Blick zurück in die Weimarer Republik

Werbung
Werbung
Werbung

"Sander holte Vertreter aller Ränge vor die Kamera, stellte sie gleichsam auf eine Stufe -ein demokratischer Ansatz, der den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war."

Es geht auch anders, es geht auch ohne gefletschte Zähne und angestrengtes Lächeln in die Kamera. Das zeigen die Menschenbilder von August Sander, die derzeit in der Ausstellung "Porträt einer Gesellschaft" im Wiener Westlicht zu sehen sind. Ganz nüchtern kommen sie daher. Wie wunderbar unaufgeregt! Fast neuartig wirken sie.

Dabei sind es alte Aufnahmen. August Sander hat sie vor rund 100 Jahren gemacht. Der Fotograf wurde 1876 in Herdorf, Deutschland, geboren, lebte von 1901 bis 1910 in Linz, wo er erst Angestellter und dann Leiter eines Fotoateliers war, und zog dann nach Köln, wo er 1964 starb.

Hauptsächlich verdiente Sander sein Geld mit Studiofotografie. Es war die Zeit, da die Fotografie den Porträtmalern den Rang ablief. Das neue Medium ermöglichte erstmals einer breiten Bevölkerung, was bis dahin nur einer privilegierten Schicht vorbehalten war: ein Bildnis von sich selbst anfertigen zu lassen. Dazu bedurfte es nun nämlich nur noch eines Klicks.

Neben seinen Auftragsarbeiten verfolgte Sander ein besonderes Projekt: Er fotografierte Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten und Berufsgruppen, mit dem Ziel, ein getreues Abbild seiner Zeit, der Weimarer Republik, zu zeichnen. Ein fotografisches Unternehmen über mehrere Jahre hinweg und zugleich eine gesellschaftliche Bestandsaufnahme.

Mit 70 der rund 600 Bilder umfassenden Serie präsentiert nun das Westlicht genau jene Ausstellung, die Sander 1963 im Rahmen der Kölner photokina selbst kuratiert hatte. Zwei Jahre zuvor war er im Übrigen von der Deutschen Photographischen Gesellschaft für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden. Eine Art Wiedergutmachung, nachdem sein Buch "Antlitz der Zeit" im nationalsozialistischen Deutschland verboten worden war. Die Werke erlauben uns den Blick in eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt, nur etwas mehr als ein durchschnittliches Menschenleben, jedoch eine ganz andere Welt repräsentiert: Während es uns heute schwer fällt, einen Menschen auf der Straße einem bestimmten Beruf zuzuordnen, war das wohl in der Zwischenkriegszeit noch relativ einfach. Denn ob Bäcker oder Industrieller: Angehörige eines Berufs gaben sich in charakteristischer Weise durch Haltung, Gestik und Kleidung zu erkennen.

Er zeigte Typen, keine Individuen

Eine Fotografie zeigt einen Polizisten, der einen gezwirbelten Bart trägt. Ganz die Respektsperson. Auf einer anderen Abbildung sehen wir eine Proletarierin vom Lebenskampf gezeichnet. In der Regel führt Sander in der Bildunterschrift den Beruf an, nur in Ausnahmefällen auch den Namen der abgebildeten Person ("Maler: Anton Räderscheidt"). Ihm geht es in dieser Serie nicht um Individuen, sondern um Typen.

Sander holte Vertreter höherer wie niederer Ränge vor die Kamera und stellte sie so gleichsam auf eine Stufe -ein demokratischer Ansatz, der gerade den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge war. Seine Aufnahmen machte er mit einer Plattenkamera auf Glasnegativen, obwohl die Kleinbildkamera um 1930 aufgekommen war, die das schnell geschossene Foto ermöglichte. Bei der herkömmlichen Technik mussten zahlreiche Einstellungen von Hand vorgenommen werden -eine längere Prozedur, die Sander vielleicht gerade schätzte, weil so der oder die vor der Kamera Posierende ausreichend Zeit hatte, sich zu entspannen.

Sander wird heute als dokumentarisch-konzeptioneller Künstler gefeiert. Eine Zuschreibung, die freilich erst in unserer Zeit aufkam. Für den Westlicht-Kurator Michael Kollmann ist er "der Miles Davis der Fotografie", um den man nicht herumkomme.

Inspiration für Generationen

In der Tat hat Sander viele nachfolgende Generationen von Fotografen inspiriert, so etwa das Künstlerpaar Bernd und Hilla Becher, das Schwarz-Weiß-Fotoserien von Industriebauten und Fachwerkhäusern machte und sie 1972 auf der documenta 5 zeigte - der Beginn seines Durchbruchs. Bald darauf bekam es (offiziell nur Bernd Becher) eine Professur für Fotografie an der Kunstakademie Düsseldorf. Die so spröde erscheinenden Fotografien der Bechers erhielten die höchsten künstlerischen Weihen. Und mit ihnen, so sagen manche, endgültig auch Sanders Arbeiten.

August Sander: "Porträt einer Gesellschaft" bis 20.5., Westlicht Wien Di, Mi, Fr 14 -19 Uhr, Do 14 -21 Uhr Sa, So, Feiertag 11 -19 Uhr www.westlicht.com

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung