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BIBLIOPHILIE IN FRANKREICH

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Frankreich ist neben England das klassische Land der Bibliophilen. Die 1820 — acht Jahre nach dem Londoner Roxfourgheclub — gegründete Sociėtė des Bibliophiles fran- ęais ist die zweitälteste Bibliophilengesellschaft der Welt.

Seit der Jahrhundertwende hat die französische Buchkunst einen großen Aufschwung genommen. Kurz nach dem ersten Weltkrieg gab es bereits fast 200 Herausgeber von Luxusausgaben. Ein Großteil der unzähligen Käufer waren allerdings Spekulanten, die die Werke noch vor ihrem Erscheinen und nicht selten in mehreren Exemplaren aufkauften. Vor dem ersten Weltkrieg hatte es ungefähr zwölf Kunstverlage gegeben. In der üppigen Produktion nach 1918 war jedoch nicht alles erste Wahl. Wirkliche Kunstwerke, die eine geistige und optische Einheit bildeten, waren in der Minderheit, Mittelmäßiges überwog. Die Texte der Luxusdrucke stammten im Vergleich mit den vor dem Krieg herangezogenen von noch unberühmten Gegenwartsautoren. Hatte ein schöngeistiges Buch bei seinem Erscheinen Erfolg, so erschien bald die illustrierte Luxusausgabe. Das Positive an diesem intensiven und bald hektisch betriebenen Verfahren war, daß die Illustrationen in jedem Fall dem Zeitgeschmack entsprachen und für die Nachwelt daher dokumentarisch interessant sind. Nachteilig hingegen war die oft voreilige Auszeichnung eines Autors, dessen literarischer Wert sich bald als trügerisch erwies. Sättigung des Marktes, Konkurse und Vergleiche waren bald die unvermeidliche Folge dieser Flut von Luxusausgaben.

Nach dem zweiten Weltkrieg setzte eine ähnliche Spekulation ein. Als unversteuerte, weil vor dem Staat geheimhaltbare Kapitalanlage wurden die bibliophilen Drucke erneut häufig von am Kunstwerk Uninteressierten erworben. Inzwischen hat sich ein Markt entwickelt, auf dem ernsthafte Kenner und Amateure überwiegen. Das illustrierte Buch ist wieder ein Luxusobjekt geworden, dessen Wert hauptsächlich vom Illustrator, von der Seltenheit der Illustration und der Einbandausführung abhängt. Nach wie vor ist es das Gemeinschaftsprodukt von Verleger, Papierfabrikant, Typograph, Setzer, Reproduzent, Drucker, Buchbinder und nicht zuletzt Autor und Illustrator. Eine Novität ist mit dem „Livre du peintre” auf dem Markt erschienen. Hier stellt der Künstler als Kalligraph, Metteur und Buchdrucker seine Erfindergabe ganz in den Dienst des Buches.

Die Büchersammler sind in Frankreich zahlreicher als in Deutschland. Wenn berühmte Sammlungen in den Pariser Auktionshäusern Hotel Drouot oder Palais Galliėra versteigert werden, sind Publikumsinteresse und Nachfrage erstaunlich groß. Die Auktionskataloge sind von einer überraschenden Genauigkeit. Jede feinste Farbnuance des Leders wird bestimmt, wie überhaupt der Einband, der jaden Preis erhöht, in allen Einzelheiten beschrieben wird. Ein Exemplar auf Velinpapier von Paul Verlaines „Parallėle- rnent”, das 1900 von Ambroise Volland editiert wunde (Lithographien von Bonnard, Einbandvergoldungen von Paul Bonet), wurde vor einiger Zeit auf 282.000 Francs heraufgesteigert. „Panallelement” ist eines der Bücher, das die Bibliophilen bei seinem Erscheinen entrüstet ablehnten. Heute werden gerade die Bücher, die vor 1914 keine Abnehmer fanden, am meisten geschätzt.

Wie die Sammler, sind auch die Verleger bibliophiler Bücher im allgemeinen konservative Leute. Drei in Paris ansässige „Pioniere” dieser Buchgattung, die ich nach ihren Erfahrungen und Projekten befragte, sind auf Umwegen zum Buch gekommen. Daniel Henry Kahnweiler und Aimė Maeght haben als Kunsthändler zugleich Bücher editiert, und der Liechtensteiner Robert Altmann hat als gelernter Graphiker völlig neue Techniken für Einband, Typographie und Illustration entwickelt.

