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Besuch bei Gustinus Ambrosi

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Ein strahlender Frühlingstag im Prater. Dicke, klebrige Knospen an den Kastanien, erster, hauchzarter, wehender Schleier grünender Weiden — Kinder mit blassen Gesichtern Leberblümchen suchend. Waldmüller-Stimmung einerseits — seidenblauer Himmel mit wattegleichen, weiß hingetupften Schäfchenwolken — dürrem Vorjahrslaub, zwischen dem zitternd das junge, grüne empordrängt — Vogelruf in der Luft — blauende Wienerwaldberge eingerahmt — nach rückwärts schauend, zwischen den schnurgerade ausgerichteten Alleebäumen — friedliche, Praterstimmung, gleich an goldenen Apriltagen der guten, alten Waldmüller-Zeit und heute. Aber auch nur die Stimmung. Rechts höhnen die Schilder „Kaisergarten“, „Kaffeehaus“, allein stehengeblieben zwischen verbogenen Drahtzäunen und Schuttmassen. Bombenzersplitterte Bäume — Bombentrichter, teilweise zugeschüttet —, Kugellöcher in den alten Baumriesen. Im Wald die Reste der 12.000 Autos, die von den Deutschen im Prater versteckt wurden, von den Fliegern aber bald entdeckt worden waren.

„Diesen Weg ging ich oft mit Rilke“,gt Gustinus Ambrosi neben mir. „Uber diesen Blick schrieb Adalbert Stifter —“ und: „Hier führten meine Frau und ich 38 Handwagen mühsam geborgene Werke — hier lagen wir, im März 1945, im Graben, eingehüllt in Schnee, während um und über uns die Bomben prasselten — mein armes Atelier lag neben der deutschen Flackstellung — kein Wunder, daß es etwas abbekam ...“

Wir biegen links ab. „Habe die Ehre, Herr Ambrosi!“ ruft ein vorüberkommender Arbeiter; er reißt die Mütze vom Kopf. Zwei andere winken herüber, dann schaufeln sie msig weiter — kleine Rädchen im großen Triebwerk der Wiener, die entschlossen sind, alles daranzusetzen, um Wien wieder so schön zu machen, wie es einstmals war.

Wir sind angelangt. Rechts und links stehen — arg bombenbeschädigt — die beiden der Kunst gewidmeten Gebäude. Ursprünglich errichtet im Rahmen der Weltausstellung 1872—1873, dienten sie als Ausstellungsräume für die Werke von Piloty, Kaulbach, Makart, Canon, Böcklin, Feuerbach usw. Auch Monticelli, Meissonier, Courbet, Corot und Delacroix waren vertreten.

Nach der Ausstellung wurden die Gebäude Staatsateliers. Feuerbach und Makart bekamen als erste Räume zugewiesen. In Ambrosis heutigem Atelier malte Feuerbach den „Titanensturz“, ehe das Bild auf dem Plafond in der Aula der Akademie befestigt wurde. Dann bekamen die Professoren Zumbusch, Weyr und Hellmer diese Staatsateliers. Der große Saal gehörte bii 1923 Rektor Prof. Edmund Hellmer, dann gab ihn die Republik an Ambrosi.

Ambrosi richtete sich in den Gebäuden Werkstätten ein, in denen seine Werke in Gips gegossen wurden — eine Schmiede, in der er selbst am Amboß stand, um die Traggerüste für seine tonnenschweren Bronzestatuen zu schmieden, Tischlerei, Schlosserei für Gerüstbau, Montageabteilungen, in welchen die zum Bronzeguß bestimmten Werke vorher zerlegt und in Formteilen hergerichtet wurden, sowie Balken- und Bretterdepots, in welchen die transportbestimmten Werke, die zu Ausstellungen reisten, sachgemäß eingerüstet wurden. Der riesenhafte Museumsraum war angefüllt mit den fertigen Werken. Eine selbstgezimmerte, halsbrecherische Treppe führte auf eine Art Galerie, auf deren Stellagen Gipsformen, Ton und Gipsmodelle, Lorbeerkränze aus aller Welt, florentinische Truhen, angefüllt mit Korrespondenzen, Büchern und Aufzeichnungen, ein beschauliches Dasein führten.

Führten — bis nacheinander sechs Volltreffer die Gebäude trafen. 663 Werke Ambrosis wurden hier getroffen. Nur 238 sind davon zu restaurieren. „Zwei Jahre werde ich allein mit dem Restaurieren verlieren“ — klagt Ambrosi, 446 Fenster und Oberlichten wurden im Atelier zerstört, was die Bomben allein nicht fertiggebracht hatten, hatten die Deutschen vollendet, die sich ausgerechnet in Ambrosis Atelier verschanzen mußten. (Vier Bronzebüsten hatten die Nazi Ambrosi zur' „Metallsammlung“ abgezwungen.)

