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Beeinflußt Technik die Phantasie?
In einem Interview mit dem in Siebenbürgen in der damaligen Donaumonarchie geborenen Hermann Oberth gesteht der deutsche Pionier der Raketentechnik, daß Jules Vernes Roman über die Reise „Von der Erde zum Mond” (1865) Ausgangspunkt seiner Forschungen war. Der Pionier der Science-fiction-Literatur, der zu den Weltausstellungen geht und den Stand der technischen Forschungen seiner Zeit erhebt und literarisch verlängert, wurde also zum Impuls für die Wissenschaft, die Lebensräume des Menschen mit Hilfe der Technik zu erweitern.
Die als spektakulärste Ausstellung in der Geschichte der Kunsthalle gefeierte Schau „ Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert” zelebriert genüßlich die ewige Sehnsucht des Menschen nach Uberwindung von Zeit und Raum. Mit der „Wunschmaschine” Computer sind wir diesem alten Traum ja schon recht nahe gekommen. Es läßt sich deshalb auch leicht voraussagen, daß die Computerinstallationen die stärksten Anziehungspunkte der von der Stararchitektin Zaha Hadid gestalteten und Brigitte Felderer, Herbert Lachmayer und Lore Louis zusammengestellten Ausstellung sein werden. Sowohl die telematische Installation für zwei Betten in zwei Räumen und einem Video-Link, die es ermöglicht, am Bildschirm virtuell miteinander zu kuscheln, als auch der mittels „Earth-Tracker” gesteuerte Flug vom Weltraum auf jeden gewünschten Punkt der Erde gehören zweifellos zu den Hauptattraktionen.
Die Frage, welche Auswirkungen die Technik auf unser Leben, auf unsere Phantasie und überhaupt den Zustand dieser Erde hat, tritt dabei völlig in den Hintergrund. Freilich, zum Einstieg in das Thema befindet sich am Eingang eine Videoübertragung von.Breughels berühmtem Gemälde des Turmbaues zu Babel aus dem Kunsthistorischen Museum, in dessen Hintergrund sich die Konturen des Betrachters drücken und das Bild deformieren. Diese Bildmanipulation von Peter Weibel drückt natürlich die Hy-bris des Menschen, den Himmel erreichen und Gott gleich sein zu wollen, ganz gut aus, doch insgesamt repräsentiert diese Ausstellung mehr der auf eine der Verbindungslinien ziehenden Wände gezeichnete, fliegende Dädalus. Er symbolisiert in gewisser Weise die gelungene Überwindung der physischen Beschränktheit des Menschen mittels Technik.
Daß technische Erfindungen dem Menschen einerseits das Leben außerordentlich erleichtert und seine Möglichkeiten erweitert haben, ist keine Frage, daß sie auf der anderen Seite jedoch auch ungeheure Einengungen mit sich gebracht haben, ist unter anderem am Beispiel der Architektur -einem der drei Schwerpunkte dieser Schau - am augenscheinlichsten. Zu sehen sind etwa Abbildungen von sternförmigen Gefängnissen, die in der Folge der französischen Revolution geplant wurden und bei denen die Insassen von der im Zentrum sitzenden Person überblickt werden konnten, oder Skizzen von Fabrikstädten, die nur ganz bestimmte Bewegungsäbläufe zulassen sollten. Die Unterordnung der menschlichen Tätigkeiten unter die technischen Erfordernisse des Produktionsprozesses hat bis heute kein Ende gefunden.
Doch die Inszenierungen dieser Ausstellung lassen zwar einen kritischen Blick auf die durch Technik verursachten Versklavungen zu, doch es führt den Betrachter letztlich in jene durch Technik erzeugte Behaglichkeit, wie sie in jenem zigarrenför-migen Gerät zum Ausdruck kommt, das man sich wie einen Sturzhelm auf den Kopf, und sich selbst damit (virtuell) ins Wohnzimmer setzt. Die Problematik eines trichterartigen Mega-gebäudes wird an dem legoähnlichen Modell, das zu sehen ist, nicht unmittelbar erkennbar. Denn hinter all den Technikvisionen steht immer auch ein bestimmtes Welt- und Menschen-
Verständnis, das hinter den hier aufwendig angebrachten technischen Spielereien verborgen bleibt.
Auch die motorisierte Projektion auf einer zwölf Meter langen Schiene, bei der eine Fahrt durch den menschlichen Körper simuliert wird, macht nicht deutlich, welche gesellschaftspolitischen Gefahren hinter der doch eher einer despotischen Phantasie entspringenden Idee des gläsernen Menschen lauern, sondern stellt die Entdeckerlust in den Vordergrund. Der spielerische Charakter der kon-zeptuell sicherlich neuartigen Ausstellung wird auch dadurch betont, daß die Beschriftungen der ausgestellten Objekte, von denen viele noch nie in Österreich zu sehen waren, ganz gezielt sehr kurz gehalten sind.
Ob allerdings die Kunst damit nicht ihren immanent kritischen Ansatz und ihre Bewußtsein schaffenden Möglichkeiten aufgibt, drängt sich von einem anderen Blickwinkel aus zumindest als Frage auf. So mag es vielleicht kein Zufall sein, daß die (doppelte) Nennung der Sponsoren bei der Pressevorführung ganz am Beginn stand. Es bleibt am Ende der Eindruck zurück, daß sich die Kunst durch Wirtschaft und Technik noch ein Stück weiter ihres kritischen Potentials hat berauben lassen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seitdem 18 Jahrhundert. Kunsthalle Wien
Am Karlsplatz, JVien 1. Bis 4. August 1996 täglich außer Dienstag von 10 bis 18 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr.
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