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Chinas Augen

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1933 ging ein chinesischer Kommunist namens Kang Sheng nach Moskau. Dort wurde er von der Tscheka ausgebildet und fungierte als Vertreter der KPCh. bei der III. Internationale. Er ist ein Mann von höchster Intelligenz und hat ein fast europäisches Aussehen. Seit dem Moskauer Aufenthalt ist er imstande, Russisch, Englisch und Deutsch fließend zu sprechen. 1937 kam er nach Jenan zurück und wurde Chef des Geheimdienstes der KPCh. Bis heute ist er es geblieben. Diese Position hat ihn während der „Kulturrevolution“ vor einem Sturm der Rotgardisten bewahrt. Zirka 350.000 Geheimdienstler hören auf seinen BefehL

Xie Fuzhi hat nun zwar den Posten des Ministers für öffentliche Sicherheit inne, doch die wirkliche Macht der Tewu (chinesisches Wort für Gestapo) liegt in der Hand Kang Shengs. Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit, Gong’anbu (GAB), überwacht die Verdächtigen im Inland und spioniert im Ausland. Aber die letztere Aufgabe wird nicht direkt vom GAB geleitet, sondern von den beiden Abteilungen des ZK der KPCh. durchgeführt: Die Abteilung der Einheitsfront (Tongyi- Zhanxianbu, abgekürzt Tongzhanbu, TZB) und die Abteilung der Internationalen Verbindung (Guoji-Lian- luobu). Die TZB hat zwei Hauptaufgaben: In China die Anwerbung der nichtparteiischen Intellektuellen, Nationalminderheiten, Experten und sonstigen wichtigeren Persönlichkeiten. In Ubersee, die Ausnutzung der Uberseechinesen für den Geheimdienst zugunsten der Volksrepublik China.

Früher hatte Peking den Schwerpunkt seiner Spionagetätigkedt in Asien, Afrika und Lateinamerika konzentriert und durch drei Wege ausgetragen: 1. In den Ländern mit vollen diplomatischen Beziehungen

— durch Botschaften und Konsulate. 2. In den Ländern ohne diplomatische Beziehungen — durch Handelsmissionen und die Presseagentur Hsinhua („Neues China“). 3. In den Ländern ohne irgendeine Vertretung

— durch kulturelle und sonstige Delegationen.

Eigenartig sind die Aufgaben des chinesischen Geheimdienstes im Ausland: außer Nachrichtensammeln wird noch gewaltsame Revolution betrieben. 1960 wurde in Peking eine Spezialschule für Gewährsleute aus Lateinamerika gegründet, mit dem Ziel, über das Sprungbrett Kuba diesen Kontinent zu infiltrieren. Doch seit 1966 sind die Beziehungen zwischen Peking und Havanna so schlecht geworden, daß Peking seinen Plan revidieren mußte. Vor dem Bruch zwischen Moskau und Peking war die chinesische Botschaft in Prag das Befehlszentrum der Spionage für

Europa. 1963 hat die ČSSR ihre Haltung geändert. Das erwähnte Zentrum wurde gezwungen, sich in die Schweiz zu verlegen. Die Botschaft der VRC in Bern hat heute über 200 Angehörige. Im Botschaftsgebäude gibt es einen dauernden „Trainingskurs für Diplomaten“, wo außer Etikette, Protokolle, noch „Intelligence“ beigebracht wird.

Schüren bei Studentenunruhen

Im Juni 1965 hat die Eidgenössische Regierung der Botschaft Chinas davon abgeraten, illegale Tätigkeit zu offen in der Schweiz ausizuüben. Im Februar 1966 hat die Schweizer Behörde Guo Youshou des Landes verwiesen. Guo war Kulturattache der nationalchinesischen Botschaft in Brüssel, arbeitete aber für Peking. Er verfügte über viel Geld und reiste durch die ganze Welt. Die nationalchinesische Regierung in Taipeh wußte gar nichts von seiner Tätigkeit. Als seine Tätigkeit von der Schweizer Abwehr entlarvt wurde, wurde er zur schweizerisch-französischen Grenze eskortiert und der rotchinesischen Botschaft in Paris übergeben. Er ging danach nach Rotchina zurück.

Ein anderer Spionagestützpunkt Pekings in Europa befindet sich in Albanien. Dieses Hauptquartier finanziert auch die prochinesischen Parteien in Belgien und Frankreich. In der Schweiz lebt ein Chinese mit amerikanischem Paß, dessen echten Namen und Beruf niemand kennt. Er lebt auf großem Fuß und wird sehr oft in Gesellschaft in westeuropäischen Hauptstädten und den Kasines in Monte Carlo gesehen. Er soll früher in Vietnam gewesen sein. Bei gut informierten Kreisen ist es kein Geheimnis mehr, wer er eigentlich ist. Es gibt deutliche Anzeichen, daß China sich jetzt sehr für Westeuropa interessiert. Die bevorstehenden Beziehungen zwischen Peking einerseits und Bonn und möglichst auch Rom anderseits sowie die anscheinend dauernden Unruhen der westeuropäischen jungen Generation und die Linkstendenz der Intellektuellen

— ob bewußt maoistisch oder nicht

— geben Peking genug Anlaß, sich mehr in diesem Raum zu engagieren. Besonders, weil der Vietnamfcrieg wahrscheinlich doch zu Ende gehen wird, werden die oben genannten Elemente ihren Vorwand gegen die USA verlieren. Die abendländischen „Etablishments“ werden vielleicht zum Hauptobjekt ihres Angriffs. Die „Augen“ können im Chinesischen auch Agenten und Spione bedeuten, wieviele chinesische Augen blicken schon in Westeuropa?

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