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Bytes-Beichte und Seelensurfing

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Wie durch keine andere Entwicklung wird die geistige Verfassung der heutigen Welt durch das Entstehen und die Verbreitung der neuen Kommunikationstechnologien geprägt und verändert. Religiöse Bewegungen, Gruppen und Institutionen haben die Bedeutung dieser Entwicklung früh erfaßt, und insbesondere die katholische Kirche ist bereits seit dem II. Vatikanischen Konzil in beeindruckender Weise bemüht, die neuen Medien zu verwenden.

Nun sind aber Kommunikationstechnologien keineswegs neutrale Träger von Botschaften. Sie beeinflussen den Inhalt der Mitteilungen; und wirken soziologisch strukturierend auf die Gesellschaft zurück, die sie verwendet. Es ist da fraglich, ob die heute bestimmend werdende interaktiv-multimediale, von vernetzten Computern getragene Kommunikation wohl den religionssoziologischen Typus der Kirche, den Sektentyp, oder den des religiösen Individualismus stärkt.

Die alttestamentlichen und urchristlichen Gemeinden sind noch Teil einer vorwiegend oralen Kultur gewesen. Bestimmend, sowohl auf soziologischer als auch auf kognitiver Ebene, war die kollektiv-mündliche Tradition. Bald freilich wurde das Christentum zu einer Beligion des Buches. Dem gesprochenen Wort wurde zwar nach wie vor ein besonderer Wert beigemessen: Im Katholizismus unter anderem der ungeschriebenen Tradition, im Protestantismus der Predigt. Aber die Geschichte des Christentums ist eben auch eine Geschichte der jeweiligen ständigen Bezugnahme zur Heiligen Schrift. In der Organisation der mittelalterlichen Kirche spielte die Schriftlichkeit eine grundlegende Bolle. Nur durch das Medium der Schrift konnte dieKirche ihre Einheit aufrecht erhalten; nur als Alleinbesitzerin einer praktisch-literarischen Bildung konnte die frühmittelalterliche Kirche eine politische Macht erringen; nur auf der Basis dieser Macht konnte die hierarchische Struktur der Kirche voll ausgebildet werden.

Mit dem Allgemeinerwerden des Lesen- und Schreibenkönnens beginnt die Geschichte der mittelalterlichen Ketzereien; mit dem Buchdruck entsteht der Protestantismus, mit dem Protestantismus beginnt der Zerfall der mittelalterlichen Einheitskirche in neuzeitliche Landeskirchen. Die Kultur des Buchdruckes, eine Kultur des lautlos-einsamen Lesens, war nach innen gewandt und individualistisch.

Demgegenüber stellen Bundfunk, Film und Fernsehen eine Rückkehr, wenn auch nur teilweise, zum kollektiven Erleben der prä-literalen Kultur dar. Das Radio ist seit den 1920er Jah -ren ein wichtiges Vehikel der christlichen Glaubensverkündung. Eine besondere Bedeutung haben die sich im Medium des Fernsehens entfaltenden elektronischen Kirchen gewonnen.

Die elektronische Kirche ist weder eine Kirche im herkömmlichen Sinne - dazu fehlt ihr die feste Hierarchie, Struktur und Dogmatik - noch ist sie eine Sekte - dazu ist sie zu offen und tolerant - noch stellt sie einen Rahmen dar für eine mystisch-individuelle Religiosität, fördert sie doch eben ein besonders intensives kollektives Nachdenken.

Es zeichnet sich hier meines Erachtens zum ersten Mal, freilich in einer noch anfänglichen Gestalt, ein neues Gebilde ab, welches die soziologischen Grundformen christlicher Religiosität, die im wesentlichen zugleich die Grundformen jeder litera-len Religiosität sind - Kirche, Sekte, individueller Glauben —, einander annähert. Radikalisiert wird nun dieser Prozeß der Annäherung im Medi-umdes Internets.

Die Computervernetzung ist multimedial und interaktiv. Während die elektronische Kirche in erster Linie ein nordamerikanisches Phänomen ist und spezifisch amerikanische Züge aufweist, ist die Vernetzung global. Die umwälzenden Auswirkungen der elektronischen Vernetzung zeigen sich zunächst in den Dimensionen von Wissenschaft, Unterhaltung, Wirtschaft und Politik. Politische Funktionalität verlagert sich nach oben auf die globale und nach unten auf die lokale Ebene, wobei die beiden Ebenen durch die Vernetzung unmittelbar Anschluß zueinander haben. Nationale Kultur und nationalstaatliche Politik verlieren an Funktion.

