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Begegnung von Farbe und Form

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Die richtige Einschätzung und damit Anwendung von Farben gehört zu den wesentlichsten Aufgaben der Gestaltung. Nur langsam beginnt sich die bewußte Nutzung der psychischen Wirkungen der Farbe im Bereich des „Industrial Design“ durchzusetzen. Die wissenschaftlichen Grundlagen sind auf diesem Gebiet vorhanden, die Auswertung geht — zumindest in Europa — weit langsamer vor sich. Der Autor des nachfolgend veröffentlichten Artikels führt selbst eine Praxis für angewandte Psychologie und kann sich auf die eigene Erfahrung, vor allem als Betriebsberater, berufen. „Die Furche“

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Die richtige Einschätzung und damit Anwendung von Farben gehört zu den wesentlichsten Aufgaben der Gestaltung. Nur langsam beginnt sich die bewußte Nutzung der psychischen Wirkungen der Farbe im Bereich des „Industrial Design“ durchzusetzen. Die wissenschaftlichen Grundlagen sind auf diesem Gebiet vorhanden, die Auswertung geht — zumindest in Europa — weit langsamer vor sich. Der Autor des nachfolgend veröffentlichten Artikels führt selbst eine Praxis für angewandte Psychologie und kann sich auf die eigene Erfahrung, vor allem als Betriebsberater, berufen. „Die Furche“

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Ueberau, wo Farben sichtbar werden, erscheinen sie als Flächen oder in Verbindung mit Formen, sei es in der gegenständlich-inhaltsbezogenen oder der ungegenständlichen Gestaltung. Farbe und Form sind in ihrer unmittelbaren Begegnung immer Korrelate, die in gegenseitig richtig bezogener Wechselwirkung stehen müssen.

Die gemeinsame Farb-Form-Gestaltung beginnt in allen Bereichen des praktischen Lebens Eingang zu finden, nachdem das Primat der bildenden Kunst sich auch mehr vom „Tafelbild“ zur gestalteten Fläche hinbewegt und aus der frei-künstlerischen Aesthetik'mit individuellem Geschmack viel Praktisch-Zweckgebundenes geschaffen wurde. Das Kunsthandwerk scheint sich mit seiner Gebundenheit neben der subjektiv zu sehenden freien Kunst zu behaupten, und auch hier sind die Grenzen von der Idee bis zur Gestaltung fließend.

In der großen Willkür dargestellter Farb-Form-Bilder der zeitgenössischen Kunst ist es noch schwer, nach den „Ismen“ von Zeit, Einfluß und anderen Faktoren überzeugende Maßstäbe anzulegen. Das psychologische Moment der Farbwirkung tritt weiter in den Vordergrund. Die Aussage der Farben in ihrer so unübersehbaren Vielfältigkeit schützt vor Erstarrung und läßt alles offen, was die Menschen in ihrer jeweiligen Stimmung und ihrem Suchen nach Halt und Erlösung erwarten. Ob mit Kant das Schöne' als' „Einheit 'iri'der Mannigfaltigkeit“ in dieser Farb-Form-Gestaltung erreicht wird, muß offenbleiben. Farben und Formen sind über Jahrhunderte zu verfolgen. Stilentwicklungen und -änderungen blieben fruchtbare Glieder und immer Ausdruck der Zeiten, solange die schöpferische Idee und die handwerklich geübte Hand sie weitergab. Die „Gründerzeit“ — für uns noch faßbar — verwandelte unsere Umwelt entscheidend. Die Maschine übernimmt die Handarbeit, „die Fabrik“ — innen und außen als grauer, mächtiger, oft bedrückend empfundener Bauklotz — bestimmt den Lebensstil der Weiterentwicklung bis zu unseren heutigen modernen, lichten, farbigen Betrfebsräumen. Aus der Fabrik sind Räume für den arbeitenden Menschen geworden, wo sich Farbe und Form an den Menschen anzupassen beginnen.

In der Architektur ist immer die Form in der Statik verankert. Eine Säule trägt, ein Balken verbindet, vielfältigste Bauelemente lockern das geplante und zusammengehörige Gefüge dieser geschlossen wirkenden Statik dynamisch auf, wobei besonders Farbe und Form eine Beziehung zur heutigen Architektur neu fanden. Farbe ist nicht nur Anstrichmittel, sondern wieder Träger von Ausdruck und Gestalt geworden. Flächen und Formen bringen mit Farben adäquate Inhalte zur äußeren Wirkung und unterstützen die Gestaltungsidee der Architektur. Aber „bunt“ ist nicht „farbig“ und schwarz-graue Säulen oder mode-maron gefärbte Wände müssen nicht Ausdruck moderner Aesthetik sein.

In der Statik der Architektur hat die Farbe eine wichtige und gesetzmäßige Funktion, sie erfüllt die Flächen und Formen mit lebendigem Ausdruck und sci.sFft beim Menschen eine innere Bereitschaft -nitzuerleben“. Sie unterstreicht das Besonn , sie läßt hervor- oder zurücktreten, sie macnt die Fassaden lebhaft und freundlich und gibt besonders der Stadtplanung die Möglichkeit, ganze Bezirke in angepaßter Harmonie entstehen zu lassen, denn Farben haben Gewicht, und es kann nicht gleichgültig sein, ob hier oder dort planlos ein „Balkonfarbstil“ in bunter Kopie entsteht oder eine farbige Fläcne die andere „erschlägt“. Farbe wird somit ein Teil der Vorplanung, wie sie der Farbpsychologe in seinem „Farbgebungsplan“ ausarbeitet, die Baustoffe mit ihren farbigen Akzenten berücksichtigt, die Umwelt, vor allem den Menschen mit allen seinen Funktionen, einbezieht, um so zu einer möglichst ganzheitlichen Synthese in der Wirkung zu kommen.

