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Bayreuth: Wandlungen des Wagner-Bildes

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Auf der alljährlichen Hauptversammlung der „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth” registrierte Wieland Wagner in eigener Sache, daß es — im Gegensatz zu der regnerischen Trübheit außerhalb des Festspielhauses — auf der Bühne zusehends heller werde, was manchem Kritiker, der um das „revolutionäre” Neu- Bayreuth besorgt sei, sicherlich nicht gefalle. Er werde indessen in den nächsten Jahren überhaupt mit neuen Konzepten aufwarten, nachdem die „lebensgefährliche Lücke” zwischen der Inszenierungsweise von Wagners Werken und dem derzeitigen Stand der bildenden Kunst geschlossen sei.

Das ist natürlich nicht so zu verstehen, als ob die Bayreuther Szene nun eingegliedert sei in den Entwicklungsprozeß etwa der modernen Malerei. Es konnte hier nur darum gehen, die gleiche Sicht zugrunde Zti legen — was in erster Linie bedeutet: Verwesentlichung. Aber interessant wäre es schon, zum Beispiel das malerische Element des von Wieland Wagner erheblich revidierten zweiten „Meistersinger”- Aktes unter kunstästhetischem Aspekt zu untersuchen: Was herauskäme, hätte zweifellos gar nichts mit moderner Kunst zu tun; dieses Bild, mit der Diffusität eines Dufy und den Farben eines Chagall, ist reiner Impressionismus. In dieser Richtung wird es also weitergehen: Aufhellung und womöglich Verdeutlichung - selbstverständlich ohne Preisgabe des abstrahierenden Prinzips.

Man gelangt bei Richard Wagners Werk, wenn man es konsequent inszeniert, immer wieder an Bereiche reduzierter Kunst. Realisierte man die „Blumenmädchen”-Szene im „Parsifal”, den „Venusberg” im „Tannhäuser”, vielleicht auch Teile des zweiten Aktes der „Meistersinger” genau so wie das alles gemeint ist (was man schon lange nicht mehr tut!), dann stellten sich unabweisbar operettenhafte Züge ein: vor allem deshalb, weil dem Sinnenhaften bei Wagner jede Ursprünglichkeit abgeht. Sein Enkel Wieland sucht dieses Problem choreographisch zu lösen — aber ihm fehlt die ganz starke künstlerische Persönlichkeit, die ihm zur Seite stehen könnte. Auch die Einschaltung Harald Kreutzbergs im dritten „Meistersinger”-Akt ist nicht glücklich: die Ausdruckspantomime, die den Folklorehintergrund der Zunftszenen erweckt, wendet sich einseitig an den Zuschauer: das auf den Rängen der Festwiesenarena versammelte „Volk” sieht nur, wie der Tänzer seine Embleme wechselt und wird dadurch überhaupt zur Staffage. Den Eindruck des Nur-Dekorativen verstärkte der völlig überflüssige Nürnberg- gobelin, eine Konzession an die Traditionalisten.

Das „Einlenken” war durchweg auffällig: das Bild der „Johannisnacht” wies eine das Spielpodest umschließende Balustrade auf. das Haus Pogners war angedeutet, auf dem tiefblauen, eigentlich mehr violetten Hintergrund sah man Giebelkonturen, der etwas massive Ballon von einem Holunder war aufgelöst in verschiedene freischwebende Bälle, von denen einer hinter Sachsens Bank den üblichen Bühnenbäumen gar nicht unähnlich schien. In der .,Schusterstube” war das Johannessymbol an die Seite gedrängt žugunsten einer Zimmerrahmung, die dem Bild viel von seiner Bedeutung nahm. Bei allen Bedenken im Detail aber war die auch in der Führung der Personen durchgreifende „Meister- singer”-Revision. die nach den bisherigen Erfahrungen mit Inszenierungen Wieland Wagners nicht überraschen konnte, das szenische Ereignis der diesjährigen Festspiele.

Ein zweites war im Bereich des Musikalischen zu verzeichnen: das erstmalige Erscheinen des 3 5jährigen Wolfgang Sawallisch am Bayreuther Dirigentenpult. Ihm war die Premiere dieses Jahres anvertraut: „Tristan und Isolde” in der Inszenierung Wolfgang Wagners. Schon das Vorspiel zum ersten Akt ließ aufhorchen: welche Klarheit und Durchsichtigkeit, welche Fülle von Abstufungen . . .! Und dann erstand ein „Tristan”, wie man ihn nach dem Kriege wohl noch nicht vefnahm: ohne jedes Pathos, nicht vordergründig „dramatisch”, aber alles andere als „unterkühlt”; durchgehört bis in die letzten Winkel der Chromatik und der Klangfarben. Diese souveräne Disposition war erstaunlich und mehr als ein Wechsel auf die Zukunft. Die fast kammermusikalische Dürchgestaltung des zweiten Aktes und den bei aller Intensität in großer Ruhe aufgebauten dritten dürfte ihm schon heute kaum ein Dirigent nachvollziehen — nicht mit dieser Sensibilität und mit solcher inneren Klarheit.