Die Kultur des Netzes ist postliteral und schon aus diesem Grunde unempfänglich für kanonische Fixierungen des national-kulturellen Erbes. Sie ist dezentralisierend und anti-autoritär und schon dadurch gegen jegliche scharfe Trennung von floch-kultur und populärer Kultur eingestellt. Es leuchtet ein, daß Kommunikationsmuster das Selbstverständnis-der Gesellschaft jederzeit grundlegend beeinflussen und daß vom jetzigen Wandel dieses Selbst -verständnisses eben auch die religiösen Gemeinschaften nicht unberührt bleiben können.

Eine charakteristische Äußerung aus den Anfangsphasen des Umbruchs veröffentlichte etwa die Zeitschrift „Pfarrer & PC" 1990: „Die jüngste Vergangenheit hat uns gelehrt", hieß es dort, „daß Obrigkeit nicht endlos sinnlos verordnen kann; ,Wir sind die Benutzer' schallt es schon jetzt zurück bei allerlei kuriosen Verordnungen von oben. Die da unten lassen sich nicht mehr einschüchtern. Die Autonomie dessen, der einen eigenen PC hat und die Macht der kleinen Maschine kennt -diese Autonomie läßt sich nicht zurückdrehen."

Autonomie und Pluralität kennzeichnen die religiöse Szene, wie sie sich am globalen Computernetz von heute eröffnet. Eine ausgeprägte und straffe Präsenz hat dort etwa die römisch-katholische Kirche, aber unzählige andere Konfessionen, Kirchen, Sekten und Diskussionsgruppen sind ebenfalls gegenwärtig.

Typische Benutzer des Internets -und wir alle werden, ob wir es wollen oder nicht, bald zu typischen Benutzern des Internets wrerden - bewegen sich frei von site zu site; sie surfen und scannen die verschiedensten Informationen. Verbindungen zwischen Zusammenhängendem und Unzusammenhängendem werden ständig neu erstellt, Fragen nach Autor oder Autorität spielen dabei im allgemeinen keine bedeutende Rolle.

Keineswegs ist dies aber ein Verfall der Religiosität. Nicht nur im Urwald der Urzeiten, sondern auch im Dschungel des Internets gibt es Furchtund Ehrfurcht, Ohnmacht und Glück. Dem heutigen elektronisch-postmodernen Zeitalter kann man das Potential, proto-religiöse Gefühle zu erwecken, nicht einfach absprechen.

Zweitens muß ich darauf hinweisen, daß jene Wege, die sich die Benutzer während ihrer Streifzüge durch das Internet bahnen, meistens ganz und gar individuelle sind. Dies legt die Vermutung nahe, daß, insofern das dominante soziale Kommunikationsmedium von heute und morgen zum Boden von irgendwelchen religiösen Regungen werden kann, dies in die Richtung eines religiösen Individualismus zeigen dürften.

Drittens gilt es indessen zu erkennen, daß wir ja vorläufig nur sehr wenig über die Soziologie, Psychologie und Logik des Internets wissen. Aber wir ahnen, daß sowohl die gesellschaftliche Arbeitsteilung als auch die ungleiche Verteilung vom menschlichem Talent gewisse Hierarchien auch im an sich demokratischsten Medium erzeugen muß. Wir vermuten, daß man ganz ohne feste Punkte auch im Fluß der hypertextuellen Kommunikation nicht weiterkommt. Wir fühlen die Sehnsucht nach Bindung und Verwurzelung auch innerhalb der großen Freiheit des Cyberspace.

Schließlich lassen sich einleuchtende Argumente dafür formulieren, daß die elektronische Interaktion letzten Endes doch immer wieder durch Interaktionen in einer real-physischen Welt begründet, ergänzt, ja ersetzt werden muß. Wir können nicht beschreiben, wie sich die virtuelle Kirche gestalten wird - aber wir können vorhersagen, daß es sie gehen wird.

Der Autor ist

Professorflir Philosophie an der Universität Budapest und referierte beim 2. Wiener Kulturkongreß im November 1996.

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