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BOSCH IM 20. JAHRHUNDERT

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Ein Mensch wird von einem Kapuzenmann auf dem Amboß mit einem Hammer geschlagen. Ein Nackter, in dessen Bauch bereits ein Pfeil steckt, wird an der Folterung eines anderen vorbeigeführt. Ein Mensch hängt statt des Klöppels aus der Öffnung einer Glocke. Ein geflügelter Teufel tut, was man nicht sagen kann, mitten in ein menschliches Gesicht. — Das sind Details aus einem Kosmos, den man oft als eine Welt des Grotesken und Abstrusen, der Schrecken, ja des Wahnsinns bezeichnet hat und der, beängstigend und faszinierend zugleich, eines der ungeheuerlichsten Phänomene in der Geschichte der Malerei ist und nicht nur der Malerei. Es ist die Rede von der Welt des Hieronymus Bosch, der irgendwann um 1450 geboren wurde und in der holländischen Stadt 's-Hertogenbosch gelebt und gearbeitet hat. Dort gelang es nun, nach 30 Jahren zum ersten Male wieder, wenn schon nicht alle wichtigen, so doch wenigstens die meisten von Bosch gemalten — und erhaltenen — Bilder zu einer Ausstellung zu vereinigen, die eines der großen, der erstrangigen Kunstereignisse ist, nicht nur des Jahres, sondern des Jahrzehnts. Denn seine Werke sind sonst über ganz Europa und Amerika verstreut.

Aus dem Leben des Hieronymus Bosch ist nur wenig bekannt. Kein Qeburts- und kein Stierbehaus erinnert an ihn. Wir wissen, mit wem er verheiratet war, wir wissen, welcher Bruderschaft er angehörte, aber wir wissen nicht, von wem er gelernt haben könnte, was er konnte, und wir wissen nicht einmal sicher, wie er ausgesehen hat. Immerhin befindet sich unter den 275 Darstellungen berühmter Persönlichkeiten, die Jacques le Boucq um 1550 gezeichnet hat, auch ein aus Raubvogelaugen wachsam in die Welt blickender Bosch mit stämmigem, faltig aus dem Kragen seines einfachen Rockes wachsendem Hals und zu einem breiten, schmalen Strich zusammengekniffenem Mund. Das Blatt entstand wahrscheinlich nach einem Selbstbildnis des alternden Bosch. Hier ist nichts mehr von der Rebellion zu lesen, die in den Augen des etwa 45jährigen Bosch stand, wie ihn ein im Amherst-College (USA) aufbewahrtes, auf Holz gemaltes Porträt zeigt, wenn dile tasdhuift stimmt — So wie mit den Bildern, die Bosch zeigen, geht es uns auch mit vielen, die er gemalt hat: Wir wissen nicht, wann er sie gemalt hat, wir wissen nicht, ob er sie gemalt hat. Immerhin sieht man heute manches klarer als vor 30 Jahren. Vieles, was noch Friedländer Bosch zugeschrieben hat, gilt heute als Kopie nach einem verlorenen Werk oder als von Bosch inspiriert. Unsichere Zuschreibungen wurden erhärtet, Datierungen bestätigt oder verworfen, spätere Zusätze, zum Beispiel in den oberen Partien des „Narrenschiffes“, erkannt.

Noch immer ist ungeklärt, welche Einflüsse Hieronymus Bosch am Beginn seines Weges als Maler bestimmt haben könnten. Noch immer liefert Professor Dr. Max Friedländer die reizvollste Theorie mit der Andeutung, Bosch könnte aus der Schule eines Buchmalers hervorgegangen sein. Dies würde sowohl die zeichnerischen und kompositorischen Schwächen der Frühwerke von Bosch als auch dessen „horror vaeui“, seine Tendenz, leere Flächen zu vermeiden und mit Figuren zu füllen, erklären.