D. H. Kahnweiler, der so viele Künstler von ihren Existenzsorgen befreit hat und seine Vermittlerrolle zwischen Künstler und Publikum von Anfang an als Berufung auffaßte, verlegt nach dem Grundsatz: kleine Auflagen, aber große Maler und große Dichter.

Herr Kahnweiler, Sie haben 1907 Ihre erste Galerie eröffnet und brachten zwei Jahre später bereits Ihr erstes bibliophiles Buch heraus.

Mein erstes Buch war „L’Enchanteur peurissant” von Apollinaire mit Holzschnitten von Andrė Derain. Derain war unbekannt, Apollinaire war unbekannt… ich konnte für sie eintreten.

Haben Sie immer unbekannte Texte genommen, die Sie dann illustrieren ließen?

Ich habe nie einen schon veröffentlichten Text genommen, immer unveröffentlichte Texte, und wenn möglich, von ganz jungen Leuten, die noch unbekannt waren. So wie ich die Bilder von, sagen wir, Braque und Picasso kaufte, die noch unbekannt waren.

Hatte der Kunsthändler Vollard nicht Ähnliches gemacht?

Nein, Vollard hat nichts Ähnliches gemacht. Vollard hat berühmte Texte genommen und hat sie von Malern illustrieren lassen, die im allgemeinen auch nicht unbekannt waren. Vollard war ein großer Verleger, ohne jede Frage, aber was ich gemacht habe, war etwas ganz anderes. Wenn man einen berühmten Text illustrieren läßt, sind automatisch schon Leute da, die ihn kaufen. Dagegen war das bei mir nicht der Fall, doch das war ja auch gar nicht wichtig, ich hatte absolut nicht damit gerechnet, daß sich meine Bücher sofort absetzen ließen. Das hat sich auch für meine letzten Veröffentlichungen nicht geändert.

Wie war die Aufnahme Ihrer ersten Bücher beim Publikum?

Von Aufnahme konnte nicht die Rede sein. Es wunden zehn, zwölf, fünfzehn verkauft, und das ist alles. Das war für mich allerdings nicht sehr wichtig, die Galerie ernährte natürlich den Verlag. Aber als meine Habe nach dem Krieg 1914 bis 1918 in fünf großen Versteigerungen aufgelöst wurde, waren noch mindestens drei Viertel aller Bücher vorhanden.

die dann natürlich für nichts weggingen.

Ist die Initiative zur Herausgabe der Bücher immer von Ihnen ausgegangen? Gab es immer schon ein fertiges Manuskript, das illustriert wurde? Oder haben Sie einen Auftrag an einen • Schriftsteller gegeben, den Sie schätzen?” Ich habe immer Manuskripte genommen, die existierten, und dann gesucht, wer das illustrieren könnte.

Könnten Sie mir etwas über die Zusammenarbeit von Schriftsteller und Illustrator sagen?

Das ist natürlich sehr verschieden. Es gibt ein Buch aus dem Jahre 1949, das ich für eines meiner besten Bücher halte, „Le verre d’eau” von Francis Ponge und Eugene de Kermadec. Die beiden waren Freunde und kamen überein, daß der Illustrator den Text nicht las. Sie einigten sich über ein Thema, nämlich „le verre d’eau”, und beide stellten Wassergläser dar. Die Verbindung war sehr innig, ohne daß Kermadec Einblick ins Manuskript von Ponge genommen hat. Er wußte einfach, worum es sich handelte.

Sie haben auch Bücher in fremden Sprachen verlegt?

Ja, zwei Bücher von Gertrude Stein auf englisch und 1930 ein Buch in deutscher Sprache von Carl Einstein, „Entwurf einer Landschaft” mit Lithographien von Gaston-Louis Roux. Es hat sich von allen Büchern am wenigsten verkauft. Die Auflage ist noch nicht erschöpft. (Meine Bücher erscheinen jeweils in 120 Exemplaren, davon sind 100 für den Verkauf.) Es wird heute gewöhnlich für 50 Francs und auf Japanpapier für 120 Francs gehandelt.

Welches wird Ihr nächstes Buch sein?

Ein Buch von Raymond Queneau mit Illustrationen eines allerdings jungen, unbekannten Malers.

So geben Sie einem jungen Maler die Möglichkeit, eben auch bekannt zu werden.

Ich weiß nicht, ob ihn das bekannt machen wird, ich glaube es nicht. Aber es kommt alles nach und nach.

