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BESUCH BEI CEZANNE

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Vollkommen unvorbereitet kam ich in die Provence. Überraschend hatte ich an einem jener Fachkongresse teilzunehmen, die meist in so verlockenden Gegenden abgehalten werden, daß es für einen auch nur einigermaßen für die Schönheit landschaftlicher Reize aufgeschlossenen Teilnehmer fast unmöglich ist, „beim Fach“ zu bleiben, besonders dann, wenn es gewisse Prominente nicht lassen können, ihre durchaus wesentlichen und geachteten Ansichten zum soundsovielten Male ihren Kollegen vorzutragen, oft in einer Art, die zu den berauschenden und bannenden Eindrücken der weiteren Umgebung nur gegensätzliche Empfindungen aufsteigen läßt.

Nachdem ich so im Verlaufe der Kongreßwoche die Kongreßstadt selbst, Marseille, kennengelernt hatte und mich im Chateau d’If an ein Buch hatte erinnern lassen, das ich einst wie verzaubert, alle Schulaufgaben und selbst den Schlaf vergessend, in einem Zuge gelesen hatte, begann ich meine Exkursionen auszudehnen. Nach Avignon, nach Arles — wo van Gogh und Gauguin eine Zeitlang zusammen gearbeitet hatten —, saß ich eines Tages im Autobus nach Aix-en-Provence, um mir die Stadt und die Ausstellung „Van Gogh und die Provence“ im Pavillon de Vendöme anzusehen. Als ich mich vom Banne seiner leuchtenden Bilder nach Motiven der Provence — deren Leuchten ich, vielleicht, weil es Oktober war, vergebens in der Landschaft selbst suchte — gelöst hatte, streifte ich weiter durch die Stadt, nach einem mir passenden Bistro Ausschau haltend. Plötzlich sah ich einen Wegweiser mit der Aufschrift „Atelier Cezanne“. Ich ging etwa zwanzig Minuten diesem Wegweiser nach und kam schon am äußeren Rand der heutigen Stadt über eine leicht ansteigende Straße zu einem Haus, an dessen hölzernem Außentor eine die Spuren der Zeit zeigende Tafel angebracht war: „Atelier Paul Cezanne“. Leider war die Besuchszeit eben zu Ende, und ich mußte die Mittagspause abwarten. Ich kehrte in die Stadt zurück und setzte mich nun doch in ein Bistro, wo ich, während ich in beschaulicher Ruhe die Stunden und die wirklich auffallend schönen Frauen dieser Stadt an mir vorbeiziehen ließ, in meinem Gedächtnis all das zusammensuchte, was ich über Cezanne wußte.

Ich erinnerte mich der Worte Wieland Schmieds: „Paul Cezanne, Paul Gauguin und Vincent van Gogh stehen am Anfang der modernen Malerei“ — Worte, die mir schon am Vormittag in der Ausstellung im Pavillon de Vendöme in den Sinn gekommen waren. Und ich wurde mir langsam bewußt, daß es mir vergönnt war, auf einem Boden zu stehen, der es „Sehenden“ ermöglicht hatte, „ins Innere der Welt vorzudringen“ (Badt) und daß ich in Kürze im Atelier sozusagen an einer „Wiege der modernen Malerei“ stehen würde. Aber sicher war es nicht nur der Boden, nicht nur der Mensch, der diesen Aufbruch in neue Reiche des Geistes ermöglichte, sondern auch die verbindende Liebe, die Cezanne in einem Brief an Joachim Gasquet (der Sohn seines Freundesj vom 30- April B96 offen bekennt:,.„Und wäre es nicht so gewesen, daß ich di| Landschaft meiner Heimat so ungeheuerlich liebe, ich wäre licht hier.“

Ich dachte an das Bild des alten Mannes, das uns die Photographie gerade noch erhalten konnte, und an die Zwiespältigkeit, die wohl keiner Künstlernatur fehlen kann und die sich bei Cezanne vielleicht durch die Gegenüberstellung einer Briefstelle aus dem Jahre 1903: „Ich habe einige Fortschritte gemacht. Warum so spät und so mühevoll? Sollte die Kunst wirklich eine Art Priestertum sein, das reine Menschen erfordert, die ihm ganz angehören?" und den dieser Bescheidenheit fast widersprechenden Ausspruch: „Es gibt zwei Arten von Malerei. Da ist zunächst die starke, die schöpferische Malerei — kurz, die meinige. Und dann ist noch die Malerei der anderen“, verdeutlichen läßt.