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Die Ausstellung wird es wahrscheinlich ermöglichen, manche Frage zu klären. Sie bietet Gelegenheit, Werke, die sonst tausende Kilometer voneinander entfernt hängen, unmittelbar miteinander zu vergleichen. Besonders zu rühmen ist der prächtige Katalog, der eine Abbildung jedes ausgestellten Bildes und jeder Handzeichnung von Bosch enthält. — Es sind aber nicht die im engeren Sinne kunsthistorischen Fragestellungen, die sich dem unspezialisierten Besucher dieser Ausstellung aufdrängen. Hingegen konfrontiert sie jeden Besucher (um die vordergründigste Angelegenheit zuerst zu erörtern) mit dem Problem der Reproduzierbarkeit von Kunstwerken mit den Mitteln der modernen Drucktechnik.

Man hört heute oft und man plappert es leichtfertig nach, daß der moderne Kunstdruck jedes Gemälde überall und jederzieiiit verfügbar macht, jeder Bücherschrank ein „musöe imaginaire“, um mit Malraux zu sprechen. Wir sehen es so, weil wir es gerne so sehen möchten, doch ein Tag in der Bosch-Ausstellung genügt, um es als Illusion zu entlarven. Offensichtlich ist es noch immer unmöglich, erschwingliche Farbdrucke nach Bosch herzustellen, die man nicht erschrocken weglegt, sobald man sie mit dem Original vergleicht. Die möglicherweise letzte Version der von Bosch im Laufe seines Lebens so oft gemalten „Versuchung des heiligen Antonius“ (aus dem Prado) ist ein Glanzstück der Ausstellung, ein Werk, in dem Bosch zur sparsamsten und raffiniertesten Verwendung aller seiner Mittel gelangt ist, sowohl der malerischen als auch seiner Phantasie. Die räumliche Wirkung dieses Bildes beruht auf einer Grünskala von außerordentlichem Reichtum, ich habe viele Farbdrucke dieses Bildes gesehen, aber keinen, der nicht seine gesamte Tiefe und räumliche Wirkung vernichtet hätte. Schwarzweißphotos geben mehr, wesentlich mehr, von Wirkung und Eigenart dieses Meisterwerkes wieder. Weniger kraß gilt dies leider für fast alle Reproduktionen aller anderen Werke von Bosch, wenigstens, so weit sie kein Vermögen kosten.

Doch die moderne Technik eröffnet dem Menschen auch einen neuen Weg zu Bosch, der früher nicht gangbar war, genauer gesagt, sie läßt Bosch neu, unmittelbar und potenziert auf uns wirken, und zwar auf dem Umweg über den Film. Über die Rolle des Details bei Bosch brauchen wir hier kein Wort zu verlieren. Die Methode des Films, winzigste Details von ihrer Umgebung zu lösen und riesengroß auf die Filmleinwand zu werfen, führt gerade bei Hieronymus Bosch zu einem Umschlagen von Quantität in Qualität, was die psychologische Wirkung betrifft. Die filmische Erschließung des Gemalten ist hier kein billiges Mätzchen des technischen Zeitalters, sondern sie öffnet ihm eine neue psychische Dimension. Was man bei der Betrachtung der Bilder bewußt und mit einer gewissen Anstrengung aufnehmen muß, ohne dabei die Distanz zwischen Bild und Betrach-

ter ausschalten zu können, stürmt im Kinosaal als eine Flut schrecklicher Bilder auf einen ein und trifft erst hier den Lebensnerv dessen, der im 20. Jahrhundert lebt.

Der Kunstbetrachter wird hier zum unmittelbar Betroffenen, was auf der Seitentafel eines Flügelaltars eine brennende Stadt war, ist hier seine Stadt, die gestern gebrannt hat und heute oder morgen wieder brennen kann, und der blutende, abgeschlagene Kopf auf dem Teller, als Zier eines Helms mit geschlossenem Visier, bei unmittelbarer Betrachtung des Bildes ein hochinteressantes malerisches Detail, wird dort, wo der Mensch des 20. Jahrhunderts seine intensivsten Gemeinschaftserlebnisse empfängt, nämlich im Kino, zum Opfer einer anonymen Schreckensgestalt, deren Schrecklichkeit eben auf ihrer Anonymität beruht. Hinter dem Sehschlitz dieses Ritters hat kein Auge jenen menschlichen Schimmer, der in einem makabren Witz nicht dem lebendigen, sondern dem Glasauge eines SS-Mannes zugeschrieben wird. Hieronymus Bosch kannte noch keine SS-Kappe, aber der Helm mit dem geschlossenen Visier symbolisiert das gleiche.

