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Biennale des Übergangs

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Die diesjährige XXIX. Weltschau der bildenden Kunst in Venedig bezeichnete der neuernannte Generalsekretär Prof. Gian Alberto Dell'Acqua als eine „Biennale des Uebergangs“; sein Wunsch war, daß sie der Jugend gewidmet sein soll — sowohl den jüngsten Künstlern als auch den jüngsten Stilschöpfungen. Beim ersten flüchtigen Ueberblick der rund 3500 Bilder, Plastiken und Graphiken von 36 teilnehmenden Nationen glaubt man diesen Avantgardismus bestätigt zu finden, der bewußt auf die Abstraktion hinzielt und bei dem die verschiedensten Materialien und Fertigungsmethoden triumphieren.

In der Malerei ist besonders der Tachismus mit seiner prickelnden Frische und immer neuen Impulsen sowie die expressive Abstraktion heuer im Ueber-gewicht, dessen beste Vertreter wir im italienischen, französischen und spanischen Pavillon vorfinden. Bei den Spaniern finden wir gleichzeitig die interessantesten Materialexperimentierer, welche mit Gips, Zement, Kies, Jute, Teer, Sand und sogar mit Eisenteilen operieren und das' Staffeleibild in eine Art Mauerbild verwandeln. Stark „europäisch“ wirken heuer auch die überseeischen Länder, sogar Japan, Kanada, Israel, die Türkei und die Vereinigte Arabische*'Republik. Daneben werden große Kollektionen mit Werken von Meistern geboten, die bereits zum klassischen Bestand der Kunst unseres Jahrhunderts gehören: die ausdrucksvollen, eleganten Bilder des hochbetagten Franzosen Georges Braque, die sonderbaren liebenswert-naiven Gemälde des Italieners Massimo Campigli, prachtvolle Frühwerke des großen Pioniers der Moderne, Wassilij Kandinsky, und die vom jüdischen Wesen und slawischer Umwelt geprägten Werke des aus Wilna stammenden und 1957 in Brasilien verstorbenen Expressionisten Lasar Segall. Den amerikanischen Pavillon beherrschen die jeweils in nur wenige Farbflächen unterteilten großen Bilder des aus Rußland stammenden Mark RotHco und die von der chinesischen Pinselführung bestimmten Werke Mark To-beys. Die Ostblockstaaten, mit Rußland an der Spitze, das eine große Kollektion von Sergej Gheras-simov und ein unter dem Namen „Kukryniksy“ arbeitendes Malertrio vorstellt, halten mit Ausnahme von Polen und Jugoslawien, die einen westlicheren Kurs verfolgen, an ihrem tendenziösen Realismus und Naturalismus fest. Oesterreich wartet in der Malerei mit einer großen Gemäldeschau des 1918 verstorbenen Hauptmeisters der Wiener Sezession, Gustav Klimt, und den kubistischen Werken Alfred Wickenburgs auf. Warum nichts Neueres? Die interessantesten Vertreter der Graphik auf der

XXIX. Kunst-Biennale sind der Engländer S. W. Hay-ter (halbabstrakte, farbige Gravüren), der Belgier Lismonde (Holzschnitte), der Franzose Friedländer, der Italiener Spacal und der Däne Palle Nielsen (Linolschnitte). Die österreichische 'Graphik ist mit einigen Porträts von Hans Fronius, Leihgaben der Albertina, sehr schwach vertreten.

In der zeitgenössischen Plastik spielt das Metall und dessen Eigenschaften die Hauptrolle. Einmalig sind die mit fast mathematischer Exaktheit ausgeführten Metallgebilde des Meisters der abstrakten Plastik, Antoine Pevsner, welche den Mittelpunkt des französischen Pavillons bilden. Ihm zur Seite stehen die an Eisengeräte erinnernden Konstruktionen des Amerikaners David Smith, die exakten Buntmetallplastiken des Schweizers Bill, die Figuren des ideenreichen Spaniers Chillida sowie die phantastischen Gebilde des Belgiers Bosch und des Engländers Armitage. An Pflanzen erinnern die Arbeiten des Amerikaners Lypton. In der österreichischen Schau sehen wir eine Serie naturalistischer Skulpturen von Georg Ehrlich.

Die Preisverteilung durch die internationale Jury fiel folgendermaßen aus: den Großen Preis des Ministerrates für die Malerei erhielt, erstmalig, ein Italiener: Osvaldo Licini, ein überaus kultivierter i und handwerklich vorbildhafter 64jähriger Künstler; den für Plastik der 48jährige Umberto Mastroiani, der durch seine futuristisch wirkenden Plastiken bekannt ist. Die 13 hochdotierten Preise für sakrale Kunst blieben mangels geeigneter Beiträge zum Großteil unverteilt. Nur der Franzose Alfred Manessier für sein Gemälde „Die Dornenkrone“, Karl Schmidt-Rottluff für religiöse Holzschnitte, der Engländer S. W. Hayter für seine graphischen Interpretationen der „Apokalypse“ und Franz König für eine epigonale Bronzeplastik wurden ausgezeichnet.

Erwähnenswert sind auch die vorzüglichen modernen Venediger Glaserzeugnisse und Mosaike, welche, in einem gesonderten Pavillon gezeigt, durch ihre enorme Farbenfreudigkeit auffielen. An den umfang-und bilderreichen Biennalekatalog knüpfen wir den Wunsch, daß dieser in Zukunft auch farbige Reproduktionen bringen möge und nicht nur in italienischer Sprache verfaßt erscheine.

Zusammenfassend ist die XXIX. Biennale als eine gelungene Schau, ein ziemlich getreues Spiegelbild der letzten zeitgenössischen Schöpfungen auf dem Gebiete der bildenden Künste unserer Welt zu werten, wenn auch nicht immer die allerbesten Schöpfungen der einzelnen Nationen und ihrer Künstler zur Schau gestellt wurden.

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