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Beginn des Irredentismus?

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Der um die Erforschung der österreichischen und italienischen Geschichte im Zeitalter des Risorgimento hochverdiente Direktor des Italienischen Kulturinstituts in Wien, Prof. Angelo Filipuzzi, unter den italienischen Historikern zweifellos der beste Kenner der österreichischen Archive, hat in der in Florenz erscheinenden, von Armando Saitta herausgegebenen Fachzeitschrift „Critica Storica” eine Studie veröffentlicht, die auch in Österreich aus mehr als einem Grunde Beachtung verdient („I veneti a Sadowa 1866” Critica Storica, 4/1967). Im Zusammenhang mit seinen Forschungen über die kriegerischen Ereignisse des Jahres 1866, über die er bereits eine ausgezeichnete Quellenedition, betreffend die Operationen in der Adria und auf dem Gardasee, vorgelegt hat, während jene über die Operationen zu Lande vor der Veröffentlichung steht, ist der italienische Gelehrte einem Thema zu Leibe gerückt, das bisher vorwiegend Gegenstand üppig wuchernder Legendenbildung, nicht aber gründlicher, auf den archivali- schen Quellen beruhender, wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen ist: dem Verhalten österreichischer Soldaten italienischer Nationalität in den Kriegen des Risorgimento und besonders in dem kurzen, aber blutigen Krieg von 1866.

Loyale Soldaten

Es versteht sich von selbst, daß das Problem der Loyalität der Soldaten italienischer Herkunft und das heißt konkret für 1866 der Einheiten zu Wasser und zu Lande, die sich aus Venetien, Welschtirol, dem Küstenland, Istrien und Dalmatien rekrutierten, die militärischen Behörden schon vor Ausbruch der Feindseligkeiten beschäftigte. Dabei ist ein sehr bezeichnender Unterschied festzustellen zwischen den zentralen Behörden in Wien, Kriegsministerium und Generaladjutan- tur, auf der einen Seite, den die Haltung und Mentalität der Soldaten und Offiziere besser kennenden unmittelbaren Kommandanten und Befehlshabern zu Wasser und zu Lande, von den Regimentern und Brigaden bis zu den Armeen in Nord und Süd und von den Schiffen bis zum Flottenverband, auf der anderen Seite. Während man sich in Wien verständliche Sorgen über die Haltung der Soldaten italienischer Nationalität in dem bevorstehenden Kampf machte und daher von den sieben Regimentern aus Venetien und dem Küstenlande nur eines, das Infanterieregiment Nr. 22 aus Triest, im Verband der Südarmee beließ, die anderen sechs hingegen zur Nordarmee auf den böhmischen Kriegsschauplatz sandte, wobei man nicht unerhebliche Transportschwierigkeiten bei der Mobilmachung in Kauf nahm, wurden die unmittelbaren Kommandostellen nicht müde, die absolute Zuverlässigkeit und Einsatzbereitschaft der ihrem Kommando anvertrauten Einheiten energisch zu betonen.

Die Ereignisse haben die Berechtigung dieses uneingeschränkten Vertrauens bestätigt, wie Filipuzzi an Hand der Verlustlisten wie der nachher verliehenen Auszeichnungen und des übrigen reichlich vorhandenen archivalischen Materials überzeugend nachweist. In der Seeschlacht von Lissa und in den Kämpfen der Flottille auf dem Gardasee unter dem Korvettenkapitän Maurizio Monfroni von Montfort, bei den Gefechten im Tren- tino wie vor allem in den mörderischen Schlachten in Böhmen haben die Soldaten italienischer Nationalität nicht minder tapfer gekämpft als ihre Waffengefährten aus den anderen Völkerschaften des Habsburgerreiches und einen hohen Blutzoll an Toten und Verwundeten entrichten müssen. Aber auch in der Zahl der an italienische Offiziere und Soldaten dann verliehenen Kriegsauszeichnungen wird ihre Leistung wie deren verdiente Anerkennung sichtbar.

Ein überraschendes Dokument

Um so unverständlicher mag daher zunächst ein Dokument erscheinen, das Professor Filipuzzi am Ende seiner Studie in italienischer Übersetzung veröffentlicht. Es handelt sich dabei um einen Passus im Ministerratsprotakoll vom 12. November 1866, der im Original folgenden Wortlaut hat:

„Seine Majestät sprach den bestimmten Befehl aus, daß auf die entschiedenste Art dem Einfluß des in einigen Kronländern noch vorhandenen italienischen Elements entgegengetreten und durch geeignete Besetzung der Stellen von politischen Gerichtsbeamten, Lehrern, sowie durch den Einfluß der Presse in Südtirol, Dalmatien, dem Küstenland, auf die Germanisierung oder Slawisierung der betreffenden Landesteile je nach Umständen mit aller Energie und ohne alle Rücksicht hingearbeitet werde. Seine Majestät legt es allen Zentralstellen als strenge Pflicht auf, in diesem Sinn planmäßig vorzugehen.” Am 6. Dezember hat Kaiser Franz Joseph dann das Protokoll dieser unter seinem Vorsitz abgehaltenen Sitzung vom 12. November unterschrieben.