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Vieles bei Hieronymus Bosch ist zeitbedingt. Das heißt in manchem Falle, daß er sich Freiheiten herausnehmen konnte, an die heute nicht mehr zu denken ist, zum Beispiel auf dem kleinen und arg derangierten Bruchstück eines wahrscheinlich für Herzog Philip gemalten Flügelaltars, wo Hieronymus Bosch keinen Unterschied zwischen Sündern und Sündern macht. Ein gekröntes Haupt erhebt sich mühsam aus schwarzer Flut, ein nackter Papst umklammert mit beiden Händen die Tiara auf seinem Haupt, einem Bischof ist nur noch die Mitra geblieben und ein Kardinalshut segelt verlassen durch die Gegend. Und wie das gemalt ist! Bosch war ja niaht nur der Mailer der gefüßten Köpfe ahne Leüber, der Nachtmahre und blechgeschwänzten Teufel, der menschenkochenden Hexen und der fischköpfigen Ungeheuer, sondern auch ein Maler des Menschen, und einer der größten. Die nackten Sünder dürften ihm gelegentlich den Vorwand geliefert haben, sich mit dem menschlichen Körper zu beschäftigen, jedenfalls hat er sie mit besonderer Liebe

gemalt. Der „Garten der Lüste“ gar, ein Werk, das wegen seiner Empfindlichkeit leider im Prado bleiben mußte, in der Ausstellung aber von einer zerstörten Kopie aus Budapest und ein paar brauchbaren Reproduktionen vertreten wird, könnte als Plädoyer für eine freiere Welt mißverstanden werden. In diesem „Garten der Lüste“ werden die Sünden nicht begangen, sondern sublimiert, in einem kollektiven Eros. Während in Hieronymus Boschs Höllen einsam gelitten wird, freut man sich hier in Gruppen schwimmend, in Gruppen laufend, in Gruppen reitend seines Lebens. Es könnte sein, daß es hier einen tabuierten Hieronymus Bosch zu entdecken gibt

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Neben diesem Bosch der Sinnenfreude und der körperhaften Diesseitigkeit tritt, vom Bosch der Ungeheuer und der brennenden Städte an die Wand gedrängt, noch ein anderer Hieronymus Bosch meistens allzusehr in den Hintergrund. Dieser Bosch, der Maler der Kreuztragungen, der Donnenkrönungen und des Ecce hämo, kommt hier in 's-Hertogenbosch gerade deshalb, weil einige der „höllischen“ Bilder nicht ausgestellt werden konnten, besonders zur Geltung. Hieronymus Bosch malt den Christus, entgegen dem, was in seiner Zeit sonst üblich ist, nicht leidend und bewegt, sondern statisch, unbeteiligt, allem entrückt. Alle Emotion verlegt Bosch in die Menschen, er malt ihren Haß, ihre Dummheit, ihre Verblendung. — Ein Meisterwerk dieses Bosch ist die vom Kunsthistorischen Museum in Wien entliehene Kreuztragung, im Vordergrund versucht eerade der eine der beiden Schacher, vom Henker am Krag<*n gepackt und weitergezogen, schnell einem Mönch zu beichten. In diesem Bild und in allen anderen erwies islich Hieronymus Bosch, der Meister der Teufel und dier Sahreckien, nicht nur als einer der bedeutendsten, sondern vor allem auch als einer der liebevollsten Maler des Menschen, als einer, der noch dem vom Haß verzerrten Gesicht des Menschen seine Würde erhält. — Auch bei ihm wird Jesus begeifert, geschlagen und gequält, doch nirgends bei Bosch, auch nicht im kleinsten Detail, ist das Gesicht eines Menschen zu entdecken, das das Gesicht eines Teufels wäre.

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