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Böhmisches Barock

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Das Barockporträt in Böhmen. Von Olga Strettiovä. Artia, Prag.

Die verdienstvolle Publikation stellt an 69 Tafehi die Entwicklung des Barockporträts in Böhmen dar. lieber eineinhalb Jahrhunderte spannt sich der Bogen: vom Rudolphinischen Kunstkreis am Prager Hof, dessen führende Maler aus den Niederlanden und aus Deutschland kamen, über die böhmischen Hauptmeister Karel Skreta, Jan Brandl, Jan Ku-petzky und Vaclav Vavfinec Reiner bis zu Norbert Grund, der eine Reihe kleinerer Talente abschließt. Es ist eine kraftvolle, vitale Malerei, die in den Schöpfungen Skretas, von Caravaggios Naturalismus ausgehend, alle individuelle Wirklichkeit in großen und klaren, kaum durch ein verhaltenes Pathos gesteigerten Formen darstellt. Die psychologische Charakteristik ruht auf den aus dem Helldunkel tretenden Gesichtern und Händen der Dargestellten aus dem Adel und dem Bürgertum Böhmens. In Bildnissen, wie denen des Malers Nikolas Poussin, des Malteserpriors Bernard de Witte, eines jungen Mannes mit blondem Haar, und in dem Familienbildnis des Edelsteinschneiders Dionisio Miseroni, erreicht Skretas Bildniskunst eine malerisch reich nuancierte und zugleich lebensvoll monumentali-sierte Ausdruckskraft. Brandl sammelt die farbige Sprache stärker für eine Steigerung der geistigen Erscheinung, die in seinen Selbstbildnissen und im Bildnis des Grafen Franz Anton Spork mit unmittelbarster Intensität wirkt. Kupetzkys, des bekanntesten höhmischen Porträtisten, Schaffen wird durch die Vereinigung eindringlichster Naturwiedergabe mit scharfsichtigster psychologischer Charakteristik oJurnpriWnsderjscheBoÄöhepurikt, Wied Jnd Je Selbstbildnisse, mit Gattin und -SohnÄ -vollendetsten Zeugnisse seiner großartig lebenswahren Bildnisse. Aber auch die Bildnisse des Miniaturmalers Bruni und des Fräuleins Franziska Wussin offenbaren neben anderem, wie sehr das Menschliche mit faszinierender Kraft gegen alle barocke Repräsentation durchgesetzt erscheint. In den Bildnissen Reiners, Benthums und Molitors wirkt die Lebensnähe der Personen nicht mehr mit gleicher Unmittelbarkeit.

Die barocke Bildniskunst in Böhmen stellt einen bisher zuwenig beachteten Beitrag zum europäischen Barockporträt dar. Darum muß das in deutscher Sprache in Prag erschienene Werk mit guten farbigen und einfarbigen Reproduktionen als tüchtige Leistung besonders begrüßt werden.

Kupetzky. Der große Porträtmaler des Barocks. Von Frantisek Dvofak. Artia Prag. 48 Seiten Text, 11 Textabbildungen, 110 Reproduktionen, davon 32 farbig. Preis 240 S.

An Hand alter und neuer biographischer Daten berichtet das Buch in epischer Breite die Lebensgeschichte dieses böhmischen Barockmalers, der aus den beengenden Verhältnissen seiner Heimat nach den um 1700 üblichen Lehrjahren in Venedig und Rom mitten in den Glanz, in die Sphäre hochstrebenden Kunstschaffens trat, das das triumphierende kaiserliche Wien unter Josef I. und Karl VI. erfüllte. Hier konnte sich Kupecky neben manchen ebenbürtigen Begabungen* als Bildnismaler durchsetzen, doch verließ er nach einem halben Menschenalter das katholische Wien, um sich in das protestantische Nürnberg zurückzuziehen, wo er als Angehöriger der Sekte der Böhmischen Brüder seinen Glauben freier bekennen durfte. In dieser Reichsstadt, deren künstlerischer Glanz um 1720 längst verblaßt war, ist der Maler inmitten häuslichen Mißgeschicks, fern von fruchtbaren Anregungen, vorzeitig gestorben.