In dem der Galerie Maeght angegliederten Verlag erscheinen drei Arten von bibliophilen Drucken: „Grandes Editions Originales Illustrees” (illustrierte Erstausgaben), deren Preis zwischen 60 und 1500 Francs liegt; die Reihe „Pierre ä Feu” (Künstlermonographien), die Preise zwischen 18 und 80 Francs aufweist, und die „Editions de luxe”, die zwischen 30 und 1000 Francs kosten.

Aimė Maeght, der Inhaber der Galerie Maeght, hatte sich bereits als Lithograph und Graphiker einen Namen gemacht, bevor er sich dem Kunsthandel zuwandte. Ich sprach mit Jacques Dupin, Essayist und Kunsthistoriker, in dessen Händen die bibliophile Produktion der Galerie liegt.

Ihre Galerie ist vor allem ‘durch Künstler wie Giacometti, Miro, Braque, Chagall, Calder und Steinberg bekannt geworden. Haben Sie sich von Anfang an neben dem Handel mit Bildern und Plastiken auch für das bibliophile Buch interessiert?

Die Galerie Maeght besteht seit 1946 und hat beinahe seit ihrer Gründung Bücher verlegt. Es handelte sich zuerst um die Reihe „Pierre ä feu”, in der zum Beispiel Bände wie „Kandinsky” von Max Bill und „L’Art abstrait” von Michel Seuphor erschienen sind. Aber schon für diese Reihe wurde Originalgraphik angefertigt. 1948 begannen wir mit unseren „Grandes Editions”.

Sie arbeiten für die Illustration ausschließlich mit Künstlern Ihrer Galerie. Wie wählen Sie die Texte aus?

Das hängt hauptsächlich von den Künstlern ab. Braque zum Beispiel hat sich lange mit Griechenland und griechischer Dichtung beschäftigt. Es reizte ihn eines Tages, die „Theogonie” Hesiods zu illustrieren. Dieser Stoff erlaubte es ihm, sich mit Themen zu beschäftigen, die er bereits früher behandelt hatte.

So ging die Initiative zu diesem Ruch vom Maler aus.. Ist das immer so?

Ja, fast immer. Viele unserer Bücher haben jedoch ihren Ursprung in einem Gespräch zwischen einem Dichter und einem Maler, zwischen diesen beiden und uns. Wir „planen” ein Buch also nicht im voraus, sondern es wächst gewissermaßen wie eine Pflanze. Heutzutage interessieren sich viele Dichter für die graphischen Künste und die bibliophilen Bücher. Sie liefern nicht nur ihren Text, sondern folgen allen Entwicklungsphasen des Buches.

Sie haben seit 1946 rund 30 bibliophile Bücher herausgegeben. Sie lassen bei Fequet und BaiAdier drucken, die viele für die besten Typographen Europas halten. Im übrigen besitzt die Galerie Maeght zum Unterschied mit anderen Verlegern bibliophiler Bücher eigene Werkstätten.

Wir waren nach und nach zu der Überzeugung gekommen, daß wir eigene Druck- und Gravierwerkstätten haben müßten. So wurden wir unabhängig und konnten den Malern eher die Möglichkeit geben, neue Techniken zu versuchen. Wenn sie in eine fremde Werkstatt gehen, sind sie dem Zwang einer schon eingefahrenen Technik unterworfen. In unserem Atelier kann der Künstler nach Herzenslust experimentieren, genauso wie wenn er in seinem eigenen Atelier mit der Leinwand experimentiert. Wir arbeiten allerdings nach wie vor mit auswärtigen Druckereien. Wir haben keinen eigenen Typographen. Wir sind für Lithographie- und Offsetdruck eingerichtet, haben eine große Kupferstichwerkstatt und besitzen Photosetzmaschinen, die heute für technisch überholt gelten, aber für die Wiedergabe von Zeichnungen ideal sind. Das Wichtigste ist jedoch, daß wir in unserer Werkstatt die Verfahren mischen können, was außerhalb nie möglich wäre.

Wie lange dauert die Herstellung eines bibliophilen Buches?

Es ist sehr langwierig und kompliziert, ein Luxusbuch herzustellen. Das übersieht man in der Öffentlichkeit gern. Wenn das Buch fertig ist, sieht alles sehr einfach aus. Für das letzte Buch haben wir zehn Jahre gebraucht. Ein bibliophiles Buch erfordert Teamarbeit. Jeder muß das Werk des anderen berücksichtigen.

Sind die von Ihnen verlegten Bücher schnell vergriffen?

Nein, im allgemeinen dauert der Verkauf ziemlich lange. Ein Buch, das erscheint, überrascht, ja schockiert die Bibliophilen, die meistens die Bücher verlangen, die vergriffen sind.

