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Besuch beim Mozartkugel-Mann
In Salzburg bin ich oft am Mozart-Denkmal vorbeigegangen. Die Bildhauerdynastie Schwanthaler, deren später Sproß dieses Denkmal geschaffen hat, kenne ich erst seit der Landesausstellung in Stift Reichersberg, die sie 1974 vorgestellt hat. Das war in meinem Maturajahr. Von der Protestantenvertreibung durch die Salzburger Erzbischöfe wußte ich schon mehr, als ich sie 1981 in Schloß Goldegg („Reformation - Emigration") dokumentiert sah. Aber eine wirkliche Vorstellung davon habe ich erst seit dieser Landesausstellung, die ihre Dimension visualisierte, Fluchtwege und neue Ansiedlungen kartographisch veranschaulichte und Bilder individuellen Heimatverlustes mit nackten Zahlen und wirtschaftlichen Fakten verband.
Landesausstellungen übten auf mich fast immer eine Anziehungskraft aus. Vor allem waren sie eine Legitimation für einen Ausflug. Als Salzburger hat man eine solche doppelt nötig, weil man es als unfreiwilliger Bestandteil eines touristischen Pauschalarrangements sonst nicht über sich bringt, in der eigenen Umgebung quasi zum Touristen zu werden und sich eine Burg oder ein Stift
anzuschauen. Es sei denn, man hat Gäste, denen man sie zeigen soll. Nicht nur Stift Reichersberg, auch Kremsmünster kenne ich nur durch eine Landesausstellung. Ich habe sie beide seither nie mehr besichtigt.
Die ideale Landesausstellung lockt Einheimische an Orte, die sie nur vom Hörensagen kennen, und verführt zur Beschäftigung mit einem naheliegenden Thema. Sie knüpft bei Bekanntem und Selbstverständlichem an, deckt neue Hintergründe auf. Im besten Fall initiiert sie ein Thema -wie etwa „Arbeit/Mensch/Maschine.
Der Weg in die Industriegesellschaft" 1986 in Steyr oder die Hexenausstellung auf der Riegersburg. Beide haben zu weiterer wissenschaftlicher Beschäftigung angeregt.
Ein besonderes Wagnis war es, in Salzburg in puncto Mozart noch eins draufzulegen und ihm auch noch eine Landesausstellung zu widmen. Es hat sich gelohnt, weil man sich auf einen Geniekult oder auf Devotionalien ä la Getreidegasse erst gar nicht eingelassen hat, sondern auf das Hör- und Klangerlebnis setzte. Dabei scheute man vor technischen Raffinessen nicht zurück. Der Besucher konnte mittels eines Computers eigene Klänge produzieren.
Man konnte aus der Fülle der Information auswählen und sie auf die eigenen Voraussetzungen und Interessen abstimmen. Und vor allem: Man war nicht nur Betrachter, son-
dern Mittelpunkt eines (steuer- und gestaltbaren) Erlebnisses. Meine Tochter war damals noch etwas zu klein für diese Ausstellung, obwohl sie Mozart schon kannte. Vor einem Schaufenster nahm sie mich an der Hand und rief: „Schau Papa, der Mozartkugel-Mann!" Für etwas ältere Kinder hätte die Ausstellung in Schloß Kleßheim so manches parat gehabt, das überhaupt nicht nach verstaubter Bildung roch.
In meiner Studienzeit zerfiel die Freizeit für mich in zwei Welten: Meine eigene, in der man sich mit Kultur und Wissenschaft auseinandersetzte, Konzerte, Lesungen, Lokale und Ausstellungen besuchte - eine Welt der Individuen, Paare und Gruppen von Gleichgesinnten. Die andere Welt fand sich in einem Sonntag-Nachmittags-Milieu, in dem quengelnde Kinder auf Spaziergänge geschleift, Hunde an der Leine gezerrt und Großmütter ausgeführt wurden.
Diesen Familienmenschen habe ich verständnislos aus der Ferne zugesehen; getroffen habe ich sie in den Landesausstellungen. Dabei ist mir langsam klar geworden, daß Kultur und Familienausflug, Kulturinteresse und kindlicher Bewegungsdrang einander nicht ausschließen müssen. Daß man Kinder einbeziehen kann, daß Schauen, eigene Aktivität, Spielen und Erholung zusammenkommen, ist ein hervorragendes Merkmal vieler Landesausstellungen. Selbst Familienmensch geworden, war ich froh über diese Möglichkeiten.
Eine Landesausstellung ist etwas für die Einheimischen. Im Gegensatz
und in Ergänzung zur hauptstädtischen Kultur sind ihre Themen auf die Region oder einen besonderen Ort bezogen. Dabei merkt dann auch der Städter, daß das Land nicht nur Landschaft ist.
Ruinieren kann man die Idee der Landesausstellungen dann, wenn man meint, partout jedes Jahr eine veranstalten zu müssen, und Themen an den Haaren herbeizieht .Was etwa suchte „Peru durch die Jahrtausende" auf der Schallaburg?
Eine Landesausstellung soll anstiften, die nähere Umgebung zu erkunden, und ihre historische Tiefenschärfe erkennen lassen, damit „Heimat" nicht jenen überlassen bleibt, die schon immer wußten, wie sie aus-
zusehen hat. Eine Landesausstellung ist dann ein Fehlschlag, wenn sie an jedem beliebigen Ort stattfinden könnte. Daß ihnen der Dünkel jener Puristen etwas anhaben könnte, die über jede Popularisierung die Nase rümpfen, ist weniger zu befürchten. Denn auch diese könnten doch etwas dazulernen.
Sicher ist, daß Landesausstellungen nicht nur Autobusunternehmungen und Gasthäusern Umsätze beschert haben, sondern die originellste Idee der letzten Jahrzehnte waren. Damit konnte historisches Bewußtsein sinnvoll umgesetzt und weit über das Ghetto der traditionellen Kulturkonsumenten hinausgetragen werden.
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