Offensichtlich handelt es sich hier um einen spontanen, von keinem Ministerium veranlaßten Einfall des Kaisers, entsprungen, wie damals, früher und später leider so oft, nicht aus politischer Überlegung, sondern aus einer momentanen Gefühlsreaktion; und es ist nicht schwer, die Ursachen für diesen so wenig staatsmännischen und unüberlegten Zomesausbruch zu rekonstruieren. War doch soeben von italienischer Seite an Österreich das Ansinnen gestellt worden, es solle, im Interesse einer endgültigen Bereinigung des Verhältnisses zu dem von ihm nun endlich anerkannten Königreich Italien, an dieses außer Venetien mm auch das Trentino abtreten.

Wenn man auch aus heutiger Sicht, wie dies jüngst der deutsche Historiker Rudolf Lili. in seinen Forschungen zum preußisch-italienischen Verhältnis getan hat, bedauern mag, daß damals die Chance zu einer solchen „Generalbereinigung” in der Frage der österreichisch-italienischen Grenzziehung im Alpengebiet nicht genützt wurde, so muß man wohl anderseits die Erbitterung des von dem Verlauf der Ereignisse zutiefst getroffenen und gede- mütigten Monarchen verstehen, der schon die Abtretung Venetians an den bei Custozza und Lissa geschlagenen Gegner als nahezu unerträgliche Zumutung empfand und den die noch weitergehende, nun auch von Preußen nicht mehr unterstützte italienische Forderung nach dem Trentino in helle Empörung versetzen mußte. Auch muß man bedenken, daß zwar die Landbevölkerung des Trentino, wie sich soeben beim Einfall der von Garibaldi und Medici geführten Truppen gezeigt hatte, treu zu Österreich hielt, daß aber die kulturell und sozial führenden Schichten des sogenannten Welschtirol, das gebildete Bürgertum der Städte und die „Signori” auf ihren Landsitzen, schon seit Jahrzehnten die Trennung des Trentino von Tirol und dessen Anschluß zuerst an das mit der österreichischen Krone vereinigte Königreich Lombardo-Venetien und jetzt an das Königreich Italien erstrebten. Das soeben erscheinende Buch der italienischen Historikerin Nicoletta Cavalletti über den nationalliberalen Abate Baron Giovanni a Prato, der schon im Vormärz und dann als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung entschieden für die Trennung Tnients von Innsbruck eingetreten war und der 1866 den italienischen Oberkommandierenden brieflich zur Besetzung des Trentino aufforderte, illustriert diese Strömungen, die gewiß nicht unterschätzt werden durften.

Die Vorspiele…

Dies ist auch der einzige Punkt, in dem der so verdienstlichen und überzeugenden Studie des hochgeschätzten italienischen Kollegen Filipuzzi, dieses objektiven und aufrichtigen Freundes Österreichs und seiner Geschichte, von österreichischer Seite widersprochen werden darf. Denn wenn er in jenem Ministerratsbeschluß vom 12. November 1866 gleichsam das Geburtsdokument des italienischen’ Irredentismus erblicken möchte, „da, nach einem Naturgesetz, auf jede Aktion eine Reaktion erfolgt”, so muß man demgegenüber doch darauf hinwei- sen, daß die Forderung nach dem Trentino, ja vereinzelt sogar schon nach der Brennergrenze, von italienischer Seite schon 1848 erhoben wurde.

Auf der anderen Seite hat, wie sich nachweisen läßt, jener Zornesausbruch des Kaisers trotz seiner Verewigung im Ministerratsproto- koll keine Durchführung und praktische Auswirkung gefunden, denn die verfassungsmäßig festgelegte Gleichberechtigung aller Nationalitäten des Vielvölkerreiches ist auch der italienischen Minorität in Österreich-Ungarn im vollen Ausmaß zugutegekommen. Filipuzzi verweist selbst auf die Verwandtschaft der von Franz Joseph 1866 aufgestellten Forderungen zur Zurück- drängung des italienischen Elements mit dem Programm, das der Tiroler Landestag des Deutschen Volksbunds für Tirol in Sterzing am 12. Mai 1918 beschloß und das von dem italienischen Historiker Mario Toscano in seinem Buch „Storia diplomatica della questione dell’ Alto Adige” (Bari 1967) veröffentlicht wurde.

Tatsächlich besteht zwischen beiden Dokumenten mehr als nur eine inhaltliche Übereinstimmung. Denn beide, die Willensäußerung des erbitterten Kaisers und der Beschluß der nationalistischen Schul- und Schutzorganisation, sind nur aus der Erregung der kriegerischen Auseinandersetzung zu verstehen. Vor allem aber beweist die in Sterzing erhobene Forderung nach Zurück- drängung des italienischen Einflusses und Beseitigung der bisherigen Gleichberechtigung, daß der Ministerratsbeschluß vom 12. November 1866 keinerlei praktische Auswirkungen hatte und daher mit Recht der völligen Vergessenheit anheimfiel, aus der er erst jetzt durch den Forscherfleiß des italienischen Gelehrten erweckt wurde.

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