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Bekenntnis und Konfrontation

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FORUM STADTPARK streckt sich nun inmitten des Grazer Stadtparks, ein schlanker Neubau mit einer langen Glasfassade im knackenden Astgestänge der Kastanien. Und nun spazieren sie, die kleinen und großen Spender, im Wintermantel ins Haus, probieren im Innern den nackten Steinboden, den Sisalteppich, betasten die bruchrauhe Steinverkleidung der Langwand, begutachten die gelben Fichtenhölzer, die den Plafond schließen, und studieren die Vorrichtungen, mittels derer der langgezogene Ausstellungsraum in einen Raum für Theater, für Vorträge und Film, für Modeschauen und Blumenfeste verwandelt werden kann. Diskussionen können im Klubraum geführt werden, der im Keller liegt, ein Büfett, eine Zeitschriftenecke, ein Kursraum der Urania und eine Werkstatt für bildende Künstler finden sich ebenfalls im Keller. Auf eineinhalb Millionen Schilling — und das ist alles Spendengeld — wird heute dieser sparsam gebaute Neubau geschätzt, der ursprünglich bloß ein Umbau des alten Stadtparkcafes sein sollte, der Umbau eines unrentablen Sommerlokals, das feucht, vermodert, vermorscht und verrostet und längst für die Spitzhacke reif war.

Die Eröffnungsausstellung dieses Grazer Kulturhauses bringt unter dem Titel „Bekenntnis und Konfrontation“ .ungegenständliche Gemälde der drei Wiener Künstler Maria Laßnig, Hans Fruhmann und Christa Hauer sowie der Grazer Maler Mario Decleva (sehr lebhafte Rot-Grün-Kompositionen), Elga Klopcar-Maly, Siegfried Neuburg und Gustav Zankl, der ein feurig aufgerissenes Gemälde ausstellt. Von Wander-Bertoni (Wien) steht im südlichen Teil des Ausstellungsraumes ein menschenhohes Pyramidengebilde aus rötlichem Holz, das auf der Spitze fast schwerelos balanciert Die strenge und klare Geometrie dieses Gebildes erinnert an Bauhausarbeiten, an Werke etwa Max Bills. Von Pillershofer steht im Nordtrakt eine gedrungene Steinplastik. Mit Kunstphotographien und photo-graphierter Architektur ist Eckart Schuster vertreten. Im Programmheft steht zu dieser und über diese Eröffnungsausstellung: „Sie malen nicht mehr Menschen, sie malen nicht mehr den Menschen, sie malen nicht mehr die Zeit, sie setzen Farben in ihre lahrzehnte. Sie schockieren die Bürger nicht. Der Bürger schockiert sie nicht. Sie werden in das Kaleidoskop der Kunstpostkarten eingereiht.“ Ein bittere Bekenntnis!

Das Kulturhaus FORUM STADTPARK ist das Ergebnis einer Aktion, zu der sich die

„Junge Gruppe“, der „Künstlerklub Graz“ und der „Steirische Schriftstellerbund“ vor rund zwei Jahren entschlossen. Zuerst wollte die „Junge Gruppe“ das alte Cafe zu Ausstellungszwecken renovieren. Die Stadtväter stimmten aber erst zu, als sich auch die beiden anderen Vereine dem Plan anschlössen. Die Aktionsgruppe der „Neun“ gründete darauf die Vereinigung FORUM STADTPARK, der nun schon mehr als dreißig aktive Mitglieder angehören. Aus dem Umbau wurde ein Neubau, und was hiebei geleistet wurde, das ist großartig, staunenswert und bewunderungswürdig. Ohne einen Groschen Eigenkapital wurde dieses Millionenöbjekt hingestellt. Die hauptverantwortlichen Künstler haben zwei Jahre hindurch Freizeit und Geld geopfert, um der Stadt ein Kulturhaus zu geben, diese jungen Männer haben als Väter zwei Jahre hindurch ihre Familien vernachlässigt, diese jungen Männer haben zwei Jahre im Stadtpark an einem Kulturhaus gebaut, während der eine oder andere ihrer Altersgenossen am Stadtrande sein Einfamilienhaus errichtete, diese jungen Männer haben zwei Jahre hindurch verzichtet — und das ist das Unglaubliche —, als Künstler zu arbeiten, sie haben Bettelbriefe geschrieben, anstatt zu dichten, sie haben Wände gestrichen, anstatt zu malen, sie haben Schaufeln in die Hand genommen, anstatt zu geigen! — Liegt hier eine Donquichotterie großen Stils vor oder einfach eine wirklich kulturelle Tat?

Die Stadtväter als Verpächter waren, wie gesagt, anfangs dagegen, unterstützten die Aktion aber sogleich, als ein konkreter Kostenplan erstellt war. Spenden von Stadt, Land und Bund, Spenden der Industrie, der Landeskammern, von Banken und Versicherungen, von Kaufleuten und Handwerkern, Spenden zweier Straßensammlungen, 50 Kunstspenden angesehener Künstler und 60 Benefizveranstaltungen brachten schließlich jene Summen und jenes Material herein, die dieses Bauobjekt von eineinhalb Millionen Schilling fertigzustellen möglich machten. Aber noch sind Rechnungen unbezahlt, noch ist die jährliche Haushaltsbedeckung (100.000 Schilling) offen, und das Finanzamt schickt einen Körperschaftssteuerbescheid in das neue Haus. Aber die Leute vom FORUM STADTPARK sind zuversichtlich, denn sie genießen Kredit bei der Bevölkerung und nun auch schon bei einer Bank.

