6660700-1960_04_14.jpg
Digital In Arbeit

BLÜTEN, GOLD UND BLUT

Werbung
Werbung
Werbung

Der Ursprung ist ungewiß. Manches deutet darauf hin, daß vor ungefähr 10.000 bis 25.000 Jahren Nomadenzüge aus Asien die ganze Länge des nordamerikanischen Kontinents durchstreiften. Zwischen 3000 und 1500 v. Chr. ließen sich einige dieser Völker des Neolithikums auf den mexikanischen Hochländern nieder. Sie züchteten aus den wilden Gräsern den Mais und wurden zu Ackerbauern. Manche drangen bis in die dampfenden tropischen Niederungen Mittelamerikas vor. Aus dem schattenhaften Dunkel dieser mythischen Welt treten bald Zivilisationen und Kulturen in das Licht der Geschichte ein und bilden in Mexiko und Mittelamerika einzelne Brennpunkte. Die Mayas in den Niederungen des heutigen Guatemala, auf Honduras und Yukatan, die Zapoteken und Mixteken auf dem Plateau bei Oaxaca, die Totonaken an der Golfkäste bei Veracruz, die Tolteken und Azteken auf dem mexikanischen Hochland um Mexiko-City. Dort siedeln sie, entwickeln ihre Kulturen zu unglaublicher Vollendung und dort vollzieht sich auch ihr Schicksal mit dem Eindringen der weißen Eroberer.

Geographisch und klimatisch ist das, Land von, großer Unterschiedlichkeit. Große, trockene Hochebenen erheben sich zu schneegekrönten Gipfeln — hier ist das Land erst fruchtbar, wenn es der Mensch bewässert — oder senken sich zu den dampfenden Dschungeln der Küstenebene, wo er den unglaublich fruchtbaren Boden der wuchernden Vegetation in ständigem Kampf erst abringen muß. Regenzeit und Trockenheit bestimmen den Rhythmus des Wachstums und gliedern das Jahr. Der fein und grob gekörnte Lavafels und der reichliche Kalkstein liefern ideales Material für Bauwerke und Plastiken.

Aus dem Hochtal um das heutige Mexiko-City stammen die Funde aus frühester Zeit. Sie sind zwischen 1500 bis 100 v. Chr. anzusetzen. Es sind kleine Tonfiguren, die den europäischen Plastiken des Paläolithikums sehr ähneln, meist Frauenfiguren, summarisch behandelt, starr und stilisiert, vielleicht Fruchtbarkeitsidole.

Um 800 v. Chr. schon (diese Datierung wurde durch die neuesten Untersuchungen mit dem radioaktiven Kohlenstoff 14 gesichert) entsteht an der Goldküste, südöstlich von Veracruz, eine Kultur, deren Kunstwerke zu den faszinierendsten von Mittelamerika gehören. Es ist die olmekische oder La-Venta-Kultur. Ihre Künstler schufen neben großen Altären und monolithischen, mehr als 30 Tonnen schweren Köpfen aus dem harten Material der Jade und des Nephrit Kleinplastiken von vollkommener und eigenartiger Schönheit, die deutlich asiatische Gesichtszüge zeigen. Die Geschlossenheit und Konzentration und das erregte Leben dieser Plastiken sind eigenartig. Im Westen Mexikos dagegen entsteht um 500 v. Chr. eine Kultur, die sich vorwiegend in Keramik und Tonfiguren ausdrückt. In ihnen wirkt vielfach noch die Archaik nach, aber meist wird eine erstaunliche Lebendigkeit der Darstellung erzielt. Die Arbeiten sind ungleich, geben aber immer ein lebendiges Bild des damaligen Lebens, dessen Alltag sie wahrscheinlich als Grabbeigaben widerspiegeln. Diese Kultur erscheint als Bauernkultur, ihre Zeugnisse wie hochentwickelte Volkskunst. Dabei kannten die Töpfer Mittelamerikas die Töpferscheibe nicht, die Töpferwaren wurden modelliert, in Schnüren aus Ton gelegt oder in Modeln gearbeitet. Auch die Glasur blieb unbekannt, Glanz und Undurch-lässigkeit wurde durch Polieren von Hand aus erzielt.

Ebenfalls bis in das Archaikum reicht die erste Hochkultur des Hochtales um Mexiko-City. Ihre Anfänge werden mit 200 v. Chr. angesetzt, und sie wird nach dem Hauptfundort die Teotihuacan-Kultur genannt. In einer ihrer späteren Epochen wird um 400 n. Chr. die große Sonnenpyramide in Teotihuacan gebaut, die bei 220 Metern Seitenlänge noch heute 60 Meter Höhe besitzt. Eine Tat, die wie alle technischen Leistungen der mittelamerikanischen Kulturen besonders erstaunlich ist, da es in diesen Steinzeitkulturen weder Lasttiere noch Wagen gab, das Rad in seiner Anwendung unbekannt war und nur bei Spielzeugen in Erscheinung tritt.

