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Biennale, Venedig 1952

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Die diesjährige Kunstbiennale in Venedig, zweifellos die schwächste seit dem Kriege, bietet dem Laien ein so verwirrendes Bild und hat auch für den Fachmann einen so zwiespältigen Charakter, daß Zweifel prinzipieller Natur an einer solchen Monsterausstellung moderner Kunst auftauchen müssen. Hat zum Beispiel Italien, das seinen Pavillon naturgemäß am stärksten beschickt hat, wirklich keinen einzigen Maler von einigem Rang? Und was soll man ernsthaft zu dem sagen, was der schöne neugebaute Schweizer Pavillon enthält oder besser nicht enthält? Inmitten dieser durch kritiklose Auswahl getrübten Länderausstellungen ragt der österreichische Pavillon als ein Muster an künstlerischer und ausstellungstechnischer Sauberkeit hervor, ein Beweis, daß es nicht der Masse an künstlerischen Erscheinungen, die Österreich ja nicht besitzt, sondern der Beschränkung in der Auswahl bedarf.

Versöhnlicher stimmen jedoch die zahlreichen Einzelausstellungen bedeutender Künstler. Hier steht zweifellos der italienische Plastiker Marini an erster Stelle. Ihm ist nur Fritz Wotruba an die Seite zu stellen; seine fünf großen Skulpturen zeigen, daß die künstlerisch schwierige Situation in Österreich der Tiefe der Problematik zugute kommt. Frankreich bietet eine Kollektion des Plastikers Lipschitz, dessen frühe kubistische Werke, besonders im kleinen Format, in ihrer klaren Kompaktheit und

Eleganz zum Besten des 20. Jahrhunderts zählen. Bemerkenswert ist das erstmalige Hervortreten einer Reihe jüngerer englischer Plastiker, die, in freier Weise an Moore anschließend, von dem zwei Abgüsse einer großen skeletthaften Figur ausgestellt sind, von einer neuen experimentellen Entwicklung in durchaus erfreulicher Weise Zeugnis geben, während eine Auswahl der Spielereien Calders eher ärmlich wirkt.

Die Malerei der Gegenwart, quantitativ dominierend, steht mit Ausstellungen bedeutender Künstler diesmal hinter der Plastik zurück. Die jüngste Produktion des Franzosen Leger, unterstützt durch Beispiele aus seinen früheren Perioden, strebt einem radikalen und fast sozialen Realismus zu, ohne das abstrakt Formale zu überwinden, und kann so als keine reine Lösung gelten. Einheitlicher, aber oberflächlich, jedoch charmant und stets geschmackvoll, wirkt die Schau seines Landsmannes D u f y. Daß die englische Malerei trotz ihrer insularen Dünnheit an malerischer Substanz überraschen kann, beweist das poetisch und imaginativ höchst intensive Werk Graham Sutherlands. Eine vergleichbare nationale Eigenständigkeit verhilft den Bildern des Deutschen Xaver Fuhr zu wirklich repräsentativer Bedeutung. K o- koschka stellt auch diesmal gesondert aus; zwei Landschaften und zwei Porträts, noch farbiger und dynamischer als die der letzten Zeit, können die ge-

fährliche Schwäche dreier riesiger, mit einer wirren Privatmythologie bedeckten Leinwände leider nicht mindern.

Unter den Retrospektiven des 20. Jahrhunderts ragt der vorbildliche Pavillon der holländischen De-Stijl-Gruppe hervor; die klaren, elementar einfachen Bilder ihres bedeutendsten Künstlers, Piet Mondrian, sind vielleicht die vollkommensten Werke der ganzen Biennale. Gut ausgewählt ist die Schau der deutschen expressionistischen „Brücke“. Auch die Maler des belgischen Expressionismus, nicht so sehr P e r m e k e, als v a n den Berghe und Jespers, überzeugen.

In der Graphik endlich dominiert eine reiche Auswahl aus dem Werk Alfred K u b i n s; von Blatt zu Blatt wird hier der Beschauer durch immer neue Visionen zu einem wirklich bedeutenden Gesamteindruck geleitet. An zweiter Stelle ist Mexiko zu nennen, beherrscht von den aggressiv realistischen Zeichnungen Orozcos.

Einer nun schon festen Tradition folgend, beherbergt die Biennale auch diesmal zwei historische Ausstellungen; Spanien zeigt Goya, Frankreich Corot.

Zusammenfassend ergibt sich, daß die diesjährige Biennale der Aufgabe, einen qualitätvollen Querschnitt durch die Gegenwartskunst zu bieten, nicht gerecht wird, vielmehr eine Reihe von Einzelkünstlern ins Licht rückt, denen der notwendige verbindende Hintergrund einer allgemeinen Entwicklung mangelt.

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