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BEETHOVEN UND LAIBACH

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Im Mai 1819 schenkte Beethoven das Manuskript seiner in Heiligenstadt geschriebenen VI. Symphonie, der sogenannten Pastoralsymphonie, der Philharmonischen Gesellschaft in Laibach zum Dank dafür, daß diese ihn zum Ehrenmitglied ernannt hatte. Aber noch eine weitere Beziehung besteht zwischen dieser Symphonie und der Gegend um Laibach. Der erste Satz mit der Überschrift „Erwachen heiterer “Empfindungen bei der Ankunft auf dem Lande“, ein „Allegro, ma non troppo“, enthält ein einfaches, ländliches Hirtenthema, das durch die ruhende Quinte in den Bässen die ländlich-beschauliche Grundstimmung unterstreicht. Dieses Thema hat außerordentlich starke Anklänge an eine alte Volksweise aus Krain. Darum hat der Rundfunksender Laibach nunmehr das Hauptmotiv des ersten Satzes der „Pastorale“ zu seinem neuen Sendezeichen gewählt. Es mahnt die Hörer immer wieder an die freundlichen Beziehungen, die Beethoven mit Laibach verbanden. Wir geben im folgenden einen Überblick über die Geschichte der Entstehung und Entwicklung der „Philharmonischen Gesellschaft in Laibach“, der ältesten Institution dieser Art in Europa. Denn die Laibacher Philharmonie ist um 140 Jahre älter als die Wiener und gar um 180 Jahre älter als die Berliner Philharmonie.

Krain, der jugoslawische Norden und seit den ältesten Zeiten ein Durchgangsland, war schon in den grauen Zeiten Walthers von der Vogelweide und Wolframs von Eschenbach eine tönende Harfe und ist es bis heute geblieben. In seinem Werk „Schwerter und Spindeln“ schwärmt Friedrich von Gagern für Krain: weil exemplarischestes aller Lande, ist es gleichzeitig Schloß, Schlüssel und Behältnis vieler Dinge.

Eine „schmucke Stadt österreichischer Architektur, ein wenig Graz, ein wenig Salzburg, ein wenig Wien“, ist Krains Hauptstadt Laibach. Sie wird zum erstenmal 1144 in der deutschen Form „Laybach“ urkundlich erwähnt; „Liuvi-gana“ aber wird zwei Jahre später in einer Urkunde genannt, welche Form dem slowenischen „Ljubljana“ von heute entspricht.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts war Laibach, damals ein Gemeinwesen von 20.000 Seelen, das Einfallstor für die damals vorherrschende italienische Musik nach dem deutschen Norden. Schon 1660 wurde im Ballhaus zu Laibach die erste „welische“ Oper aufgeführt, zehn Jahre früher als in Paris! Was Wunder, wenn das an geistigen und edlen Genüssen damals so überreiche Laibacher Stadtleben mit seiner Pflege der Kirchenmusik, des Lautenspiels und Gesanges immer mehr nach einem musikalischen Sammelpunkt drängte.

„Am 8. Jänner 1702 hat die Akademie der H. H. Philharmonicorum den Anfang genommen. Der Anfenger ist Herr J. Berthold von Höffer, bei dem sich 14 eingefunden und den Schluß gemacht und ihme zum Direktor ge-situiert.“ So lautet die älteste Geschichtsquelle über die Gründungsversammlung des Vereins Academia Philo-Harmonicorum, wie Höffer ihn nannte, oder — wie wir auch oft lesen — „der Akademie der Herren Philharmonischen“.

„Am 30. Juli 1702 hat die Akademie der H. H. PkilharmoHicorum ihre erste acta publica am Wasser Stromb Layback mit Eeuerwerch solemniter gehalten, welch acta zu sehen die ganze Stadt zugeloffen und alle Schaff bis auf ein Dienst gehabt, auch nicht genug vorhanden waren, die leuth zu bedienen.“

„Den 3. Jänner 1703 umb 2 Uhr nach müttag langte allda zu Wasser an mit einer kleinen Suite Prinz Eugenius von Savoyen, der die kaiserlichen In welschland Comandirt, selben abends wurde er von dem Graf handthieri anselich traktiert, deme zu Ehren die H. H. Academici philhar-monici ein extra schöner Musik präsentirt, der sich verlauten lassen, daß er nicht sobald ein so schöne Musik gehört.“

Solche zeitgenössischen Berichte ließen sich in langer Reihe bis auf die Tage des Zusammenbruchs der Donaumonarchie vor 40 Jahren fortsetzen, allein hier kann ja nur ein Überblick geboten und nur der bedeutsamsten Ereignisse und schönsten Erfolge gedacht werden, an denen die Laibacher Philharmonie allerdings überreich ist.

