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Brücken zwischen den Zeiten

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Es gab bisher noch nie eine Ausstellung, die völlig dem Werk des auch als Jan Vermeer bekannten Malers Johannes Vermeer van Delft gewidmet war. Erst jetzt ist es dazu gekommen. Sie ist noch bis 11. Februar in der Washingtoner National Gallery of Arts zu sehen und anschließend, von 1. März bis 2. Juni, in der Königlichen Gemäldegalerie Mauritshuis in Den Haag. Zahlreiche Sammlungen, darunter auch das Wiener Kunsthistorische Museum, aber auch Englands Königin Elisabeth IL, treten als Leih-geber auf.

Wem die Reise zu teuer oder zu beschwerlich ist, der kann sich auch anhand des anläßlich der Ausstellung erschienenen Buches „Vermeer - Das Gesamtwerk" über den Maler informieren, wer eine solche Beise plant, kann sich mit seiner Hilfe darauf vorbereiten. Wie so oft, führte auch in diesem Fall das Ausstellungsprojekt nicht nur zu neuen Forschungen und damit einem bedeutenden Zuwachs an Wissen über den Maler, sondern auch zur Reinigung von Gemälden, wodurch diese im wahrsten Sinn des Wortes in einem neuen Lichte erscheinen.

Von Vermeer sind nur rund 35 Bilder erhalten beziehungsweise bekannt. Trotz dieses schmalen Opus' zählt er zu den herausragenden Erscheinungen der europäischen Barockmalerei. Zwei Drittel davon sind in der Ausstellung zu sehen und werden im Buch eingehend behandelt -der Untertitel lautet trotzdem „Das Gesamtwerk", welches ja tatsächlich im einleitenden Teil eingehend behandelt wird und im vollen Umfang, auch soweit nicht in der Ausstellung vertreten, mit gutem Abbildungsmaterial belegt wird.

Vermeer ist - wie so viele Holländer - ein Maler, der uns die Welt, in der er lebte, näherbringt. Brücken schlägt zwischen den Zeiten, indem er das Ewigmenschliche, Bleibende, herausarbeitet, uns zugleich aber auch das Atmosphärische, für seine Zeit Typische, vermittelt. Viele haben das in Vermeers Zeit mit mehr oder weniger Glück und Können versucht, seine Meisterschaft äußert sich aber eben nicht nur in einer technischen Perfektion, die nur der Fachmann zu würdigen weiß, sondern in der Unmittelbarkeit, in der Lebendigkeit, mit der uns der Maler an jeder seiner Szenen teilhaben und seine Menschen zu uns sprechen läßt, wobei seine Detailbesessenheit eine wichtige Rolle spielt.

Das Bild „Das Mädchen mit dem Weinglas" zum Beispiel versetzt uns mitten in die Delfter gute Stube von 1659 oder 1660, der junge Mann beugt sich hofierend und offenbar schon recht siegesgewiß über die junge Dame mit dem Gläschen Weißwein in der Hand, sie schaut aus dem Bild auf den Betrachter mit einem Blick, der zu sagen scheint: Er ist zwar ein Geck, aber nett ist er schon - während ein anderer junger Mann offenbar resignierend (oder seiner Chance harrend? Oder gar - desinteressiert?) mit in die Hand gestütztem Kopf am Tische sitzt.

Wir erfahren auch, wie es bei betuchten Delfter Bürgern jener Zeit aussah: die gekachelten Böden, die geschnitzten Möbel, die farbigen Fenster mit den Bleistegen, und nicht zuletzt die Stoffe, sind mit jener Meisterschaft gemalt, die auf keinen notwendigen, aber auf jeden unnötigen Pinselstrich verzichtet. Oder das (nicht ausgestellte) Bild „Der Soldat und das lachende Mädchen": Die Montur des Soldaten, der da mit selbstbewußt in die Hüfte gestemmtem Arm am Tisch sitzt, seinen ausladenden Hut, seinen roten Rock, meinen wir aus tausend Kostümfilmen zu kennen, aber das offene Fenster und die Landkarte an der Wand vermitteln einen Eindruck von Weite und Weltoffenheit und im Ausdruck des Mädchens ist soviel Unbefangenheit, gibt sich soviel Freiheit der zwischenmenschlichen Beziehungen zu erkennen, daß all das Abstrakte, das wir über das Holland des 17. Jahrhunderts, seine Internationalität und Toleranz, Leben und Sinnlichkeit gewinnt.

Aus den Texten des Buches erfahren wir eine Fülle abgesicherter Fakten über Vermeer und seine Zeit. Und über die Schicksale seiner Bilder. Zum Beispiel, daß Vermeers Witwe Catharina Bolnes Vermeers Werk „Die Malkunst" ihrer Mutter übertrug, um es vor dem Zugriff des Exekutors zu schützen, daß ihr dies aber nichts nützte - es wurde vom Nachlaßverwalter versteigert und die Spuren des Bildes verlieren sich, bis es im 19. Jahrhundert in Osterreich auftaucht, wo es Johannes Rudolf Czernin von einem Sattler kauft. Um einen hohen Betrag zwar, aber doch ohne zu wissen, daß er damit das berühmteste Werk Vermeers erworben hat - er hielt es für ein Werk von Pieter de Hooch, der damals aber auch besser verkäuflich war.

Vermeers Bedeutung wurde einerseits nie unterschätzt - andererseits geriet er nach seinem Tod vorübergehend völlig in Vergessenheit. Dies hatte vor allem zwei Gründe. Er selbst kannte seinen Wert und es fehlte ihm auch nicht an Selbstbewußtsein. So änderte der Dichter Arnold Bon eine Zeile seines Gedichtes auf den frühzeitigen Tod des Malers Carel Fabriti-us, und zwar den Ausblick, wo es _hieß, Vermeer folge Fabritius als Meister auf denselben Pfaden. Die Vermutung, daß die Änderung in dem Sinne, daß Vermeer es Fabritius gleichtun könne, direkt auf dessen Ersuchen zurückgehe, gilt mittlerweile als nicht unrealistisch. Nach Vermeers Tod fiel aber sein Name in Van Bleyswijcks „Beschryving der Stadt Delft" in der Liste der Künstler, die dort 1667 gearbeitet hatten, wo er genannt war, aus unbekannten Gründen einer späteren Kürzung zum Opfer und damit auch in den Nachschlagewerken, die sich auf Bleyswijck stützten, unter den Tisch.

Der andere Grund: Zwei Drittel des gesamten Werkes von Vermeer blieben jahrzehntelang in einer einzigen Privatsammlung im „etwas verschlafenen Delft" vereinigt. Nun ist aber der Ruhm eines Künstlers nie von seinem Markt zu trennen, und wo sich nichts bewegt, wo nicht verkauft und gekauft wird, ist kein Markt. Der eine große Mäzen, der alles erwirbt und behält, ist also ein Risikofaktor für die Durchsetzung des Künstlers.

Dies wären einige Gesichtspunkte aus einem überaus reichhaltigen, großartig illustrierten Katalogbuch mit Beiträgen erstklassiger Fachleute, aus einer Künstlermonographie, die lange Zeit das Standardwerk über Johannes Vermeer bleiben wird.

VERMEER Das Gesamtwerk

Herausgeber: Arthur K. WheelockJr, Katalog: Ben Broos und Arthur K Wheelock Jr., mit Beiträgen von Albert Blanken und Jorgen Wadum Belser Verlag Stuttgart 1995. 2)0 Seiten, rund 100 Abbildungen, davon rund 60 in Farbe, Ln, öS 1)11,-

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