Die Bevölkerung half und hilft mit großen und kleinen Spenden, unterstützt, ohne lang zu fragen, was FORUM STADTPARK eigentlich will. Nun, was will es sein? Erstens: Ein Treffpunkt der Jungen und Junggebliebenen, ein Ort der Begegnung. — Frage: Braucht eine Begegnung ein eigenes Lokal, eine eigene Institution? Die „Gruppe 47“, wohl die einflußreichste und größte literarische Gruppe Deutschlands, kommt mit einer einfachen Namensliste aus. Sie hält ihre Tagungen einmal da und einmal dort ab. — Zweitens: FORUM STADTPARK will die Kluft zwischen Künstler und Publikum überbrücken! — Frage: Kann das ein Forum „Stadtpark“ (nomen est omen.')? Müßte man nicht viel eher in den Fabrikshallen musizieren, müßte man nicht viel eher in den Schalterräumen der Banken Lesungen veranstalten, auf den Verkehrskreuzungen Gemälde ausstellen und in den modernen Großkaufhäusern Theater spielen? Der Künstler ist Außenseiter und Opponent seiner Gesellschaft und keinesfalls ihr Apologet! — Drittens: FORUM STADTPARK soll ein Forum des offenen Wortes, aber der Toleranz sein! Gut. Aber dann Toleranz mit Wachsamkeit gegen jene alles in gleicher Weise duldende Haltung, die im Handumdrehen zu Gleichgültigkeit und zu Trägheit abstumpft!

Mit der Eröffnung des Hauses FORUM STADTPARK begannen die Künstler auch mit ihrem Programm, also mit jener Arbeit, euretwegen sie zwei Jahre Bauherrnsorgen auf sich nahmen. Bisher wurde bewiesen, daß das Forum Geld mobilisieren kann, daß das Forum ein Haus bauen kann. Nun gilt es, das eigentliche, Kunst nachzuweisen. Daß es nicht einmal heißt: Hausbauen ist heute leichter als ein Programm aufzubauen! „Bekenntnis und Konfrontation“ nennt FORUM STADTPARK sein Eröffnungsprogramm, Bekenntnis zu allen jenen künstlerischen Erscheinungen, die es für wesentlich hält, und Konfrontation mit der internationalen Kunstwelt. Die erste musikalische Veranstaltung brachte zwei Uraufführungen österreichischer Komponisten: „Intrada“ von Fritz Nagele und „Canzonetta“ von Karl Haidmayer. Nagele faszinierte durch eine eigenwillige Klangwelt, Haidmayer verblieb in herkömmlichen Tonvorstellungen. Mit einer unbefriedigenden Leseaufführung von Eugene Ionescos „Impromptu“, das Ionescos Theatertheorie zum Gegenstand hat, eröffnete die Forumbühne ihre Reihe über das absurde Theater. Die Hauptschwierigkeit der Forumbühne ist zunächst die Schauspielerfrage.

Graz verfügt über keine unbeschäftigten Schauspieler, und die beschäftigten sind durch Abstecher in die Provinz überlastet. Schauspieler für eine Forumaufführung zu gewinnen, stößt also auf große Schwierigkeiten. Vielleicht folgt man der Anregung eines Grazer Kritikers und verwendet — nach amerikanischem Vorbild — die Forumbühne als eine Art Testbühne der Vereinigten Bühnen. Hat ein Stück hier Erfolg, kann man es auf die große Bühne übernehmen.

Das Forumprogramm sieht viele Veranstaltungen vor. Die interessantesten sind: „Der deutsche Roman unserer Zeit — Theorie und Werk“, eine Reihe, die mit einer Lesung Heimito von Do-derers beginnt. (Auch unter den nachfolgenden Autoren der Reihe gehen die jungen Romanciers wie Humbert Fink, Günter Grass ab.) Über die „Harmonik im Spätwerk Anton von Weberns“ wird der interessante Komponist und Theoretiker György. Ligeti sprechen. Vorführungen von experimentellen Filmen des Kanadiers Norman MacLaren und andere Veranstaltungen — zusammen etwa vierzig Abende bis Jahresende — bescheinigen den Forumreferenten zumindest Veranstaltungsfreudigkeit, und das selbst auf die Gefahr hin, bloß eine Art zweites Uraniaprogramm laufen zu rassfen.

Während im Hauptraum Ausstellungen, Theateraufführungen, musikalische Darbietungen und Vorträge einander abwechseln, hängen im Klubraum des Kellers Monotypien von Hannes Schwarz. Bilder dieses oststeirischen Künstlers (Jahrgang 1926) befinden sich in Wien, Linz, Bregenz, in Zürich, Darmstadt, Krefeld, Berlin und New York, in öffentlichen und privaten Sammlungen. Diese Monotypien zeigen Gewebeabdrucke in schummrigen Farben, zarte Gebilde, die an Klee erinnern, aber durchaus eigene und feste Formen angenommen haben. Durchgehendes Motiv sind zwei Punkte. Alles in allem sind es freundliche Farbkompositionen, von einer feinen Zurückhaltung.

Durch den Neubau FORUM STADTPARK spazieren die großen und kleinen Spender, das Publikum, neugierig von Raum zu Raum, jede Eigentümlichkeit des Baues sofort bemerkend, sie schreiten auch von Bild zu Bild, leichtfertig spottend („Vogelscheuche“, „Erdäpfel“) oder stumm betrachtend, urteilsabstinent. Noch ist nicht abzusehen, wann FORUM STADTPARK Brücke zwischen Künstler und Publikum sein wird. Aber dies ist seine eigentliche Aufgabe!

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