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Commedia dell'arte und Nationaloper

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Von den Werken, die Hofmannsthal und Strauß gemeinsam geschaffen haben, ist die Oper in einem Aufzug nebst einem Vorspiel „Ariadne auf Naxos“ besonders aufschlußreich für die Art der Zusammenarbeit zwischen Textdichter und Komponist sowie für die Eigenart der beiden Künstler. Elektra, Rosenkavalier, Ariadne — bis zur Arabella — jede dieser Gestalten kommt aus einer anderen Welt, hat ihre eigene Atmosphäre und fordert einen eigenen Stil. Hofmanns fhal besaß neben der dichterischen Intuition einen eminenten Geschichtssinn und ein sehr lebhaftes Gefühl für die verschiedenen inneren und äußeren Landschaften. Sein Geist war in allen Zeiten und Zonen zu Hause. Hiezu befähigte ihn auch seine Stellung als Erbe der alten Monarchie, zu deren geistigem Umkreis Byzanz und Venedig ebenso gehörten wie Spanien und Frankreich. Diese Fähigkeit der fast grenzenlosen Einfühlung in ferne Zeiten und Kulturen trug Hofmannsthal den Ruf eines Ästheten, eines Artisten und Stilkünstlers ein. Wir wissen heute, wie sehr diese Vorwürfe am Wesentlichen und an der Bedeutung des Hofmannsthalschen Werkes vorbeizielen. Daß er daneben auch ein Künstler von hohem Geschmack und sehr ausgeprägtem Stilgefühl war, wird ihm heute niemand mehr zum Vorwurf machen. Zumal gerade diese Qualitäten bei der Zusammenarbeit mit Strauß von größter Bedeutung waren und in so hohem Maße fruchtbar wurden.

Sein Partner Strauß ist, trotz seiner komplizierten Harmonik und seines Klangraffinements, ein naiver, fast robuster Musikant und wirkungssicherer Dramatiker. Keine der Qualitäten des schaffenden Künstlers fehlt ihm so sehr wie Stilgefühl. Unter seiner Hand wird alles — dies ist seine Stärke und seine Schwäche — „straußisch“ und erhält eine musikantisch-münchnerische Note. In jedem seiner größeren Werke finden sich Beispiele für zuweilen groteske Stilüberschneidungen. Durch eine stillschweigende Konvention ist die Musikkritik über diese schwache Seite der Strauß-schen Musik fast ausnahmslos hinweggegangen. Heute, da die harmonischen und klanglichen Neuerungen von Strauß keine mehr sind, ist der Hörer kritischer geworden und richtet seine Aufmerksamkeit auf das Wesentliche dieser Musik: auf ihre Substanz und auf ihre Haltung, ihren Gesamtstil.

In der „A r i a d n e“ ist die dem Musiker gestellte Aufgabe besonders kompliziert. Die tiefsinnigen Gedanken der Hofmannsthalschen Dichtung sind in eine hochkultivierte, bis ins kleinste stilisierte Form gekleidet, deren Verletzung besonders spürbar und schmerzlich ist. Das Vorspiel — Ersatz für die erste Fassung mit dem „Bürger als Edelmann“ — ist Moliere“, also Stil des Dix-septieme. Die Umarbeitung verlegt das „Vorspiel“ in das Haus eines reichen Wiener Kunstmäzens am Ende des 18. Jahrhunderts. Auf einer Bühne auf der Bühne werden nun gleichzeitig zwei Stücke gespielt: die Stegreifkomödie von der „Ungetreuen Zerbinetta und ihren vier Liebhabern“ und die opera seria „Ariadne“ — nach Hofmanr.sthals Wunsch im heroischen Opernstil der älteren Zeit (Louis XIV. oder Louis XV.), etwa mit Dekorationen Gluckscher Werke. So schuf Hofmannsthal ein feinziseliertes Kunstwerk, eine „commedia dell'arte“ im wahrsten Sinn des Wortes.

Das Bestreben des Musikers, sich dem besonderen Charakter des Werkes anzupassen, ist äußerlich schon aus der Beschränkung auf ein kleines Orchseter von etwa 30 Spielern zu ersehen Sehr schön gelingt auch die Stilisierung der Rezitative des Vorspiels und der Anfang der opera seria: das Terzett Najade, Dryade und Echo, die Klagen der Ariadne und das Buffoquartett. Neben solchen bezaubernden Stellen bricht dann allerdings sehr bald und häufig Robust-Bajuwarisches durch und erzeugt auch in diesem Werk ein Stilkonglomerat. Das Ariadne-Orchester macht es, trotz seines geringen Umfangs, den Singstimmen nicht leicht, sich durchzusetzen. Zwei gesanglich und darstellerisch großartige, in ihrer A?t vollkommene Leistungen müssen im Rahmen der Neuinszenierung des Werkes an unserer Staatsoper besonders hervorgehoben werden: Irmgard Seefried als Komponist und Maria Cebotari als Primadonna und Ariadne. Die Inszenierung war im einzelnen sorgfältig, im ganzen etwas grob, die Bühnenbilder zu massiv und mehr der Musik als dem Stil des Hofmannsthalschen Textbuches angepaßt. — *

Kaum ein größerer und wirkungsvollerer Gegensatz ist “vorstellbar als nach dem Kunstwerk „Ariadne“ die nach dem mittelalterlichen Igorlied geformte russische Nationaloper Borodins: ein historischlegendärer Stoff, heroisch-pathetischer Stil,lebhafte und ungemischte Farben für Auge und Ohr, Massenszenen, Massenchöre, Kirchenlied, Volkstanz und Volkslied... „Fürst Igor“ ist ein Werk von gewaltigen Dimensionen, das — ohne Kürzungen — eine Spieldauer von etwa sechs Stunden hat, an dem sein Schöpfer fast 20 Jahre arbeitete und das von den Komponisten Rimsky-Korssakow und Glasunow fertiginstrumentiert' wurde.

„Fürst Igor“ verleugnet seine Herkunft vom Epos nicht. Die einzelnen Bilder haben wenig Bühnenhandlung und nähern sich im Stil der Oratorienoper. Der Inhalt von jedem der fünf Bilder ließe sich in einem einzigen Satz wiedergeben. Über den Gesamtstil des Werkes hat sich der Komponist sicher nicht viel den Kopf zerbrochen. Er hält sich lediglich von westlichen Einflüssen, von Verdi und Wagner, möglichst fern und schöpft aus dem Vollen der Volksmusik, aus der heimischen russischen und der tatarischen. Diese Partitur ist ausschließlich für das Ohr geschrieben: man kann sie bei ein- und erstmaligem Hören voll und ganz erfassen. Gegenüber dem musikdramätischen Prinzip herrscht das der Nummernoper. Die einzelnen Themen und Szenen sind klar und plastisch, die romantisch ritterlichen Gestalten in ihrer Schwarz-weiß-Zeichnung völlig eindeutig.

Inszenierung, Bühnenbilder und Kostüme entsprechen durchaus dem Geist und Kolorit dieser Musik. Neben dem Ballett des vierten Bildes (Choreographie von Erika Hanka) ist eine kleine Rolle als Glanzleistung hervorzuheben, da Erscheinung, Stimme und Musik eine vollkommene Einheit bilden: Elena Nikolaidi als Tochter des polowez-kischen Khans. Josef Krips — bei diesem Werk offensichtlich mehr in seinem Element, als in der „Ariadne“ — blieb der farbenprächtigen Partitur Borodins nichts schuldig.

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