Es sei Berufeneren überlassen, aufzuzeigen, was Cezanne alles überwunden und vorweggenommen hat oder haben soll. Eines aber scheint mir, besonders, wenn man die, zumindest mir oft recht fragliche, „Entwicklung" nach Cezanne bedenkt, sehr wesentlich. Trotz seiner Vorliebe für Theorie und Logik hat Cezanne immer am „Motiv“, an der Natur, festgehalten, ohne aber diese „nachzuahmen“, wie uns in den Worten an seinen Sohn überliefert wird: „Malen heißt nicht einfach die Natur nachzuahmen, sondern eine Harmonie unter zahlreichen Bezügen herstellen, sie in ein eigenes Tonsystem übertragen, indem man sie nach dem Gesetz einer neuen und originalen Logik entwickelt.“

Ein zweites Wort in einem Brief an Emile Bernard vom 26. Mai 1904 scheint mir aber doch auch noch sehr wichtig und sollte so manchem „Modernen“, der sich auf Cezanne berufen zu müssen glaubt, in Erinnerung gerufen werden: „Man muß das, was man vor sich hat, durchdringen und darauf beharren, sich so logisch wie nur möglich auszudrücken.“ Und in einem Brief vom 23. Oktober des gleichen Jahres schreibt er an Bernard: „Ich schulde Ihnen die Wahrheit in der Malerei und werde es Ihnen sagen.“

Nun ging ich zu jenem Atelier. Cezannes letztem in Aix, das er sich nach dem Verkauf des Familienbesitzes Jas-de-Bouffan selbst hatte bauen lassen und das heute von einer amerikanischen Stiftung erhalten wird und eine Pilgerstätte für Kunstfreunde aus aller Welt geworden ist. Nebst den kleinen Nebenräumen nimmt das Atelier mit einem großen, unterteilten Glasfenster gegen den Garten zu den Hauptraum ein. In den Nebenräumen sind die üblichen Erinnerungsgegenstände untergebracht, das Atelier selbst soll so belassen worden sein, wie es der Meister verließ. Nur die Bilder an den Wänden wurden durch Reproduktionen ersetzt, und auch an der Staffelei befindet sich eine Reproduktion. Dagegen liegen auf dem kleinen Tischchen daneben noch alte Farbtuben und Pinsel, die angeblich noch von ihrem Benützer stammen. Ein alter Ofen, ein Hocker, und in einer anderen Ecke, neben einer weiteren kleineren Staffelei, ein Liegestuhl und ein Tischchen, auf dem eine Weinflasche und ein Glas steht, ergänzen das bescheidene Mobiliar. Auf einem Wandregal befinden sich verschiedene Schalen und Vasen, die vielleicht für Stilleben als Modell dienten.

Außer mir waren an dem Nachmittag noch eine Amerikanerin, die in andächtiger Verzückung umherging, und ein behäbiger Holländer gekommen. Photographieren durfte man, soviel man wollte, und nach Ansichtskarten mußte man erst fragen. Es wurden einem keinerlei Erinnerungsgegenstände oder Kommentare aufgedrängt, was in einem angenehmen Gegensatz zu Erfahrungen bei ähnlichen Besuchen kultureller Erinnerungsstätten steht.

Ich saß lange in dem Liegestuhl und versuchte, die Atmosphäre und die Ruhe des Raumes auf mich wirken zu lassen. Es war eine eigentümliche Wirkung, die dieser Raum auf mich machte. Ich kann sie nicht beschreiben und weiß auch nicht, ob es nur Einbildungen waren, in die man sich an solchen Orten ja leicht hineinsteigern kann.

Jahre später las ich in einem Brief Rilkes, es gehe Cezanne „um das Überzeugende der Dingwerdung, die bis ins Unzerstörbare hinein gesteigerte Wirklichkeit“. Dabei fielen mir die Empfindungen und Überlegungen im Atelier wieder ein, die ich nicht hatte in Worte fassen können und die so ganz anders waren als jene Empfindungen, die mich befielen, als ich am Abend nach dem Besuch des Ateliers, nach Marseille zurückgekehrt, in dem Trubel der Cannebiere versank, um an einem der gesellschaftlichen Anlässe des Fachkongresses teilzunehmen.

Am 24. September 1878 schrieb Paul Cezanne an Emile Zola: „In einigen hundert Jahren wird es völlig unnütz sein, zu leben, alles wird verflacht sein. Doch das wenige, das bleibt, ist dem Herzen und dem Blick doch noch recht teuer.“

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