Hier beginnt die wesentliche Weiterentwicklung der Farbanwendung im Bauwesen. Besonders Schulen, Kindergärten, Kliniken, Krankenhäuser, Sanatorien, Altersheime usw. sind Bauten für bestimmte Menschengruppen und mit fest gebundenem Zweck. Hier können Farben nicht nur aus der Vielfalt des Stofflichen „moderne Effekte“ sein, sondern ihre Aufgabe liegt tiefer: Farben sind Kräfte, die überall dort, wo Menschen leben und arbeiten, ihren Sinn haben und eine psychische Wirkung ausüben. Der subjektive Geschmack kann variabel „bunt“ sein — die angewandte Farbenpsychologie kann es nicht. Wir wissen, wie das Weiß im Innern der Krankenhäuser — mit dem zusätzlich typischen Geruch auf Gängen und Räumen — das Empfinden der „Krankenhausatmosphäre“ nachteilig unterstützt, wie alte Schulen mit ihrem muffigen und stumpfen Charakter sicher keine lernfreudige Jugend erziehen lassen, wie in den erwähnten Fabriken mit ihren auch innen lieblos verschmutzten Wänden kein Betriebs- und Arbeitsklima entstehen kann. In der großen Vielfalt der Farbgestaltung trennt sich das psychologische Moment von den unsicheren Faktoren des Nur-Gefallens. Es gibt unter anderem warme und kalte, nähernde und weitende, hebende und senkende, helle und dunkle, laute und leise, herbe und süße, aktive und passive, freudig und traurig stimmende, lebendige und „tote“ Farben, die je nach den Gegebenheiten einzusetzen sind. Wie groß die Skala schöpferischer Ideen neben den festen Gesetzmäßigkeiten ist, mag verblüffen und überraschen.

Farbe und Form spielen auch in weiten Gebieten der Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Die großen Erfolge bei der Gestaltung der Verpackung drücken sich konkret in Zahlen des,Umsatzes aus und lassen sich objektiv belegen. Bei Verkauf und Ladengestaltung hat sich ein neuer Stil geprägt, der durch Formen und Farben wesentlich mitbestimmt ist.

Formgestalter geben der modernen Industrieform vom kleinen Gerät des Haushaltes bis zur großen Maschine ihre arteigene Form, wobei psychologische, physiologische und arbeitsmedizinische Gesichtspunkte helfen, dem Menschen diese Geräte bei der Arbeit nützlicher und erträglicher erscheinen zu lassen. Auch hier ist die Farbe ein Korrelat der Form, und sie wird von der Art und dem Zweck der Maschine abhängig sein, wie die Funktion, die Größe und Zahl, mit Warn- und Funktionsfarben versehen, dazu beiträgt, den Ablauf der Arbeit oder einer ganzen Produktion zu erleichtern. Es sind keinesfalls nur ästhetische Fragen, sondern oft entscheidend und konkret in den wirtschaftlichen und menschlichen Ablauf eingreifende Hilfen, die durch Farbe und Form bestimmt werden. Wir wissen, daß die Farben in ihren sinnesphysiologischen und tiefenpsychologischen Wirkungen das Bewußte durchbrechen und Farbempfindungen mit Formerlebnissen gekoppelt sind. Die Eigenart der Farbe wird durch andere vorder- oder hintergründige Farben immer beeinflußt. So kann ein Rot neben einem bestimmten Gelb an Dynamik verlieren, ein Fensterrahmen mit blauem Stock und gelbem Rahmen vermischt sich im Empfinden „grün“ und läßt das ganze Gefüge nicht überzeugend

„halten“, eine schwere Maschine mit lautem Geräusch würde uns in einem bestimmten Rot oder auch anderen schweren Farben bedrücken und auch die Arbeit daran selbst schwerer empfinden lassen, ein Blau in seiner allgemeinen Vorstellung der Weite kann durch ein nachbarliches Gelb so beeinflußt werden, daß es die „Ferne“ und die Wirkung der „Weite“ verliert. Groß ist die Zahl der Beispiele, die uns beweisen, wie planvoll die Farbe in Verbindung mit Formen auf allen praktischen Einsatzgebieten anzuwenden ist.

Trotz Gesetzmäßigkeiten der Farb-Form-Gestaltung gibt es keine Rezepturen allgemeingültiger Art. Kleinste Elemente, und dabei besonders die Form, verpflichten die Farbe zum richtigen Einsatz nach Farbquantität und Farbqualität. Die schöpferische Vielfältigkeit ist begrenzt durch wissenschaftliche Erkenntnisse, verbindet sich aber wieder über die Intuition mit dem Künstlerischen und stellt damit in dieser Arbeit eine neue und fruchtbare Einheit von Kunst und Wissenschaft her, die mit Farb-und Formgestaltung dem Menschen nützlich sein will.

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