14 Fuhren Schutt und 2760 Kübel Trümmer, Gipsreste und Glassplitter räumte Ambrosi unter Mithilfe seiner Frau und zweier Schüler weg. Mehr als 14.000 Trümmerstücke mußte er auf ihre Restaurierungsmöglichkeit hin untersuchen und, soweit die Untersuchung positiv ausfiel, verpacken und in Depots verteilen — denn liebe Wiener und solche, die es werden wollen, stahlen wie die Raben. Was Bomben und Deutsche übriggelassen hatten, stahl oder zertrümmerte das Gesindel. 3000 Werkzeuge wurden geraubt, alle restlichen Möbelstücke, Arbeitskleidung, Tagebücher.

Wir betreten den kleinen Vorgarten, der zu dem ersten Atelier führt. Ein heute verwilderter kleiner Garten, in dessen einstmals sorgfältig gepflegten Beeten einige kümmerliche Schneeglöckchen und Leberblümchen ihr Dasein fristen. Eine sonnenwarme Bank lädt zum Sitzen ein. „Das ist eine berühmte Bank“ — sagt Ambrosi. „Auf ihr saß ich mit Rilke, mit Wildgans, Stephan Zweig, Romain Rolland, Duhamel, Hermann Bahr, mit Ginzkey, Schnitzler, Schönherr, mit König Luitpold von Bayern, mit Klimt, Orlik, Gerhard Hauptmann, Pain-leve und vielen anderen.“ Auf der Türe zum Atelier steht in großen Buchstaben geschrieben: „Wenn du mich liebst — so laß mich arbeiten — —“.

Das Atelier liegt so in der Himmelsrichtung, daß die Strahlen der untergehenden Sonne rot das „PromethidenW bescheinen, Ambrosi öffnet die Türe. Wüst sieht es in den Räumen aus! Das notdürftig geflickte Dach, Staub und Schuttreste. Ambrosi öffnet eine Falltüre und zeigt in den unter dem Fußboden liegenden Raum, der angefüllt ist mit Resten seiner Werke. Man möchte weinen — und steht fassungslos vor Ambrosis wahrhaft „ambrosianischer“ Lebenshaltung und Lebenszuversicht angesichts dieser Verwüstungen. „Ich will noch unendlich viel schaffen“, meint er.

„Man muß Geduld haben. Geduld ist lächelnde Erkenntnis. Vergessen Sie nicht: Wir sehen die Verwüstungen und Zerstörungen in der Welt, weil Licht ist. Zuerst war das Chaos — dann schuf Gott das Licht. So steht es in der Schrift. Wir müssen froh sein, daß wir das Licht haben, und demütig das Chaos wegräumen und an die Zukunft glauben ... Ja, glauben Sie nur! Es wird alles gut werden. Die Natur ist gütig — das Universum ist gütig. Der Mensch ist manchmal nicht gut, aber dafür wird er müde und — aus Müdigkeit gut. Man muß sich zur absoluten Menschenliebe erziehen — so gewinnt man den Weg zum Sinn des ganzen Universums. Und selbst die Erbärmlichkeit wird sublim ...“

Es ist so viel über Ambrosi geschrieben worden. In seinem Archiv befinden sich 3165 Berichte und Artikel in zwölf Sprachen. Es wurde so viel über ihn geschrieben — als Künstler — als Mensch — als Dichter — als geistigen Erben Michelangelos und Rodins. 1893 in Eisenstadt geboren, spielte er mit sechs Jahren Geige. Mit sieben Jahren verlor er — nach einer Gehirnhautentzündung — das Gehör völlig. Der taube Junge — ausgeschlossen von den Spielen seiner Altersgenossen — suchte Zuflucht bei Büchern — las mit 13 Jahren die Bibel, Dante, Plato und Horaz — hoch oben in einem Baumwipfel sitzend. Ging als Lehrling nach Prag zu einem Dekorationsbildhauer und sah — selbst auf einem Gerüst balancierend — einen Arbeiter abstürzen und das Genick brechen. Zwei Jahre später schuf er das erste seiner berühmten Werke, den „Mann mit dem gebrochenen Genick“, der noch immer den Ausdruck trägt, von dem Ambrosi sagte, daß ihn der Anblick des Entseelten, der mit geöffnetem Mund — als wolle er noch etwas — das Letzte — sagen — nie mehr los ließ.

„Mein geistiger Lehrer war der Tod“, sagt Ambrosi. Nicht nur der Tod. Nein — der zweite bittere Lehrer der Menschheit schreit aus jedem seiner Werke — aus jeder Skulptur — aus jedem der wundervollen Sonette: der ungeheure Schmerz. Der Schmerz, wie er so gigantisch, so ungeheuerlich befruchtend von Gott nur seinen Auserwählten geschenkt wird. „Wen Gott liebt, den züchtigt er“, heißt es ja. Nun — er muß Gustinus Ambrosi sehr heben. So viel Schmerz — so unendliche — titanenhafte Verzweiflung spricht aus den meisten Werken. Wohl auch ausklingende Erlösung aus manchen — manche atmen Frieden — erfüllte Ruhe. Nicht nur die Taubheit, nicht nur die manchmal geradezu frappierende Ähnlichkeit des äußeren Menschen gemahnen an Beethoven — nein, auch der seelische Gehalt der Werke — und besonders des Ausdrucks des Schmerzes. Zu Marmor gewordene Beethoven-Symphonien sind Ambrosis Werke.