Wie verstehen Sie Ihre Aufgabe als Verleger bibliophiler Bücher?

Wir wollen vor allem den — ungefähr 15 — Künstlern der Galerie die Möglichkeit geben, ihre Vorstellungen der graphischen Künste bei der Gestaltung bibliophiler Bücher zu verwirklichen. Unsere Aufgabe ist also mit der Kahnweilers zu vergleichen, der den Künstlern dienen will, die er schätzt und verteidigt, ohne ihnen irgendeinen Stil oder eine bestimmte Komposition aufzudrängen. Andere Verleger sind in einem gewissen Sinn „schöpferischer”. Sie konzipieren ihr Buch in allen Einzelheiten und verpflichten Picasso als Illustrator und irgendeinen Schriftsteller als Textautor.

Robert Altmann betreibt als Börsenfachmann die Herausgabe bibliophiler Bücher sozusagen als Hobby.

Was führte Sie dazu, sich mit dem bibliophilen Buch zubeschäftigen? Waren Sie Sammler, bevor Sie selbst Herausgeber wurden?

Ich selbst bin Graphiker und habe lange selbst Radierungen und Holzschnitte verfertigt und gedruckt. Um das Interesse für die graphische Kunst zu fördern, schuf ich in New York in den Jahren 1946 bis 1947 den Verlag Brunidor, welcher eine Mappe mit Radierungen von Hayter, Tanguy, Miro, Ernst, Seligmann und Lithos von Lam und Matta herausgab. Bisher sind sechs solche Mappen erschienen, die letzte’ mit Graphiken von Gisele Celan-Lestrange und Gedichten von Paul Celan.

Was war Ihr erstes bibliophiles Buch?

Das erste von mir herausgegebene Buch war eine Gedichtreihe des kubanischen Volksdichters El Cucalambe, illustriert mit meinen eigenen Holzschnitten und Lithographien. Abgesehen von diesem Buch enthalten alle anderen nur Originaltexte von lebenden und mir bekannten Schriftstellern. Alle Texte sind Erstveröffentlichungen. Auch die Graphiken werden speziell für meinen Verlag angefertigt und sind für viele Künstler ein erstmaliger Versuch, in dieser Form zu arbeiten.

Beim gewöhnlichen Buch ist der Text das Wesentliche, währenid die Ausstattung vergleichsweise unerheblich ist. Beim bibliophilen Buch hingegen haben Text und Illustration gleichen Rang. Wie sieht das nun in der Praxis aus?

Das Wichtigste für mich ist, daß die Gegenüberstellung der Künstler, Schriftsteller und dann auch Typograph, Buchbinder und allen handwerklichen Mitarbeitern etwas Lebendiges darstellt und einen inneren Zusammenhang erzeugt, der aus dem Buch etwas Einzigartiges macht. Ich definiere ein Buch als ein Objekt, welches aufrecht stehend in eine Bibliothek eingeordnet werden kann, welches liegend aufgeschlagen, beschaut und befühlt und schließlich durch das Lesen sozusagen absorbiert wird und trotz dieser einzigartigen Qualitäten in einer Serie verauflagt ist.

Bei dem von Ihnen vorgelegten „livre-sculpture” steht die Plastik im Vordergrund. Ist es hier noch erlaubt, von einem Buch zu sprechen?

Das sogenannte „livre-objet” erkenne ich nur bis zu einem gewissen Grad als Buch an, ebensolange es noch wie das von mir veröffentlichte Skulpturenbuch aufgeschlagen und gelesen werden kann. Der Text des „livre-sculpture” — ein Gedicht von Gherarim Luca — ist absichtlich auf sehr wertvollem Pergament gedruckt, damit er mit der Skulptur gleichwertig erscheint.

Wie betrachten Sie die Zukunft des bibliophilen Buches?

Die Zukunft des bibliophilen Buches betrachte ich als sehr zweifelhaft, da sie immer abhängig ist von dem Interesse für das Buch als solches und nie von eigentlichen kommerziellen Verlegern in die Hand genommen werden kann. Im Augenblick leben wir unzweifelhaft in einer Zeit mit großem Interesse für das bibliophile Buch, ein Interesse, welches die Surrealisten mit der Erfindung des „livre-objet” mit hervorgerufen haben. Aber es ist nicht gesagt, daß sich das Handwerkliche gegen die neuzeitlichen Medien behaupten kann oder dieselben integriert. Die Versuche auf diesem Gebiet, insbesondere die „Plastikbücher”, sind jedoch ein wertvoller Beitrag zur Erneuerung.

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