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Bewegung in der Kirchenmusik Deutschlands

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Die Bemühungen um die Erneuerung der Kirchenmusik in Deutschland vollziehen sich unter zum Teil ähnlichen Schwierigkeiten wie in Österreich. Die äußeren Hemmnisse, die sich einer gedeihlichen Entwicklung entgegenstellen — umfangreiche Zerstörungen von Kirchen und Orgeln, der Kampf der Träger kirchenmusikalischen Lebens mit den materiellen Nöten des Tages —, sind freilich wesentlich stärker als bei uns. Trotzdem weicht der Notbetrieb, wie er schon seit 1933, besonders aber während des Krieges, herrschte, allmählich einer geregelten kirchenmusikalischen Tätigkeit. Daß diese auch planvoll sei, darum geht in Deutschland die Diskussion. Diese kann vorläufig noch in keiner eigenen katholischen Zeitschrift geführt werden, die schmerzlich entbehrt wird. Doch nehmen sich die beiden angfesehenen Musikzeitschriften „Musica“ und „Melos“ gelegentlich kirchenmusikalischer Fragen an, und einem ersten Werkheft „Musik und Altar" (Christophorusverlag, Freiburg i. Br.) sollen bald weitere Nummern folgen.

Am vordringlichsten erscheint die Frage der Ausbildung des Nachwuchses und der K i r c h e n m u s i k er sowie die Betreuung des Gemeindegesanges. Auf diesem Gebiet werden drei Forderungen erhoben:

1. nach Diözesanmusiksdiulen, an welchen die Ausbildung neben dem Beruf hergehen kann, da die berühmten Sdiulen von Regensburg und Aaachen nicht in genügendem Maße Kirchenmusiker für kleine Gemeinden ausbilden können;

2. nach Knabenscholen, da mit dem Schwund der Sängerknaben auch der Schwund der Kirchenmusik einsetze;

3. nach Wiedererrichtung des Kantoramtes, wie es in der evangelischen Kirche weiterbesteht und das als Garantie dafür angesehen wird, daß der einstimmige Gesang des Chors und des Volkes nicht vernachlässigt werde. Die Hauptaufgabe des Kantors soll also in der Leitung des Gesanges und im Vorsingen bestehen, wodurch ein „Abgleiten des Chors in den Konzertbetrieb“ vermieden wird.

An allgemeinen Erscheinungen kann festgestellt werden: ein gewisser Zug zum Volkstümlichen; die bedeutenden Schwierigkeiten, welchen — besonders in der süddeutschen Kirchenmusik — die Durchsetzung des gregorianischen Chorals begegnet (wobei die Unterlegung deutscher Texte unter lateinische Melodien entschieden abgelehnt wird); eine gewisse Gefahr der Zersplitterung durch die Fülle der liturgischen Formen, wie sie eine oft allzu große Betriebsamkeit hervorgebracht hat; die Notwendigkeit, alle Kräfte in der Hand eines hauptamtlichen Fachmusikers zu vereinigen; schließlich der Hinweis auf die neuen Einheitslieder, welche der Vereinheitlichung der Kirchcnliedkultur den Weg bereiten sollen.

Besondere Aufmerksamkeit wird auch der „Orgelnot“ geschenkt. „Ist unsere Orgelnot nicht ein Gericht, wenn wir die Sünden wider die Orgel überdenken, die in Deutschlang möglich waren?“, und man erinnert an die vom totalitären Staat mit großem Einsatz geförderten und geforderte Laisierung und Säkularisierung der Orgel; entschieden lehnt man das verschwommene Gesäusel romantischer Orgeln ab und fordert Rückkehr zu — wenn auch bescheidenen — Instrumenten mit einfachen, ungemischten Farben, zu Orgeln, deren künstlerische Prospektgestaltung wieder würdig und orgelmäßig sein soll.

Dh Gespräche über die evange Iisctie Kirchenmusik gehen zumeist von der Feststellung aus, daß etwa seit der Mitte des 18- Jahrhunderts die Kirchenmusik ins Hintertreffen geraten ist, da die Entscheidungen auf musikalischem Gebiet ausschließlich im Bereich der weltlichen Musik gefal-

len sind. (Bezeichnend ist auch, daß die repräsentativen Komponisten der Jahrhundertwende: Strauß, Pfitzner upd Mahler keine kirchenmusikalischen Werke aufzuweisen haben.) Nur Reger hat als Kirchenmusiker entscheidenden Anteil an der Entwicklung der zeitgenössischen Musik, und seit dem ersten Weltkrieg regt sich auf dem ganzen Gebiet neues Leben. Der Beitrag führender, fortschrittlicher Komponisten an der Kirchenmusik war so groß, daß anläßlich des Festes der evangelischen Kirchenmusik in Berlin (1937) ein Parteiorgan erklärte: „der Musikbolschewismus habe sich unter die schützenden Fittiche der Kirche geflüchtet, und es sei an der Zeit, daß der Staat dort nach dem Rechten sehe.“

Von noch größerer Bedeutung ist der Wandel der inneren Einstellung zur Kirchenmusik, wie er sich im evangelischen Lager abzuzeichnen beginnt.

Der religiöse Subjektivismus und Individualismus, der dem Protestantismus des 19. Jahrhunderts das Gepräge gab, ist durch die beiden Weltkriege erschüttert worden. Es genüge nicht mehr nur das „fromme Gefühl“ und eine monologische Musik aus dem Glauben. Erst dort, wo man Gemeinde und Gottesdienst wieder ernst genug nimmt, seit man die liturgische Bindung und damit die Gebrauchsfunktion der Kirchenmusik bejahe, erst dort könne von echter, neuer Kirchenmusik gesprochen werden. In den Dienst dieser Bestrebungen stellt sich eine ganze Reihe von zeitgenössischen Komponisten, unter denen sich auch Katholiken befinden, die durch die Stätte ihres Wirkens Verbindung zur evangelischen Kirchenmusik haben, wie Ernst Pepping, Hugo Distler, J. N. David, Wolfgang Fortner, H. F. Midieisen, Willy Burckhardt, Helmut Degen, Walter Kraft, Eberhard Wenzel und andere. Hier ist eine gewisse Annäherung an die katholische Auffassung festzustellen, als deren Sprecher Walter Lipphardt in „Musik und Altar" erklärt: „Der Gedanke einer Unterscheidung des Christlichen in der Musik ist notwendig, um zu wissen, um was es heute bei der Erneuerung der Kirchenmusik geht, auf jeden Fall nidit um Stilfragen oder historische Probleme, sondern um Fragen des künstlerischen Charakters, es geht um die Distanzierung von einem falschen Geniebegriff und die Hinwendung zu einer gediegenen Handwerksauffassung von der Kunst, denn die ist die Grundlage für den echten homo ludens.“

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