Aus jener Kultur stammen Steinmasken von so vollkommener Schönheit, Monumentalität und Größe der Form, daß sie ohne weiteres an die Seite der besten ägyptischen Plastiken gestellt werden können. Buntfarbige und vielfigurige Wandbilder entstehen, alle mythologischen Inhaltes, da ja die ganze Kunst dieser Kulturen religiös gebunden war und das Profane nicht kannte. Die Malerei fast aller dieser Kulturen bleibt aber primitiv und an das Dekorative gebunden, der Strenge und Präzision der plastischen Form entsprechen oft nicht die gleichen malerischen Qualitäten.

Aus den Ackerbaukulturen waren. inzwischen hochentwickelte Theokratien geworden, die von Priesterkönigen beherrscht wurden und deren tägliches, von Zeremonien durchwirktes Leben vom Rhythmus eines „geistlichen Jahres“ tiefster Frömmigkeit bestimmt war. Bei Oaxaca lag das große Zeremonialzentrum Monte Alban, das die heilige Gräberstadt der Zapoteken war. Ihr eigener Stil drückte sich vor allem in großen Wandgemälden aus und in Grabgefäßen mit reichem plastischem Schmuck, der wie eine Vorahnung des tausend Jahre später entstehenden Kolonialstiles wirkt. _„t __„ \

Monte Alban wurde von. den Mixteken überrannt und usurpiert, deren Hauptzentrum nördlich, von Oaxaca in Cholula lag. Sie sind vor allem überlegene Meister des Kunstgewerbes, das bei ihnen unglaubliche technische Vollkommenheit erreicht. Besonders waren es Werke der Mosaikkunst, die sie mit großer Überlegenheit zu gestalten wußten: holzgeschnitzte Masken und Gegenstände werden mit einem Harzgrund überzogen und darauf ein Mosaik von oft nur auf Stecknadelkopfgröße mit unglaublicher Präzision zugeschliffenen Türkisen und Muschelschalen gelegt. Dabei entstanden Stücke von besonderem Reiz und einmaliger kunstgewerblicher Vollendung. Auf die Bearbeitung des Goldes verstanden sie sich besser als die anderen Völker und bildeten daraus Zeremonialschmuck von makellosem Geschmack. Ihre Handwerker bearbeiteten mit den primitivsten Werkzeugen das härteste Material, wie Bergkristall, Obsidian, Onyx, Marmor und Jade, und schufen daraus Gefäße und Plastiken. Ihre Ornamentik ist reich und kraftvoll und arbeitet mit dem Wechsel von Farbmasse und Linie. Es ist eine vitale Kultur mit kriegerischer Gesinnung.

An der Golfküste waren inzwischen einige Kulturen entstanden und erneuert worden. Die Huaxteken, deren Nachkommen noch heute im Norden des Golfes leben, schufen blockartig geschlossene Bildwerke von großer Kraft, der Tajin-Kultur wiederum entstammen Steinplastiken in seltsamen Formen, die an Joche und Palmfächer erinnern. Es sind, wie sich herausgestellt hat, Zeremonialplastiken, die mit dem heiligen Ballspiel — bei dem ein Ball durch eine kreisförmige, durchlöcherte Steinscheibe zu schlagen war — und den Menschenopfern, die erst spät um diese Zeit auftraten, Beziehung hatten. Diese Plastiken sind streng und von gesammelter Form, die Ornamentik erinnert in ihrer komplizierten Schleifenform an frühchinesische Bronzen, wie auch die seltsamerweise in dieser Kultur auftauchenden grimassierenden ..lächelnden Köpfe“ an chinesische Glücksgötter mahnen. Den höchsten Stand aller dieser Kulturen erreichten zweifellos die Mayas, die die Halbinsel Yukatan. Tabsco, Guatemala und Teile von Honduras und Chiapas bevölkerten. Ihre Bauten und Kunstwerke sind genau datiert, so daß wir erst hier feste Anhaltspunkte für die Zeitrechnung haben. Das älteste, mit einer Jahreszahl versehene Denkmal ihrer Kultur fällt in das Jahr 96 v. Chr. Rechnet man dazu die Zeit, die die Entwicklung ihres genialen Schriftsystems brauchte, so kommt man ungefähr in die Zeit der Gründung des römischen Reiches in Europa (Kühn).

Das ganze Leben der Mayas wurde von der Religion beherrscht. Die Regierung war theokratisch und das Volk in Klassen gegliedert. Die Gottheiten personifizierten die Vorgange der Natur und die Kräfte des Guten und des Bösen. Sie standen in ständigem Krieg miteinander, und es war notwendig, die Kräfte des Guten mit Opfern zu unterstützen, damit sie dem Bösen nicht zur Beute fielen. In ihrer Gestalt vereinten diese Götter menschliche, tierische und Vogelformen, sie stellten eine Vereinigung der Widersprüche dar, ein getreues Abbild ihrer Verehrer, die Grausamkeit mit äußerster Feinheit der Empfindung verbanden. Quetzalcoatl, der immer wieder auch in der toltekischen und aztekischen Kultur erscheint, war zum Beispiel als Federnschlange, als Vogel Quetzal, mit dem Wind, dem Himmel und den Himmelsrichtungen, als Schlange mit Wasser und Regen verbunden. Sein Urbild mag ein toltekischer König gewesen sein, der in seltsamen Prophezeiungen das Kommen des weißen Mannes und des Christentums voraussagte.

