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Francis Bacon, dem radikalen Gestalter des Menschen in seiner Sterblichkeit, ist eine der geglücktesten Ausstellungen Wiens gewidmet.

Selten war man in letzter Zeit von einer Ausstellung in Wien restlos angetan. Die Institutionen versuchen, sich gegenseitig Besucher abspenstig zu machen, indem jedes Museum alles und jedes zeigt und seine "Kernkompetenz" zum Teil verleugnet. Oder es werden zweitklassige Bilder von großen Namen ohne wirkliche Ausstellungskonzepte präsentiert. Sind Ausstellungen umgekehrt zu konzeptuell und theoretisch ausgerichtet, so gestaltet sich deren direkte Rezeption für die breite Besucherschaft ohne Katalog-Lektüre oft schwierig.

Erste Ausstellung in Wien

Mit "Francis Bacon und die Bildtradition" ist dem Kunsthistorischen Museum eine Schau gelungen, die - aus mehreren Perspektiven betrachtet- überzeugt und allen Vorstellungen von einer geglückten Ausstellung gerecht wird. An sich ist die Präsentation eines der konsequentesten figuralen Maler des 20. Jahrhunderts, der unbeeinflusst von künstlerischen Moden seinen Weg ging, ohnehin ein Ereignis. Denn das Werk dieses Individualisten ist jetzt zum ersten Mal in einer Einzelausstellung in Österreich zu sehen.

Noch sehenswerter ist aber die Art und Weise, wie die Arbeits- und Denkweise Francis Bacons hier vorgestellt wird. Anstelle einer traditionellen Retrospektive entschieden sich Direktor Wilfried Seipel und Kuratorin Barbara Steffen dafür, Francis Bacon im Gegenüber mit seinen kunsthistorischen Vorbildern, ergänzt durch exemplarische Inspirationsquellen aus dem Atelier Bacons (Fotos, Zeitungsausschnitte, Skizzen) zu zeigen. Ohne lange Erklärungen wird dem Ausstellungsbesucher hier sinnlich und intelligent vor Augen geführt, dass die Kunst der Gegenwart immer mit der kunsthistorischen Tradition vernetzt ist - dass es keine neue Kunst ohne alte Kunst gibt. Kunst entsteht niemals aus dem Nichts. Sie baut immer auf vorhandenen Kulturgütern auf und tritt mit diesen in einen Dialog. Erkennbar wird durch die Einbeziehung von legendären Film-Klassikern, wie die unterschiedlichen Medien einander inspirieren - so hat Bacon, der stets "reiner" Maler war, nicht nur Motive aus Filmen übernommen, sondern auch filmische Momente in seine Malerei integriert, indem er seine Bilder oft als Triptychen realisierte und wie serielle Bildererzählungen komponierte.

Dialog mit den Vor-Bildern

Der Rundgang durch die Bacon-Schau macht auch deutlich, dass nicht nur ein gegenwärtiger Künstler von einem historischen beeinflusst wird, sondern dass wir einen älteren Künstler durch die Augen des jüngeren Künstlers wieder neu und anders sehen lernen. Wer Francis Bacons unzählige Bilder nach Velasquez' Papstporträt von Innozenz X. kennt, dem gelingt es kaum mehr, dieses Bild ohne die Brille Francis Bacons zu betrachten. In der Ausstellung sind die Vorläufer, an denen Bacon sich abgearbeitet hat, deren Bilder er im übertragenen Sinn weiterdenken und zerstören wollte, im räumlichen Nebeneinander gehängt. Tizian, Rembrandt, Ingres, Soutine, Picasso, Giacometti - sie alle unterhalten sich auf einer visuellen Ebene mit Bacon. Gerade durch diese Vergleiche lässt sich die Eigenheit Bacons, die gleichermaßen anziehende wie abstoßende Magie, die von seinen Bildern ausgeht, erst richtig erfassen. Gefangen in abgeschlossenen, leeren Räumen sind seine Figuren. Einsam sitzen sie von grellem Licht beleuchtet in Gestellen, denen sie nicht zu entkommen scheinen. "Man sieht die Stäbe nicht, aber man fühlt sie", hat Franz Kafka geschrieben. Die der "Gewaltsamkeit der Wirklichkeit" ausgelieferten Figuren auf den Bildern des 1909 in Dublin geborenen Malers Francis Bacon sind Kafkas Romangestalten seelenverwandt.

Die Arbeiten des schon zu Lebzeiten zum Mythos gewordenen, 1992 in Madrid verstorbenen Künstlers gehen unter die Haut. Der künstlerische Werdegang Francis Bacons war genauso radikal wie seine Malerei.

Autodidakt wird zum Mythos

Der Sohn eines Pferdehändlers hat nie eine Kunsthochschule besucht. Bevor der Spätstarter 1929 Ölbilder zu malen begann, schlug er sich mit Gelegenheitsarbeiten, Glücksspielen und Möbelentwürfen durch. In den dreißiger Jahren hat der Autodidakt sich dem Surrealismus anzuschließen versucht, wurde aber "als nicht genügend surreal" abgelehnt. Es war das einzige Mal, dass der Außenseiter sich einer Stilrichtung annähern wollte. Bacon, manischer Arbeiter, exzessiver Trinker und bekennender Homosexueller, war stets der Figuralität verpflichtet. Die reine Abstraktion lehnte er ab. Sein Interesse galt allein dem Menschen in seiner Sterblichkeit. Es waren die Verletzlichkeit des Körpers und "der Schatten des Todes", wie er selbst meinte, die Bacon zu immer neuen Bildfindungen antrieben.

Körper bewusst entstellt

Thematisch ergeben sich Parallelen zu österreichischen Künstlern - etwa zur Grande Dame der Malerei, Maria Lassnig und ihrer "Körperbewusstseins-Malerei", aber auch zu den Wiener Aktionisten, allen voran Günter Brus, der die Verletzlichkeit der menschlichen Existenz in den sechziger Jahren zunächst nicht am Bild, sondern am eigenen Körper auslotete, um seine "Körperanalysen" später in Zeichnungen und Texten fortzusetzen.

Durch Deformation und Verzerrung wollte Bacon "den Gegenstand weit über seine alltägliche Erscheinung hinaus entstellen, ihn aber in seiner Entstellung zurückbringen auf eine Aufzeichnung seiner Erscheinung".

Eines seiner künstlerischen Leitmotive ist das Kreuzigungs-Thema. Allerdings wollte Bacon seine Kreuz-Bilder keineswegs religiös interpretiert haben, wie er sich überhaupt einer eindeutigen inhaltlichen Interpretation zu entziehen trachtete: "Ich sage gar nichts aus", meinte Bacon in einem seiner berühmten Interviews mit dem Giacometti-Freund David Sylvester und räumte gleichzeitig ein, dass seine Bilder "eine ganze Menge sagen". In der Tat: Wer das Kunsthistorische Museum derzeit besucht, wird eine ganze Menge Geschichten, inspiriert von der Bildwelt des Francis Bacon und seinen historischen "Kollegen", zu erzählen haben.

Francis Bacon und die Bildtradition Kunsthistorisches Museum,

Maria Theresien-Platz, 1010 Wien

Bis 22. Jänner 2004 täglich 10-18,

Do bis 21 Uhr

Information: www.khm.at/bacon

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