitiver, aber zweckmäßiger Technik ausgestatteten Bühne wird von den Schülern des Collegios alljährlich zur Fastnacht und bei besonderen anderen Gelegenheiten großes Theater in italienischer Sprache gespielt. Die öffentlichen Vorstellungen brachten in der letzten Zeit Aufführungen von „Turandot“ (Gozzi), „Das Volksschauspiel von Doktor Faust“, „Jedermann“ (Hofmannsthal), „Das Leben ein Traum“ (Calderon), „Der Hochstapler“ (Goldoni); aber auch neuere Literatur wird gepflegt: „Das Postamt“ (Tagore), „Die andere Seite“ (Sheriff), „Der ölkrug“ und „Das Patent“ (Pirandello). Gewiß ein sehr ansehnlicher Spielplan, an dem sich manche große Bühne ein Beispiel nehmen könnte.

Der ungemein kleine Spielraum von nur vier Meter Biihnenbreite fordert eine bewußte Konzentrirrung der Schauplatzausstattungen, die hier in moderner, wirkungsvoller Art für die dramatischen Vorgänge , gefunden wurde. Der Kunst-geschichts- und Zeichenprofessor P. Hugo Sander leitet umsichtig alle Aufführungen als Regisseur und vorzüglicher Bühnenbildner. Seine ideelle Auffassung dieser Aufgabe erläutert er: „Seit Jahren suche ich unseren Vorstellungen einen klaren, dem Stück jeweils entsprechenden Stil zu geben, sowohl in Dekoration und Kostüm wie auch in der Diktion und Bewegung. Darum werden die Spieler rhythmisch und phonetisch sorgfältig vorbereitet. Die Freude an der Pracht benediktinischen Gottesdienstes strahlt auch auf unsere Schaustücke und gibt ihnen eine gediegene, festliche Note. Die gewissenhaft durchgestalteten

Bühnenbilder fanden zu unserer. Freude auch in Fachkreisen besondere Anerkennung. Mein Streben geht nun dahin, in allem mich genau an die Grenzen zu halten, die einem Schultheater unbedingt gesetzt sind, und ich will eine Gestaltung des Ganzen schaffen, die sich aus den hier gebotenen Möglichkeiten ergibt, ohne das Berufstheater nachahmen zu wollen, aber auch ohne in alten, herkömmlichen Formen zu erstarren.“

Mit großzügiger Einfachheit werden die Szenerien von dem Künstler organisch aufgebaut. Vor tiefschwarzem Samthorizont stellen sich die oft nur auf charakterisierende Silhouettierung gebrachten Satzstücke, Paravents, Velarien und die geschickt bemalten Kulissenwände: auch die Requisiten zeigen die gleich eindrucksvolle, typische Zeichnung. Eine sinnreich angeordnete regulierbare Beleuchtungsanlage holt aus dieser Miniaturbühne überraschende Tiefenwirkungen und Vortäusdiung von Ferne und Luftperspektive mit wohldurchdachten Lichtmitteln verblüffend heraus, daß man dadurch die Enge nicht merkt; die Schauplätze scheinen räumlich erweitert.

Zu dem Gesamteindruck passen die einheitlich stilisierten Gewänder, in denen sich die knabenhaften Sdiüler auch für Männer — und für alle weiblichen Rollen so maskieren, daß die Darstellung durch erwachsene Personen glaubhaft wird. Mit jugendlichem Elan und angestammter Theaterbegeisterung sprechen die Jungen gewandt wie Berufsschauspieler italienische Verse und Prosa.

Was hier von diesem Katheder der Kunst aus im ruhigen, zielbewußten Schaffen durch fortschrittliche Gesdimacksbüdung und gründliche Schulung des Schauens mit allem Feingefühl geleistet worden, das kann als bestes heutiges Theater bezeichnet werden, man sprich ja bereits von dem dort geprägten Bühnenstil des Teatro Papio. Wie wohltuend wirkt eine solch ehrliche, abgeklärte Weise gegen das heutzutage übliche Getriebe in der allgemeinen Theaterwelt!

Es hat sich daher der Ruf dieser vorbildlichen Sdiulbühne de? Collegio schon weit verbreitet; nicht nur aus Ascona und seiner nächsten Umgebung, sondern auch von allen Teilen des Tessin kommen viele getreue Besucher — einfache Fischer und Handwerker, Bauern und Bürger, wie auch die hier ansässigen Künstler, Dichter und Musiker — zu den Veranstaltungen, die in lebendiger, anregender Weise nicht nur die Jugend dieser „Palaestra virtutis“, sondern auch alle Bevölkerungsschichten zum Verständnis von Kunst, Dichtung und Darstellung erziehen können.

Auch darum: Ave Ascona!

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