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Bilder des leidenden torichten Menschen

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HIERONYMUS BOSCH. Von Ludwig Baldass. Zweite, veränderte Auflage. Erläuterungen zu den Bildern und Literaturübersicht neu bearbeitet von Günther Heinz. Verlag Anton Schroll & Co., Wien-München. 252 Seiten mit 160 Abbildungen, davon 42 Farbtafeln. Preis 468 S.

Dieser prachtvolle Tafelband, vor kurzem ausgezeichnet mit dem österreichischen Staatspreis für das „schönste Buch des Jahres 1959“, stellt das deutschsprachige Standardwerk über Hieronymus Bosch dar. Er darf, nach dem epochemachenden Werk von Charles de Tolnay (1937), neben den Publikationen von J. Combe und L. Brand-Philip, als die wichtigste, heute gültige Monographie dieses Künstlers angesprochen werden. Er enthält eine Wiedergabe sämtlicher bekannter Gemälde Boschs, meist auch mit charakteristischen Ausschnitten. Alle Hauptwerke werden in Farben vorgestellt. Die Farbwiedergabe ist, vor allem bei den Tafeln, die Details zeigen, genau, der Druck sauber, die Ausstattung vorzüglich. Doch muß angemerkt werden, daß die Grün- und Gelbwerte auf einigen Bildern, wie etwa der Altartafel mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige, zu stark aufgehellt erscheinen; dasselbe gilt für die Heilige Veronika. Es müssen aber diese kritischen Einwände vage bleiben, da nur vor den in Wien befindlichen Originalen („Kreuztragung“. Kunsthistorisches Museum, und „Jüngstes Gericht“, Akademie der Bildenden Künste) verglichen werden konnte. Auf jeden Fall läßt sich sagen, daß das Buch gegenüber seiner ersten Auflage, die 1943 unter kriegsbedingten Schwierigkeiten herauskam, nur gewonnen hat: so wurden 16 Farbtafeln hinzugefügt, der Bildteil auch sonst erweitert, der Text — den in den letzten 16 Jahren neu gewonnenen, oft sehr entscheidenden Erkenntnissen entsprechend — vielfach neu geschrieben. Die Neufassung der (sehr ausführlichen) Bilderläuterungen und eine Erweiterung des Literaturverzeichnisses besorgte Günther Heinz.

„Jheronimus bosch“ ist die Signatur eines Künstlers, der von etwa 1450 bis 1516 in 's Hertogenbosch in Nordbrabant (Holland) lebte; in den Registern der Liebfrauenbrüderschaft scheint er als „Jeroen, der Maler“ erstmals um 1480 auf, später mit dem Beinamen „van Aken“ (Aeken, Aachen). Über sein Leben wissen wir nicht viel, fast nichts über die Herkunft und die Bedeutung der phantastischen Symbolik, die er verwendete, literarische Quellen, aus denen er geschöpft haben könnte, sind unbekannt.

„Kein literarisches Denkmal stellt uns die geistige Verfassung des Abendlandes zu tnde des Mittelalters und die eschatologische Auffassung der Zeit knapp vor Beginn der Reformation so reich und klar vor Augen wie das gemalte Werk des Hieronymus Bosch“ (Baldass).

Bis vor 30 Jahren stand man dem Werk Hieronymus Boschs vielfach hilflos gegenüber, wie noch die kurzen Notizen, die Hamann ihm in seiner Kunstgeschichte widmete, beweisen. Gerade sein größter Vorzug, die Darstellung visionärer Erscheinungen, Gestalten und Situationen mit derb-realistischen Mitteln, die dem Phantastischen bestürzende Gegenwart geben, wurde ihm angekreidet. Baldass, der die Werke Boschs nicht nach ihrer mutmaßlichen Enstehung, sondern nach ikonographischen Themenkreisen behandelt (moralisierende sittenbildliche Darstellungen; die sieben Todsünden und die vier Letzten Dinge; die heiligen Einsiedler und Büßer; das Leben Christi), kommt zu einer sehr exakten Beschreibung der kunstgeschichtlichen Stellung dieses einzigartigen Werkes, das wie kein anderes die Torheit der Menschen geschildert hat — eine Torheit, die immer auch Bosheit enthält; Narrentum und Schlechtigkeit hingen für Bosch zusammen. *

HIERONYMUS BOSCH. Die Gemälde. Gesamtausgabe. Von Carl Lintert. „Die weißen Bücher“ im Phaidon-Verlag, Köln. 120 Seiten mit 80 Tafeln, davon 24 in Farben. Preis 12.80 DM.

Eine vorzüglich geschriebene Einführung in das in seiner Symbolik noch immer verschlüsselte Werk Hieronymus Boschs; Linferts Darstellung führt mitten hinein in die moderne Auseinandersetzung um das „Verwirrende an Boschs Malerei“, die — in Linterts kühner, aber belegter Deutung „schon fruit und ungeachtet aller reicher Weit-lichkeit ins Ungegenständliche drängt... Wie schwach, gebrechlich, verhaucht wirken alle seine Gestalten, so sehr sie der Natur gemäß sein mögen. Wie sehr spiritualisiert er alles Irdische, läßt es Geistern begegnen!“ Und weiter: „Was ist das früh herausdestillierte und durchgehaltene Ergebnis der Unzufriedenheit Boschs mit allem überkommenen Sinn?... Wodurch konnte er die Krisis des Sinns in dem weiteren Umkreis, den er ahnte, zeigen? Doch nicht nur... durch das Aushalten der Extreme, Sich-spannen-Lassen in Widersprüche! Es war etwas anderes. Ihm wurde der Übergang schwer in eine Zeit, die er ahnte. Zeigen denn nicht seine Bilder, wenigstens ahnungsweise, den Schrecken einer .zweiten Natur' (verstanden als technische Beherrschung), und diese verwachsen und verknorpelt mit einer aktiven, oft quälend angreiferischen und aufsässigen Natur (verstanden als Lebenskraft)?“

Linferts Essay Uber Bosch ist eine willkommene Ergänzung und Bereicherung der als Fundament unentbehrlichen Darstellung von Baldass; sie öffnet, vom Standpunkt eines mit der modernen Malerei vertrauten Kunstkenners aus, neue Perspektiven auf das Werk des großen, einsam dastehenden Niederländers.

Die Farbwiedergabe erscheint in den meisten Fällen exakt; doch verraten die Abweichungen in den Farbtönen der Ausschnitte, hält man sie gegen die Reproduktion des ganzen Bildes, wieviel in Zukunft noch durch den Farbendruck zu leisten sein wird. Die Ausstattung des Bandes ist sauber und gefällig. Die Wiener Akademie der Bildenden Künste heißt so und nicht „Akademie der Schönen Künste“ (S. 115, 117).

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