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Bernstein und die Philharmoniker

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Nach seinem triumphalen Erfolg als „Falstaff“-Dirigent in der Staatsoper hat Leonard Bernstein nun auch das philharmonische Publikum erobert. Es geschah im 6. Abonnementkonzert im überfüllten Großen Musikvereinssaal mit Polizeiaufgebot und in einer Atmosphäre sensationeller Spannung. Als Ouvertüre, gewissermaßen, spielte Bernstein, dem der Ruf eines exzellenten Pianisten vorausging, das Konzert für Klavier und Orchester in B-Dur von Mozart, das er vom Flügel aus — in sichtlich gutem Einvernehmen mit dem Orchester — dirigierte: ein für uns ungewohnter, aber sehr überzeugender Mozart, mit weichen Konturen, zuweilen sogar etwas verschwommen und romantisierend, wobei sich Bernstein — mit kammermusikalisch weichem Anschlag — als zauberhafter „piano“-Spieler erwies (was besonders dem Andante zugute kam) und wo er so natürlich und entspannt wirkte, wie im Gespräch, das jeder Pose entbehrt. — Hierauf ein anderer Bernstein, als faszinierender Interpret von Gustav Mahlers „Lied von der Erde“: mit zuweilen erschreckender Vehemenz dreinfahrend, ekstatisch, mit intensivstem Ausdruck und ungehemmten, geradezu exhorzistisch wirkenden Gebärden, die sich, übergangslos, plötzlich beruhigen und Stimmungen tiefster Meditation, einer fast unirdischen Entrücktheit widerspiegeln. Die Solisten waren James King, dessen metallischer Tenor von den entfesselten Klangmassen zuweilen zugedeckt wurde, und Dietrich Fischer-Dieskau. Seine Souveränität des Vortrages und sein intimes Textverständnis sind ebenso zu bewundern, wie die Fähigkeit, innerhalb von Sekunden die stimmlichen und stimmungsmäßigen Register zu Wechseln. Manchmal schien er, quasi improvisando, den Text und die Melodie zu „ergrübeln“, unmittelbar darauf folgten Ausbrüche von einer Wildheit, die man ihm nicht zugetraut hätte, und — zum Schluß — bei dem siebenmal wiederholten „Ewig!“ eine abgeklärte Ruhe, die nicht mehr von dieser Welt war. Diese ist freilich auch in Mahlers Musik („Der Abschied“) Klang geworden. Aber nur selten hat ein Komponist solche Interpreten. H. A. F.

Die Wiener Beethoven-Gesellschaft veranstaltete zum Gedenken an den Todestag des Komponisten ein Konzert, darin das Niederösterreichische Tonkünstler-Orchester unter Leitung von Hans Swarowsky die Coriolan-Ouvertüre und die Symphonien IV und III spielten. Dazwischen sprach Kammerschauspieler Walther Reyer Prosa von Arthur Schurig (Begegnung mit Napoleon) und Heinrich Börnstein (Des Sängers Tod). Die Musizierfreudigkeit des Orchesters erreichte durch die straffe und energische Führung des Dirigenten ein hohes Qualitätsniveau, dem auch die Wiedergabe der IV. Symphonie in ihrer Leichtigkeit und Freundlichkeit überzeugend gelang. Walther Reyer sprach mit ruhiger, angenehm heller Stimme und wußte durch Vermeidung des Pathos zu fesseln.

Marie-Claire Alain gab einen Orgelabend im Mozartsaal und hielt das zahlreich erschienene Publikum vom ersten bis zum letzten Ton in stets gesteigerter Spannung. Das durchaus französische Programm konnte als klingende Geschichte der französischen Orgelkunst gelten, die nicht Stimmen, sondern Klangflächen kontrastiert, dadurch dem Impressionismus und der Improvisation näher steht als die deutsche und selbst im (für die Orgel ziemlich verlorenen) 19. Jahrhundert in Cėsar Franck einen Mittler zur Moderne hat. Fesselnd in ihrer Farbigkeit und hier noch kaum gehört waren die drei Stücke von Louis Marchand (1669 bis 1732), dessen Name meist nur durch die 1717 stattgefundene Begegnung mit J. S. Bach bekannt ist. Cėsar Francks Choral Nr. 1 kam in überzeugender Plastik zur Geltung. Einen Schritt näher zur Gegenwart steht die „Suite Mėdiėvale“von Jean Langiais,die Gegenwart selbst wird zukunftsweisend vorgestellt mit den „Trois Danses“ von Jehan Alain, dem 1940 im Alter von 29 Jahren gefallenen Bruder Marie- Claires. Die drei Stücke zeigen sowohl die Verbundenheit mit der Romantik als den Aufbruch zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten der Orgel. Die künstlerische Leistung der Wiedergabe war außerordentlich bis atemraubend.

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