Plastik, Architektur und Malerei erreichten bei den Mayas einmalige Höhepunkte. Die Plastik in lebendig bewegten Reliefs und in der unglaublich sinnlichen Direktheit der kleinen Tonfiguren, die in ihrer Eleganz dem Tanagra mindestens gleichwertig sind, die Architektur in der “einsamen Größe der Tempel von Chichen Itza mit ihrer überreichen Dekoration, die farbig zu denken ist und bei denen Baumaße und Gliederung in einem bewegten Gleichgewicht stehen, und die Malerei in der brutalen Kühnheit von Bonampak, die, auch von Europa her gesehen, weit vorausgreift. Das Eigentümliche des Maya-Stiles ist die Verfeinerung, die alle Dinge erfaßt, die Subtilität und Geschmeidigkeit. Man hat den Eindruck dialektischen Denkern, empfindsamen, aber doch harten Menschen gegenüberzustehen. Das sinnliche Element tritt bei den Mayas am stärksten in Erscheinung. Der Mensch wird schon in seiner ganzen Individualität erlebt, aber nicht in seiner Einmaligkeit, die ihm die Seele verleiht und die eine Erkenntnis des Abendlandes ist. Er besitzt wohl die Person, aber nicht die Freiheit, ja nicht einmal das strahlende Lächeln des Leibes und der Lippen, das bei den Standbildern der Aphrodite klassisch griechischer Plastik aufscheint. Im ganzen erscheint die Maya-Kultur als eine frühe Hochkultur, die schon ihren Verfall in sich trägt, so viel an Dekadenz ist in ihr spürbar.

Im Hochtal von Mexiko wurde die Kultur vor* Teotihuacan in der Zeit von 900 bis 1000 n. Chr. durch Eindringlinge aus dem Norden gewaltsam beendet. Es waren die Tolteken, die hier die Herrschaft an sich rissen und die bereits 856 in Tula ihre Hauptstadt gegründet hatten. Unter ihnen entstehen neue Formen der Plastik und Architektur: schwere Atlantenfiguren von großer, derber Wucht stützen das Tempelgebälk und die Altäre, in den Reliefs tauchen der Adler und der Jaguar als Symbole eines kriegerischen Volkes auf. Krieg und Opfer bestimmen das Leben und lösen die friedliche Ackerbauwelt der Teotihuacan-Kultur ab. Durch den durch einen Aufstand vertriebenen Priesterkönig Quetzalcoatl strahlte der Kunststil der Tolteken bis auf die Halbinsel Yukatans aus.

Schon 1168 wird Tula von neuen Eindringlingen zerstört. Aus ihnen steigt in kurzer Zeit das Volk der Azteken zur politischen und künstlerischen Führung auf. Sie siedeln sich 1370 auf der Sumpfinsel im Mexikosee an und gründen die großartige Stadt Tenochtitlan. In erstaunlich kurzer Zeit assimilieren sich die umgebenden Kulturen und entwickeln ein Staatsgebilde von barbarischer Pracht, zu dem die zahlreichen Tribute der Unterworfenen beitragen. Ihre Kunst, die über das Epigonentum hinausgeht, ist durch den Kult vom Grundgedanken des zum Bestand des Kosmos notwendigen Menschenopfers bestimmt. Jährlich wurden etwa 20.000 bis 50.000 Menschen hingeschlachtet. Auf einem einzigen Schädelgerüst, Tzom-pantli, wurden von den Gefährten des Cortes 135.000 Schädel gezählt! Der Gott Xipe, der Gott der jungen Erde, mußte immer wieder mit frischer Menschenhaut bekleidet werden, wobei das Herz der Opfer dem Sonnengott Tonatiuh geweiht wurde, zum Feste Tlcateteuhmictiliztli opferte man Kinder, dem Gotte Tezcatlipoca besonders auserlesene Jünglinge und dem Gotte LIitzilopochtli, dem Kriegsgott, zu Ehren rannen die Altäre von Blut. Die Kunst der Azteken drückt dieses Grauen einer ständig durch das Geschehen des Kosmos bedrohten Welt aus, ihre Gestalten sind von besonderer magischer Eindringlichkeit und Dämonie, finsterer und nächtlicher als die aller anderen Kulturen. Immer wieder aber taucht auch unter ihnen die Gestalt der Federschlange auf als Ausdruck der Sehnsucht nach dem milden Gotte Quetzalcoatl, dessen Wiederkehr sie in der Ankunft der Con-quistadoren zu erleben glaubten, die ihr Reich aus Blüten, Gold und Blut mit Feuer und Schw.'it beenden sollten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung