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Bregenzer Festspielwochen

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Bregenz, Anfang August

Zum drittenmal hatte heuer die Stadt Bregenz zu ihren Festspidwochen eingeladen. Sie hielten sich streng an den durch die Möglichkeiten gegebenen Rahmen, steigerten aber ihr Niveau derart, daß auch der kritische Beobachter nicht von einer lokalen Angelegenheit ohne afllgemeine kulturelle Bedeutung sprechen konnte. Bewußt waren die ausübenden Künstler Vorarlbergs selbst im Hintergrund geblieben, wie übigens schon voriges Jahr. Man wollte in erster Linie Wiener in den äußersten Westen östereichs ziehen. Und diese Wiener sollten nicht nur dem Vorarlberger Publikum vorgestellt werden, sondern auch den Gästen, die über die österreichische Westgrenze hereingeströmt waren.

Der starke Besuch aus der Schweiz, der kaum noch durch Grenzformalitäten gehemmt ist, war erwartet worden. Die Zahl von 22.000 Schweizer Besuchern, welche im Vorjahr ermittelt wurde, dürfte heuer nicht unterschritten worden sein. Zum erstenmal aber seit 16 Jahren kamen Besuche über Lindau als Freunde und gern gesehene Gäste. Es war wirklich eine kulturfördernde, völkerverbindende Tat der französischen Besetzungsbehörde, daß die Schlagbäume zwischen Lindau und Lochau für Besucher aus dem deutschen Bodenseegebiet zeitweise hochgehoben wurden. VOM der Möglichkeit wurde so weit Gebrauch gemacht, daß Omnibus- und Schiffspendelfahrten zwischen Lindau und Bregenz eingerichtet werden mußten. Die Aufnahme der Gäste aus der süddeutschen Nachbarschaft war absolut würdig und dazu angetan, über schmerzliche Wunden der jüngsten Vergangenheit wieder in die traditionelle, gut nachbarliche Freundschaft zu gelangen. Wer es erlebt hat, unter welch demütigenden Bedingungen sich nächste Angehörige im Hochgebirge an der salz- burgisch-bayrischen Grenze treffen, der ermißt, welche Tat die plötzlich wieder aufgenommene Verbindung zwischen Lindau und Bregenz in unserem friedlosen Erdteil bedeutet.

Die französische Besetzungsbehörde hat aber auch an der Gestaltung der Festspielwochen selbst aktiven Anteil genommen. Nicht nur, daß der französische Besuch bei den künstlerischen Ereignissen sehr rege war, diesmal hatte man auch Gelegenheit, mit der bei uns wenig gespielten französischen Kammermusik bekannt zu werden. Eine alte Musikvereinigung, die sich nach einer auf die Zeit Ludwigs XVI. zurückgehende Tradition „Les nuits de Sceaux" nennt, brachte Werke von Lully, Rameau und Couperin zu Gehör, die für das Auditorium völlig neu gewesen sein dürften. Damit brachte Bregenz heuer vnicht nur Schweizer, französische und deutsche Zuhörer vor die Wiener Kunstkräfte, sondern vermittelte dem österreichischen Publikum einen edlen Zweig des Schaffens der französischen Nation. Erinnerung an die alte Landbrücke Österreichs über die Vorlande nach Frankreich, von der Vorarlberg als letzter Pfeiler stehen geblieben ist!

Das erfreulichste künstlerische Ereignis waren die Aufführungen von Johann Strauß’ „Eine Nacht in Venedig“ auf der Freilichtbühne im Bregenzer Strandbad. Hier hat die Kunst des Bühnenbildners die von der Landschaft und der Technik gegebenen Möglichkeiten auf äußerst geschickte Art ausgenützt. Diese Bregenzer Freilichtaufführungen gehören bereits — dies darf ohne Überteibung gesagt werden — der österreichischen Theatergeschichte an. Eine dreigliedrige Bühne schließt den Seeprospekt ab und gestattet dem Regisseur erstaunliche Wirkungen. Hier war wirklich in der milden Landschaft des Bodenseeufers ein Stück Südland erstanden, das ferne Venedig wie von Zauberhand über die Alpen getragen. Für das Bühnenbild zeichnete Max Röthlisberger, für die Regie Karl Schmid- Bloß, und es ist keine Minderwertung der ausübenden Künstler, wenn fast alle Beobachter das Bühnenbild in den Vordergrund schoben. Das Ensemble kam aus verschiedenen Richtungen, spielte sich aber glänzend zusammen. Das Orchester dirigierte StaatsopernkapeMmeister Anton Paulik. Er löste die akustischen Probleme, die der riesige Zuschauerraum unter freiem Himmel bot, ganz vortrefflich. Den Chor stellte die Stadt Bregenz unter Professor Doktor Schosland. Die Darbietungen des Staatsopernballetts waren eine reizvolle Bereicherung des Spieles.

Wie im Vorjahr wurden die Vorstellungen des Wiener Staatsopernballetts herzlichst begrüßt, Die Choreographie hatte Ballettmeister Willy Fränzl, die musikalische Leitung Staatsopern- kapellmeister Paulik inne. Den dritten Teil de Programms bestritten die Wiener Symphoniker unter Dr. Kari Böhm mit ihren Orchesterkonzerten, welche eine große Gemeinde von Musikfreunden um sich vereinigten. — Neben den Großveranstaltungen lief durch die beiden Fest- spiclwochen eine Art künstlerischen Seminars, die Wiener Kulturwoche der Akadmie für Musik und darstellende Kunst. In Vorträgen und musikalischen Proben wurde man von den Anfängen der Wiener Musik unter Kaiser Maximilian L, über Barock und Klassik,, über Biedermeier, Brahms und Bruckner bis zur zeitgenössischen Musik in Wien und Vorarlberg geführt. Eingeleitet hatte ein Festgottesdienst, bei dem Haydns Thersienmesse zu Gehör gebracht wurde. Keinesfalls übersehen darf aud die Orchesterserenade des Größen Vorarlberger Funkorchesters unter Kapellmeister Hans Moltkau werden, welche bewies, daß die ausübenden Künstler Vorarlbergs nur aus Gründen des künstlerischen Gastrechts im Hintergrund geblieben waren, leistungsmäßig aber ebenfalls ihren Mann stellen können. — Abschließend sei die Chorserenade erwähnt, welche an einem Orte höchster künstlerischer Tradition stattfand, nämlich im Hof des gräflichen Palastes zu Hohenems, an einer Stätte, die historisch so eng mit dem Kunstleben von Salzburg verbunden ist. Hier führte der hervorragende Vorarlberger Musiker Professor Franz Seidel den Stab. Geistliche und weltliche Chormusik sowie Volkslieder aus Österreich wurden von den Vereinigten Kirchenchören von Altach, Götzls und Hohenems sowie von dem ganz ausgezeichneten Quartett des Konzertmeisters Raimund Kolbe geboten. E war ein kleines Hohenemser Festspiel im Rahmen des großen Werkes. —

Ein Rückblick auf die dritten Bregenzer Fest, spielwochen fällt absolut positiv aus. Die verantwortlichen Persönlichkeiten waren sich ihrer Möglichkeiten, aber auch ihrer Grenzen bewußt und haben darum das Beste geleistet.

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