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Der "Tiroler Steinadler" Albin Egger-Lienz und sein Kreisen über der Donaumetropole.

Lienz, die kleine, traditionsreiche Stadt an der Südseite der Alpen, hat etwas Besonderes zu bieten. Auf Schloss Bruck, dem ehemaligen Wohnsitz der Grafen von Görz, trifft sich Albin Egger-Lienz (1868-1926) mit Künstlern, denen er in Wien zwischen 1899 und 1911 persönlich oder in ihren Werken begegnete.

Die Sonderausstellung "Begegnungen in Wien" bietet einen schillernden Vergleich zwischen den Arbeiten Albin Eggers und jenen von über 30 großteils internationalen Zeitgenossen. Sie führt zu einer spannenden Diskussion um Parallelen, Unterschiede, Beeinflussungen, denen Maler und Bildhauer, Revoluzzer, Karrieristen und klischeebeladene Traditionsartisten zwischen Fin de siècle und Aufbruch zur Moderne ausgesetzt waren.

Allerdings hatte nicht nur das betörende Flair der Donaumetropole, der damals fünftgrößten Stadt der Welt, den jungen Egger-Lienz von München, dem Ort seiner künstlerischen Ausbildung, nach Wien gezogen. Es war auch die Liebe zur reizenden Wienerin Laura Egger v. Möllwald. Und Wien sah bald eine Lovestory, der ein harmonisches Eheleben plus Kindersegen folgte.

Großstadt und Bergheimat

Zwischen 1899 und 1911, in dem in Lienz zu betrachtenden Zeitabschnitt, fanden höchst interessante Ausstellungen im traditionell ausgerichteten Künstlerhaus, im Hagenbund und der dem sensationell Neuen aufgeschlossenen Secession statt; Leckerbissen, die über den Kunstgeschmack Europas informierten und den jungen Tiroler Maler tief beeindruckten. Doch der "Steinadler", der vorsichtig über Wien kreiste, blieb ein Einzelgänger, trotz seiner Mitgliedschaft in Künstlerhaus und Hagenbund. Es zog ihn in seine Bergheimat - und er verbrachte beinahe die Hälfte des Jahres in Tirol. Dort beobachtete er Land und Leute und verarbeitete Anregungen und Eindrücke in seinem Stadtatelier in Wien zu eigenwilligen Bildern. In einem Brief erklärt Egger-Lienz, dass "vielleicht in keiner anderen Stadt ein so großer Terrorismus von der Seite der Neuerer" herrsche, "kein so rücksichtsloser Größenwahn und Modedünkel dem "Alten" gegenüber, als in Wien ...". Und was tut der Tiroler? Ein Jahrzehnt bleibt er Mitglied der Künstlerhaus-Genossenschaft, während alles, was ihn fordert und fördert, in der Secession geschieht, der er erst 1909 beitritt.

Egger-Lienz und Hodler

Wien um 1900 war Epizentrum des geistigen Aufbruchs in die Moderne. Zeitgenossen wie Werfel, Musil, Schnitzler, Freud, Kraus, Rilke, Loos etc. kannte Egger-Lienz aber nicht aus den damals so beliebten, stark frequentierten Kaffeehauszirkeln, sondern lediglich aus der Distanz. Das galt auch für Künstlerkollegen wie Klimt, Schiele, Segantini, Kokoschka u.a. Dennoch sind verblüffende Ähnlichkeiten etwa zwischen Eggers "Nach dem Friedensschluss" (1902) oder seinem "Totentanz" (1916) und Rodins berühmten "Bürgern von Calais" (1885) zu erkennen, wie man das in der Ausstellung im Schloss Bruck an Hand der Exponate verfolgen kann. Haltung, Mimik und Ausstrahlung der Gestalten sind von packender Übereinstimmung. Auch im Relief "Die Rückkehr der Bergleute" (1895-97) von Constantin Meunier sind unübersehbare Spuren von Eggers naturalistischer Sichtweise zu erkennen. Ebenso übernimmt er die Kopfhaltung des "Puddlers" (1887) von Meunier für seinen Knaben im "Vorfrühling" (1917). Besonders sichtbar werden der Einfluss Rodins und Meuniers in der wuchtigen Plastizität von Eggers "Weihbrunnsprengendem Bauern" (1907) oder des im Zentrum seines Gemäldes "Das Leben" (1910/11) stehenden jungen bäuerlichen Paares, das in Schloss Bruck einen stimmigen Platz einnimmt. Eine neue figurale Bildsprache hatte sich angekündigt, die im "Haspinger Anno Neun" (1908/09) "volle Kraft voraus" schritt.

Obwohl gegenseitige fruchtbare Anregung oder Beeinflussung in der Kunst seit jeher gang und gäbe waren und nicht selten den Übergang zu eigenständigen kreativen Höhenflügen bildeten, stellte Egger-Lienz eine angebliche Affinität zur Kunst des Schweizers Ferdinand Hodler stets in Abrede. Eggers Kritik an dessen Werk, die in den bekannten "Hodlerstreit" mündete, wirft dem Schweizer Maler nur scheinbare Monumentalität vor, die auf dekorativer Gruppierung fuße. Wie auch immer, vergleicht man die in Lienz ausgestellten Arbeiten Hodlers und Eggers miteinander, so ist es unübersehbar, dass der Tiroler durch Hodler wichtige Anregungen erfahren hat, wenn er sich auch im Spätwerk immer eigenwilliger artikulierte: "Ich male keine Bauern, ich male Formen". Alfons Walde hingegen hat die Beeinflussung durch Egger-Lienz nie geleugnet. Auch Giovanni Segantini wählte gerne bäuerliche Motive. Seine schlichte "Kartoffelschälerin" (1898) erinnert in ihrer symbolträchtigen Erhöhung und dem malerischen Duktus an Bilder von Millet, wobei vor allem Millet für Egger-Lienz als Anreger wichtig ist.

Für die Wiener Zeit des Tirolers sind auch die bekannten Kinderbilder "Lorli" (1907) und "Fred" (1908) von Bedeutung. Hier gehen altmeisterliche Elemente und Jugendstil eine kostbare Verbindung ein. Weitere spannende Vergleiche und Erkenntnisse sind an insgesamt 100 Exponaten nachvollziehbar.

Wien - Weimar - Bozen

Das Jahrzehnt in Wien war für Albin Egger-Lienz in jedem Fall ein zwar ambivalenter, aber doch fruchtbarer und erfahrungsreicher Abschnitt, wenn auch zeitweise von tiefen Enttäuschungen geprägt. Zum Beispiel als sich der bereits anerkannte Künstler vergeblich um eine Professur an der Akademie bewarb und dazu immer wieder unter Schuldendruck stand. Erst der Kontakt zum Sammler Franz Hauer, dem "Griechenbeisel"-Wirt, verschaffte dem Maler eine gewisse finanzielle Sicherheit, bevor er sich endgültig entschloss, Wien den Rücken zu kehren und eine Professur an der Weimarer Kunstakademie anzunehmen. Der Tiroler "Steinadler" flog mit seiner Familie nach Deutschland, fühlte sich dort ohne seine Berge aber nicht wohl und fand schließlich am Grünwaldhof bei Bozen, hoch über dem Tal, ein heimatliches Nest, wo er seine Kunst vervollkommnen konnte: ein Solitär am Beginn der Moderne, dessen individuelle, kraftvolle Monumentalität erst nach einiger Zeit in ihrer Einmaligkeit Verständnis fand.

Schloss Bruck bei Lienz

bis 3. November, täglich 10 bis 18 Uhr

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