Der beste Teil von Kupeckys Malkunst wäre einer ernsten wissenschaftlichen Darstellung wert; allerdings interessieren seine in zahlreichen Varianten und Repliken ausgeführten Porträts nicht in ihrer Gesamtheit, unter welcher allzuviel an leerer Pose, an konventioneller Bewegung und vor allem die aufdringliche stereotype Art, in welcher die Modelle den Beschauer fixieren, die Aufmerksamkeit ermüden. Es ist unklug, angesichts eines derart mit gleichgültigen Leistungen beschwerten Oeuvres Kupecky zu d e m „großen Porträtmaler des Barocks“ emporzuloben, wie dies der Untertitel von Dvofaks Buch tut.

Doch heben sich aus dieser Fülle durchschnittlicher Bilder, denen man die Entstehung „auf Bestellung“ anmerkt, überraschend und beglückend einige wirklich erlebte, persönlich gestaltete Meisterbildnisse hervor, um derentwillen sich die Beschäftigung mit Kupecky lohnt. Es sind unvergeßliche Köpfe: Ein alter Standesherr, dessen müder, wie wunder Blick der gestrafften Haltung widerspricht (Abb. 48), ein blumenhaft zartes kleines Mädchen in seiner ersten großen Robe (Abb. 42 bis 45), ein junger Künstler in geistiger Spannung (Abb. 20 bis 25) und ein einziges Bildnis der Frau, die Kupeckys Verhängnis wurde (Abb. 17) — alles dies Werke, hinter denen ein künstlerisches Erlebnis steht. Diese wenigen Bilder stammen von einem sehr bedeutenden Maler, der hinter den Masken seiner barocken Umwelt das rein Menschliche der Züge erschaute, die sich ihm darboten, und der in begnadeten Stunden solche Schau zu gestalten wußte. Nur seltsam, daß zu diesen großen Leistungen nicht die S:!bstdarstellungen und Familienbildnisse, ja sogar nicht die Darstellungen von Künstlerfreunden zählen, die Kupecky malte. Sehen wir recht, so erstarrte sein Schaffen, das sich in Italien frei entfaltet hatte, im Norden in fortschreitendem Maße.

Leider gibt Dvof aks Kupecky-Monographie keinerlei Aufschlüsse, die über das Biographische hinausreichen, kein Werkverzeichnis, keinen Versuch einer exakten Datierung aller abgebildeten Werke, keine Reihung der Bilder nach ihrer Entstehung. Auch der Laienleser wird die Bildwahl bedauern, die nicht auf strengster Sichtung des vorhandenen Materials erfolgte. Dadurch verunklärt das Buch das Bild des Künstlers, der nur in guten Stunden zu außerordentlichen Leistungen emporwuchs. Gerne erführen wir Aufschluß über die Quellen von Kupeckys malerischem Stil und über die großen Kompositionen, die der Meister in seinen italienischen Jahren vorwiegend schuf. Die kargen Hinweise auf ein Schulverhältnis zu Pietro Liberi und zu Fra' Galgario reichen nicht aus. Sah der Verfasser zum Beispiel nicht, daß die genrehaften Bildnisse junger Künstler, die Kupecky schuf (Abb. 58, 88), späte Nachbildungen der ins Genre transponierten Selbstbildnisse des jungen Caravaggio sind?

Die uns vorliegende deutsche Uebersetzung ist sprachlich und sachlich unexakt. Der neue Terminus „Autoporträt“ (zu Abb. 86) wird sich kaum an Stelle von „Selbstbildnis“ durchsetzen. Es bleibt auch dem Leser vorbehalten, festzustellen, daß Abb. 11 bis 13 nicht Kupecky mit seiner Frau darstellen, sondern den Künstler, der am Bildnis seiner Frau arbeitet. Die „Weltöffentlichkeit“, der dieses Buch Kupecky nahebringen will, dürfte dem Künstler nicht den Rang zuerkennen, den Dvofak für ihn beansprucht.

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