Im großen Saal des zweiten Gebäudes stehen die wie durch ein Wunder verschont gebliebenen, überlebensgroßen Werke des „Ikarus“, des „Kain“ und des „Adam“.

Stephan Zweig umarmte weinend die „Erschaffung Adams“. Dieses gewaltigste Werk — gewaltig nicht nur in der Komposition, sondern vor allem im seelischen Gehalt — in der Problematik. Die urgewaltige Faust Gottes, die, aus den Wolken herabstoßend, den Menschen ins Dasein stößt — den Menschen, der sich mit qualverzerrtem und dabei doch aus dem tiefsten Sein vertrauend an die Gottheit hingegebenem Ausdruck an den Kopf greift — so sehen Gebärende aus, die sich in aller Qual und Furcht vor dem Unabänderlichen glückhaft und schmerzlich zugleich auf das neue Leben freuen, mit allen Anforderungen, Schwerem und Schönem. Es ist jedoch besser, Ambrosi selbst über sein Werk sprechen zu lassen:

„Sie kennen wohl die .Erschaffung Adams' von Michelangelo? Da berührt Gott Vater den ersten Menschen mit dem Finger und gibt ihm den Lebensfunken — Michelangelo hat vielleicht so die Elektrizität alles Lebens vorausgeahnt. Sie kennen auch wohl Rodins ,Hand Gottes'. Da sind in einer symbolischen Riesenhand, die Gott darstellen soll, zwei in Liebe umschlungene Menschen. Das ist eine herrliche Schöpfungslegende, ganz der französischen Seele entsprechend. Meine .Erschaffung Adams' aber ist weder Allegorie noch Legende. Sie ist Philosophie und tiefe Weisung: Gott schafft den ersten Menschen, obwohl ihm bei seiner Allwissenheit nicht verborgen sein kann, daß er damit das ganze Weltelend gründet. Er schafft ihn doch. Dieses .Doch' bringt Beethoven im II. Satz der V. Symphonie zum Ausdruck — dieses ,Du mußt!' — Aber: mein Adam greift sich ans Gehirn, an den Sitz des Denkens: er weiß, er wird sich durch den Geist erlösen. — Das eben hat die Menschheit bis heute nicht zustande gebracht, so muß sie weiter leiden am ,Muß'.“

1919 ist das Werk geschaffen — als Mahnung an die Menschheit — als Mahnung „Nie wieder Krieg“. Ambrosi würde das nur in Gips ausgeführte Werk gerne acht Meter hoch aus Marmor hauen, so nämlich, daß die „Hand Gottes“ nicht frei steht wie jetzt, sondern aus den Wolken herauswuchtet. Dazu aber braucht es einen Spender des Marmorblocks. Und einen solchen scheint es heute in Österreich kaum zu geben.

Von den 589 Porträtbüsten, die Ambrosi geschaffen hat, stehen einige wenige unbeschädigt im Atelier. Gerhard Hauptmann, Napoleon, Papst Pius XL, Büsten vieler bekannten Köpfe jüdischer Geistigkeit. Die wunderschöne Marmorbüste von Mrs. Campbell Fairfax, ein erschütternder Entwurf zu einem geplanten 9 mal 8 Meter großen Relief der „Seelen im Fegefeuer“ — ach wozu beschreiben — Worte sind zu arm — Aufnahmen sind zu arm — nie können sie die atmende Lebendigkeit des geformten Marmors beschreiben. Und so soll ein Sonett Ambrosis am Ende dieses Artikels stehen. Ein Sonett — im nassesten Februar, als Ambrosi fieberkrank und verzweifelt an einem unvollendeten Werk schuf, an die Wand geschrieben:

O Gott, Du meines wilden Geist's Entfacher, Bedenke doch, wie hilflos Menschen sind! ' Oft bist Du auch mein größter Widersacher Und schickst mir Nebel, Regen, Dreck und

Wind,

Zugluft und Schnee und ringsum nasse Wände — Auf daß ich fiebernd werde, krank und arm. Ist Allmacht dies: zu lähmen meine Hände, Und mir zu schicken der Ideen Schwärm?

Und alles war mir schon seit je im Wege — War dies ein Weg? — Durch Indolenz und

Sumpf;

Und doch — Du weißt: Ich ward dadurch nicht

stumpf,

Denn wenn ich todmüd mich zur Ruhe lege, Da frage ich — ob Dir mein Tun gefiel. Durch Hindernisse sehe ich mein Ziel!

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