Inszeniert hat, wie gesagt, der jüngere der Wagner-Enkel. Er hatte ein diskutables Konzept: das „Metaphysische” spiegele sich nur in dem Paar; die anderen stünden außerhalb oder am Rande des Bannkreises und seien auch so geführt. Leider war der Bühneneindruck ein ganz und gar statuarischer; bisweilen so. als habe der Inszenator versäumt, die Figuren auch zu bewegen, nachdem er sie in den Raum gestellt.. Hatte man sich erst einmal durch das Suggestive der Musik hindurchgehört, so blieb eine Kargheit, die nicht zur Kunst gediehen war und daher manchmal .langweilte. Für das „zeltartige Gemach” — hier war die ganze Bühne „Zelt” — war ein angeblich immaterieller Stoff benutzt, nämlich „Plastik”, der ein Merkmal dieser Inszenierung sehr deutlich machte: die vom Material, im weitergefaßten Sinne von der Materie, gesetzten Grenzen. Wenn im zweiten und dritten Aufzug Mauern gezogen wurden, um das Eingeschlossensein der Liebenden in der nur ihnen zugehörigen „Nacht” zu demonstrieren, so beruhte das auf einer unschlüssigen Konzeption: diese Nacht gibt es ja im Grunde nicht, auch nicht als nur gedachte, wesenhafte Existenzmöglichkeit. Tristan und Isolde können folglich auch nicht in sie „eingehen”; sie ist nur das „Bild” ihrer Liebe. Das Paar leistet gewissermaßen Verzicht auf die Erfüllung; es bereitet die Entsagung Kundrys vor, das Walten des Mitleids (wie alle Werke Richard Wagners eine Vorbereitung auf „Parsifal” sind — Enzio Borrelli sagt darüber im Programmheft sehr Stichhaltiges). Tristan und Isolde dürften also nicht eingeschlossen sein ohne Ausblick, wie auch ein Werkstoff nicht „immateriell” ist, sondern nur ein Surrogat von Materie. — Es ist keine Frage: hier gebrach es an Formkraft. Das Wirken der beiden Brüder unterscheidet sich nicht nur im Hinblick auf die künstlerischen Auffassungen voneinander.

„Parsifal” stand im Zeichen des Dirigenten Andrė Cluytens, der am Abend zuvor — bei den „Meistersingern” — nicht so recht zusagen wollte (ungeachtet der sorgsamen lyrischen Zeichnung und guten Proportionierung schien das Klangbild gegenüber dem von Wolfgang Sawallisch merklich vergröbert; wer die asketischernste. in machtvoller Breite angelegte Knap- pertsbusch-Deutung der „ParsifaT’-Partitur als letztgültige Realisierung ansieht, mag mit der aufgelichteten, farbigen, ins Versöhnliche zielen1 den Ausdeutung des Flamen nicht einverstanden sein. Aber auf die Wirkung Wägners in unserer Zeit kommt es in Bayreuth doch- wohl letztlich an.

Wieland Wagner hat farblich einiges geändert; seine Vorliebe für Blau-Violett war in diesem Jahr offenkundig. Die -beiden Welten — die Klingsors und die des Gral — würden in ihrer Gegensätzlichkeit noch stärker als in den Vort.ditrrr.-herausgeteUt. (.wnehmüpfc,,durch Personalregie. An keiner anderen Inszenierung — „Tannhäuser” vielleicht ausgenommen — wird derart deutlich, wie sehr Wieland- Wagner der Enkel seines Großvaters ist: wie er gleich ihm von einem Extrem ins andere gerissen wird, von der sakralen Askese in sinnliche Emotionen und Umgekehrt, und wie er dieser Zerrissenheit dennoch kraft seines Kunstverstandes Herr wird.

„Tristan und Isolde” war fast ausschließlich mit Kräften besetzt, die zum erstenmal auf dem Grünen Hügel sangen oder zumindest erstmalig die betreffende Partie übernommen hatten. Birgit Nilsson war eine überragende Isolde; Wolfgang Windgassen hat sich den Tristan mit großem Ernst erarbeitet, verfügt aber nicht ganz über die Mittel seiner Partnerin. Grace Hoffmann war eine ausdrucksstarke, etwas zu „metallische” Brangäne (eine Verdi- Stimme etwa), Marke (Arnold van Mill) und vor allem Kurwenal (Gustav Neidlinger) konnte man sich nicht besser wünschen. Den Hans Sachs in den „Meistersingern” gab Otto Wiener: da meditierte kein bärtig-germanischer „Schuster und Poet dazu”, sondern eine relativ junge, tatkräftige Persönlichkeit suchte zu erkennen, was ist und was not tut. Stimmlich wuchs der Künstler von Akt zu Akt; zwar verfügt er nicht über das Volumen berühmter Vorgänger, aber gerade sein schlankeres Organ stimmte gut mit dem Regiekonzept überein (zumal der Sachs nicht — wie im vergangenen Jahre — mit der Wagner-Maske auftrat). Elisabeth Grümmer traf (als Eva) vollkommen den Ton, der ihr hier auferlegt war: „femme inspiratrice” zu sein, ohne darum zu wissen. Unvergleichlich war wiederum der Beckmesser Karl Schmitt-Walters; der Pog- ner von Gottlob Frick wirkte durch die Kraft seiner Stimme und seiner Persönlichkeit. Nur Josef Traxel hatte sich — mit dem Stolzing — übernommen. Im „P a r s i f a 1” sang Astrid Varnay zum erstenmal die Kundry: sie ist der alternierenden Martha Modi in den hohen Lagen überlegen, vermochte aber im Ausdruck und in der Gebärde nicht restlos zu überzeugen. Dazu muß man wohl erwähnen, wie großartig Ramon Vinay in die Parsifal-Partie hineingewachsen ist, und wie nobel — selbst noch im „Schmerz”, der ja nicht naturalistisch gedeutet weiden darf — George London den Amfortas. gab. (Auch rein stimmlich hielt seine Leistung der Erinnerung an Fischer-Dieskau stand.)

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