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Bartök oder Mozart verändern die EEG-Frequenz

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Was hat Musiktherapie mit Wissenschaft zu tun? Kann man die heilende Kraft der Musik messen?- Die vielen Musikerkrankheiten - von der Sehnenscheidenentzündung bis zu Hörschäden, vom Streß des Solohornisten, die der Musikphysiologe Eckart Altenmüller aus Hannover unlängst „Apolls Strafe" genannt hat, liegen schmerzhafter, sichtbarer, erfaßbarer vor uns als die heilende Wirkung von Musik.

Was geforscht wird - von Forschern, die durchwegs intensive Hobby-Musiker sind, ist verdienstvolle und langwierige Wegbereitung zu den Fragen: Was ist Musik hören? Was passiert beim Spielen eines Instrumentes? Dient die Beschäftigung mit Musik der Erhaltung des Individuums? Allerdings - „Wir erfassen nicht einmal den Kernteil dieses Phänomens, aber sammeln doch objektive Daten und gehen mit wissenschaftlichen Techniken heran", erläutert Giselher Guttmann, Ordinarius für Psychologie, die Vorgangsweise. An der Wiener Universität versucht man seit den vierziger Jahren, sich langsam dem Phänomen des Musikhörens anzunähern. Hellmuth Pet-sche, emeritierter Neurophysiologe, möchte es eher „Musik-Erleben" nennen. Noch ist man weit davon entfernt, die Feinheit des Ohrs mit der Technik wahrzunehmen.

„Musik ist immer Kunst und Wissenschaft zugleich", bekräftigte der Musikpsychologe Erich Vanecek eine alte Weisheit beim Symposium „Musik und Gesundheit" an der Uni Wien im Mai 1995: „Fortschritte in der Musik können ohne wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre Ausnützung gar nicht denkbar sein." Und Vanecek bedauert im selben Atemzug, „daß es wichtige Gebiete gibt, auf denen es bislang noch nicht in befriedigender Weise gelungen ist, musikwissenschaftliche Erkenntnisse praxisadäquat umzusetzen."

Wie wird untersucht? Elektroden werden in einem feinen, standardisierten Raster am Kopf plaziert, die Verläufe der Hirnströme in eine Farbgrafik übersetzt.

Was kann man erkennen? Petsche unterscheidet aktives und passives Musikhören. Eine Versuchsgruppe mit Studenten mit Musikausbildung stellte beim Hören eines Mozart-Streichquartetts wesentlich mehr Verbindungen zwischen Gehirnregionen her als jene ohne Musikausbildung. Petsche wies eine Art geistigen Musizierens nach, das bei musikalisch Ausgebildeten selbst in Ruhe höhere Grade der Verknüpfungen zwischen den Gehirnregionen zeigte als bei der konträren Versuchsgruppe.

„Man kann bloß die Aufmerksamkeit für das Musikhören sichtbar machen", sagt Petsche und erteilt jeder Form des „musikalischen Gedankenlesens" eine Absage.

Musiker und Wissenschaftler suchen gerade in Europa besonders intensiv den „missing link", der beiden Gruppen nützlich sein kann. Wüßte man mehr voneinander, wünscht sich Vanecek, könnte Musikausübung weit weniger als Belastung empfunden werden, sondern als die „vom Himmel geschenkte Gabe, mit der wir am Instrument genau den Alltagsstreß, unter dem wir leiden, bewältigen können." Unter Einbeziehung musikpsychologischer Erkenntnisse - wie der Tonvorstellung ■— müßten Instrumentallehrer ihre Methode hinterfragen und dürften nicht länger Mißerfolge dem Schüler anlasten, sondern sich - wie Vanecek sagt - „in ihm den kleinen Backhaus oder den kleinen Casals" vorstellen.

Eine Objektivierung für die intensive Gehirnarbeit des Voraushörens und Vorausmusizierens fand Petsche gemeinsam mit Peter Janata. Zwanzig Musikstudenten wurde eine klassische Kadenz — also eine Dreiklangfolge - zum Hören angeboten, vor der Auflösung gab es eine Sekunde Pause. Das EEG zeigte: die verschiedensten Hirn-Regionen reagierten auf jede der drei angebotenen Auflösungen - tonarteigener Akkord, Mollakkord und tonfremder Akkord - unterschiedlich in verschiedenen EEG-Frequenzbändern. Das Hirn arbeitete intensiv beim gedanklichen Vorausmusizieren.

Kann man Freude, Angst und Trauer beim Musikhören in den Hirnströmen nachweisen? Eine Studie der medizinischen Hochschule Hannover versuchte das und wählte folgende Musikstücke aus: Für die Freude Mozarts Flötenkonzert in G-Dur, für Angst Bartöks Konzert für Streichinstrumente, Celesta und Orchester, für die Trauer das berühmte, Wunschkonzert-geschädigte, Adagion von Albinoni. Das Professorenteam konnte musikspezifische und biologische Veränderungen der EEG-Frequenzen nachweisen.

Das Ausmaß der heilsamen Wirkung von Musik ist jener von Psychopharmaka vergleichbar. Über die musiktherapeutische Schmerzbehandlung berichtete Erich Vanecek in der Zeitung der Hochschule für Musik und darstellende Kunst: Ausgehend von der Beobachtung, daß Musik meßbare physiologische Reaktionen des Körpers hervorrufen kann - wie das Ansteigen der Herztätigkeit oder Veränderungen der Hautfeuchtigkeit, kann sie - was Worte nicht können -Schmerzen lindern. Auch Ekstasetechniken vieler Naturvölker führen zu Schmerzhemmung - wenn Brandwunden entstehen, ist der Gang über glühende Kohlen schmerzlos.

Die Musik kann Angst lösen: Sie ist angenehme Ablenkung und entzieht dem Schmerzauslöser die verstärkende Konzentration. Musikkonsum hilft Patienten, Angst und die Schmerzerwartung abzubauen; Verkrampfungen lösen sich. Sogar ein besonderes Anti-Stresshormon wird nachweislich beim Musikhören ausgeschüttet, darunter ist auch das schmerzblockierende Endorphin. Diese Erkenntnis haben sich Anästhesisten und Zahnärzte zunutze gemacht.

Allerdings: Nikolaus Harnoncourt sagte einmal im ORF-Interview, daß ihn das leise plätschernde Mozart-Konzert bei seinem Zahnarzt mehr aufrege als beruhige. Vermutlich, weil er gleich mitdirigieren will.

Wem nützt die wissenschaftliche Erkenntnis? „Dort, wo sich Wissenschaft und Pädagogik treffen, ist die Kunst", sagt Vanecek. Das, was aus der Zusammenarbeit mit der Therapie gewonnen wird, könne auch der Musikerziehung und der Instrumentalmusik zugute kommen: Musikhören und Musikausüben erfordere einen globalen Einsatz des Gehirns, sagt Petsche. Mozart macht klüger: Nach dem Hören von Mozarts Musik werden im Gehirn mehr Verbindungen aktiviert, die die Lösungen von Raumvorstellungsaufgaben begünstigen.

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