Ein Höhepunkt in der Gründerzeit war das Hofkonzert, das der Verein anläßlich der Krönung Karls VI. zum deutschen Kaiser 1728 in den Zimmern des Herrschers gab. Von 1794 bis 1802 war die Zahl der Mitglieder von 19 auf 122 gestiegen. Die Spitzen der Gesellschaft, dreiundzwanzig Priester, die Blüte der Bürgerschaft waren Mitglieder des Vereins, der damals über ein Orchester von 25 Musikern und über einen Chor verfügte, in welchem auch Domherren spielten und sangen.

Im Jahre 1800 hatte die Laibacher Philharmonie bereits ein so hohes Ansehen, daß Joseph Haydn, der Schöpfer des klassischen Musikstils, die Ehrenmitgliedschaft nicht nur angenommen, sondern auch dem Verein eine (leider verlorengegangene) Messe in C-dur gewidmet hat. Sie wurde am 28. Dezember 1800 in der Laibacher Jakobskirche aufgeführt. In Haydns Dankschreiben an die Philharmonische Gesellschaft heißt es: „Ich erkenne die Ehre, so mir die philharmonische Gesellschaft in Laibach durch ihre Einladung erzeigt, und weiß solche zu schätzen, nur bedaure ich, daß ich ihr mit meinem Beitritt nicht viel nützlich sein werde.“

Als die Gesellschaft 1819 wagte, dem großen, wegen „ebensoviel Launen, als wenig Dienstfertigkeit“ schwerer zu nehmenden Beethoven, die gleiche Ehrung anzubieten, nahm sie mit stolzer Freude die Anerkennung entgegen, die der Vollender der klassischen Musik in seinem Dankschreiben zum Ausdruck brachte. Geradezu rührend ist die Bescheidenheit des gefeiertsten unter den Tondichtern, der „mehr war als ein Mensch“, wenn er von seinen geringen Verdiensten um die Tonkunst spricht:

„Den ehrenvollen Beweis, welchen mir die würdigen Mitglieder der philharmonischen Gesellschaft als Anerkennung meiner geringen Verdienste in der Tonkunst dadurch gegeben haben, daß sie mich zu ihrem Ehrenmitgliede erwählt haben und mir das Diplom durch Herrn Magistratsrath v. Tuscher haben zustellen lassen, weiß ich zu würdigen und werde zu seiner Zeit als einen Beweis dieser meiner Würdigung ein noch nicht öffentlich erschienenes Werk durch obgedachten Herrn Magistratsrath v. Tuscher an die Gesellschaft die Ehre haben, gelangen zu lassen. So übrigens die Gesellschaft meiner bedarf, werde ich jederzeit mich dazu bereit finden lassen.

Der philharmonischen Gesellschaft ergebenstes Ehrenmitglied

Ludwig van Beethoven.“

Das versprochene Werk ist die berühmte Sechste Symphonie, deren geschriebene Partitur mit Rötelzeichnungen von Beethovens Hand als kostbarer Schatz im Archiv der Laibacher Philharmonie behütet wird.

Zur Zeit des Laibacher Kongresses, 1821, spielte die Philharmonische Gesellschaft in „einundzwanzig gewöhnlichen und siebzehn außerordentlichen Akademien“ — die Bezeichnung Konzert finden wir erst nach 1836 — vor einem „Parterre von Kaisern und Fürsten“. In den nun folgenden Jahren klingt die „große Zeit“ noch in mannigfachen glänzenden Aufführungen nach. Georg Hellmesberger, Paganini und der widerborstige Johannes Brahms geben eigene Konzerte und werden Ehrenmitglieder. Des großen Mozart Sohn, Wolfgang Gottlieb, kommt nach Laibach und spielt in einer Akademie des Philharmonischen Vereins.

