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Beispiel Sonntagberg

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Für jeden Kunstfreund ebenso wie für den, der historisch-wissenschaftlich über Kunst reflektiert, gehört die Wallfahrtskirche auf dem Sonntagberg zu den wertvollsten Denkmälern Niederösterreichs. Den starken, zuweilen überwältigenden Eindruck bewirkt die außergewöhnlich geschlossene Vielfalt dieses üppigen Spätbarocks. Materiell besehen, sind die farbenfrohen Fresken, die leuchtende Vergoldung (die sogar weit in die Fresken eingreift, an Kapitalen und Altären allenthalben aufblitzt), der schimmernde Stuckmarmor an den Pilastern, der polierte Marmor und das glänzende Metall der Altäre die geeigneten Medien, solche Ausdruckswerte künstlerisch anschaulich zu machen. Diese überwältigende Geschlossenheit des Gesamtkunstwerks ist somit kompiliert aus zahlreichen Einzelwerken, die großteils von ersten Meistern der österreichischen Barockkunst stammen, wie von dem Architekten Jakob Prandtauer, dem Freskanten Daniel Gran, dem Maler Martin Johann Schmidt, dem Bildhauer Jakob Johann Sdletterer und vielen anderen. Sie alle haben sich in diese kunst-, zugleich auch höchst geistvolle „Polyphonie“ des Ganzen zuchtvoll eingefügt.

Diese ausgewogene Harmonie mußte bei der durchgreifenden Restaurierung unbedingt gewahrt bleiben. Dies war das erste Hauptproblem. Mit ihm verband sich, unabweislich verflochten, das zweite: Es galt, das in devo- tionaler ebenso wie in künstlerischer Hinsicht ehrwürdige Alter dieser Gnadenstätte — ebenso wie dieses kostbaren Kunstwerkes — weiterhin wirken zu lassen und nicht durch eine „brandneue“ Renovierung (an Stelle der Restaurierung) zu annullieren. Der Alterswert eines Kunstwerks wird vor allem von den Wiener Kunsthistorikern seit ihrem Altmeister Alois Riegl hoch respektiert, im Gegensatz etwa zu den Denkmalpflegern der deutschen Bundesrepublik, für die Restaurierung immer weitgehend eine Renovierung, eine-Er-Neuerung sein oMi

{Die Folgerung daraus für das Exempel Sonntagbeng war, daß wohl alle einzelnen Kunstwerke restauriert wurden, daß aber bei jeder Detailarbeit unweigerlich die Wirkung, die Mitwirkung am Ganzen strikte beachtet werden mußte. Für die Praxis bedeutete das: Die Fresken Daniel Grans durften lediglich einer sorgsamen Reinigung unterzogen werden. Nur einige wenige Stellen, an denen im 19. Jahrhundert, nach einem Absturz schadhafter Freskenteile, „renovierende“ Übermalung angebracht worden waren, mußten durch Abdeckung und vorsichtige Lasur dem Charakter des Originals angepaßt werden. Durch diese Maßnahmen wurde die ursprüngliche Farbigkeit fast — nur wenig gealtert! — wiedergewonnen. Die von Gran ausnehmend dezent aufeinander abgestimmten Farbtöne haben wieder ihren zarten, transluzdden Farbschimmer erhalten.

Das zu erneuernde Gold, vor allem am Rand oder in der Nähe der Fresken, mußte dementsprechend „schonungsvoll“ zurückhaltend angebracht werden, um nicht die Raumstimmung zu durchbrechen; eine Gefahr, die bei Neuvergoldung häufig akut ist. Der Kunstmarmor an den seitlichen und das Presbyterium umziehenden Riesenpilastern wurde durch Polieren mittels speziell ausgewählter Steine zu neuem Schimmer gebracht. (Der Intensitätsgrad dieses Schimmers kann bekanntlich durch die Wahl der Poliersteine genau erzielt werden.) Am Sonntagbeng war die „Erblindung“ des Kunstmarmons, der Verlust jeglichen Wilderscheins so weit fortgeschritten, daß zwar stark aufpoliert werden, das Endresultat aber wieder in ausgewogener Harmonie zu den Fresken und zur Vergoldung stehen mußte.

Auch am Hochaltar wurde beste Arbeit geleistet. Viele im Lauf der Zeit verlorengegangene Teile mußten ergänzt, jedoch schlechthin unauffällig in den gesamten, übrigens künstlerisch wie kunsthistorisch sehr bemerkenswerten Altaraufbau eingefügt werden; desgleichen verfuhr man mit den Seitenaltären. Alabaster wurde nachpoliert und an Fehlstellen höchstens sorgsam verkittet, die originale, im 19. Jahrhundert unpassend über- strichene Marmorierung des Hochaltars konnte durch eine feinfühlig vorgenommene Abdeckung wieder freigelegt werden. An den riesigen Altarblättern von Martin Johann Schmidt brauchte glücklicherweise nur der verbräunte alte Firnis entfernt und durch neuen ersetzt werden, um die verhalten aus der Tiefe der Bilder leuchtenden Farben wieder zu ihrer originalen Wirkung zu bringen.

Das Werk ist vollendet. Den beratenden Denkmalpflegern 1st an dieser Restaurierung nebenher der Beweis geglückt, daß auch in diesem Fadi nur ein guter Theoretiker ein guter Praktiker sein kann. Den Begriff vom „Ganzen“ des Kunstwerks — das mehr ist als die Summe seiner Teile! — beachten, hieß In diesem Falle: einem Gesetz folgen, das im Kunstwerk selbst konstitutionell, gleichsam von Natur aus, angelegt ist Diese Harmonie des Ganzen zieht auch den rein emotionell genießenden, vor allem aber den andächtigen Besucher in ihren Bann. Auf dem Sonntagberg läßt sie den Gläubigen das Jubilate anschaulich nachempflnden, die siegreiche Freude nach dem Triumph des Lichtes über die Finsternis — gerade an diesem Ort an dem man sich dem Himmel näher fühlt als anderswo.

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