Allein im Winter 1827/28 wurden (nur von Liebhabern aus dem Gesellschaftskreis!) sieben Opern, darunter der „Freischütz“ von Weber, aufgeführt. 1837 wurde ein Konzert gegeben, dessen Vortragsordnung nur Tonstücke von Mozart enthielt; der Ertrag des Konzertes kam dem Mozart-Denkmal in Salzburg zugute.

Nachdem die Gesellschaft 1816 eine eigene Musikschule errichtet hatte, trat sie 1832 in unmittelbare Beziehung zur 1815 „von höchster Hofstelle bewilligten“ öffentlichen Musikschule, die mit Hilfe des landschaftlichen Trompeterfonds ins Leben gerufen und fortab von der Philharmonischen Gesellschaft überwacht wurde. Es verdient erwähnt zu werden, daß sich um die Stelle des öffentlichen Musiklehrers mit anderen zwanzig Musikern auch Franz Schubert bewarb.

Seit 1891 im eigenen Hause, der stattlichen und prunkvollen Tonhalle auf dem Kongreßplatz, feierte die Gesellschaft 1902 unter Mitwirkung von Mitgliedern der Hofoper und der Philharmoniker aus Wien ihren 200jährigen Bestand. Die gesamte Musikwelt des In- und Auslandes nahm daran lebhaften Anteil.

Aber auch an der Laibacher Philharmonie war der im alten Oesterreich-Ungarn immer mehr und mehr sich ausbreitende Nationalitätenkampf, waren die revolutionären Vorgänge, die in der Hauptstadt des Kronlandes Krain immer häufiger zutage traten, nicht spurlos vorübergegangen. Schon 1872 wurde ein slowenischer Musikverein, „Glasbena Matica“, gegründet, der anfangs nur das Volkslied pflegte. Bald aber wurden auch größere Musikwerke, meist slawischen Ursprungs, aufgeführt. Eine slowenische Musikschule wurde gegründet. So trat die „Glasbena Matica“ in Wettbewerb mit der Philharmonisehen Gesellschaft, der somit ein Teil des Bodens entzogen wurde, auf dem sie groß geworden. Nunmehr nur noch vom deutschösterreichischen Teil der Laibacher Bevölkerung getragen, strich die Philharmonische Gesellschaft die früher oft gesungenen slowenischen Chöre aus ihren Vortragsordnungen.

Finden wir 1810, zur Zeit der französischen Besetzung Laibachs, nur die Aufzeichnung: „1810. Französische Regierung. Gänzlicher Stillstand des gesellschaftlichen Vergnügens“, so wurde im Krisenjahr 1919 die Laibacher Philharmonie als deutschösterreichische (lies: staatsgefährliche) Gesellschaft kurzerhand aufgelöst und das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen des aufgelösten Vereins einem eigens zu diesem Zweck gegründeten rein slowenischen Verein in die Hände gespielt, völlig widerrechtlich und unter Mißachtung des von Jugoslawien am 10. September 1919 mit den alliierten und assoziierten Hauptmächten unter-zriehnet&f“Vä-trages- zum Schutze der nationalen, religiösen und staatlichen Minderheiten, dessen ganzer Sinn darin bestand, den Minderheiten das volle Recht zur Betätigung und Pflege ihrer Sprache und Kultur zu verbürgen. Wenig später dienten die Räumlichkeiten der ruhmreichen Tonhalle, die bisher nur den reinsten Idealen der Tonkunst geweiht war — als Kino und als Börse.

Das Jugoslawien von heute aber besinnt sich wieder auf die stolze Vergangenheit der Laibacher Philharmonie, und auch die österreichische und deutsche Musik gehört seit Jahren wieder zum unverlorenen kulturellen Bestand des Lebens in Ljubljana, der Hauptstadt des etwas plötzlich und unversehens zu Freiheit und Unabhängigkeit erwachten Volkes der Slowenen. Da man nicht mehr nach Wien fahren kann wie früher (um Opposition im Reichsrat zu machen),' so bringt man halt von Wien soviel wie möglich nach Laibach.

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