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Das Geheimnis ist außen

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Kunst ist, wir alle wissen es, Sichtbarmachung, ist ' Verdichtung des Außen und Darstellung des Innen durch das Außen. (Das Außen ist das Innen, sagte Karl Kraus einmal.) Die Außenwelt steht, ohne daß sie in ihrem Charakter verfälscht werden dürfte (denn sonst stimmte das Bild nicht mehr) für die innere. Dem Künstler ist die Welt überall Ausdruck des Unsichtbaren; auch im Kleinen und Leisen wird er die ewigen Gesetze erkennen. Das Geheimnis, dem wir nachspüren, wird uns nur in den Dingen der Außenwelt, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können, in seinem Ausmaß bewußt. Denn Kunst ist, wir alle sollten es wissen, eine Verwandlung des Geistigen ins Sinnliche, damit uns der Geist auch in den Dingen, die uns zur Hand sind, gegenwärtig erscheine.

Mitten in der Zeit des Realismus, Naturalismus und Impressionismus schafft, von allen Zeitströmungen unberührt, der 1840 in Bordeaux geborene Odilon Redon. Er suchte in der uns umgebenden Wirklichkeit Bilder zu finden für Traum und Ideal. Er wollte den kosmischen Raum darstellen und das Geheimnisvolle des Daseins sichtbar machen; er bediente sich der Außenwelt allein zu diesem Zweck, während seine Zeitgenossen nichts anderes taten, als diese Außenwelt abzuschildern, Farben, Augenblicke und Stimmungen (bis zur Form- und Bildauflösung des Impressionismus) wiederzugeben. Einsam, unbeirrbar, ein Einzelgänger, geht er seinen Weg. Von Lionardo, Daumier, Degas, Goya ist er fasziniert; Goya wird er später einen Zyklus von Steinzeichnungen widmen. Rembrandts Hell-Dunkel-Mystik läßt ihn nicht los; „alle meine Kunst hat ihren Ursprung und ihre Grenze aus dem Gegensatz hell-dunkel“, bekennt er.

In der Galerie St. Stephan, Wien I, Grünangergasse l/II, sind jetzt einige seiner Lithographien ausgestellt: Da ist die dritte Serie seiner Darstellung der „Versuchung des heiligen Antonius“ von Gustave Flaubert. (Die Titel einzelner Blätter verraten etwas vom Geiste Redons und seiner Freude an literarischen Themen und spekulativen Darstellungen; etwa: „Jetzt und immerdar bin ich die große Isis! Niemand hat noch meinen Schleier gelüftet. Meine Frucht ist die Sonne.“ Oder: „... dann und wann sah ich am Himmel Formungen des Geistes.“ Oder die Vision: „Die Tiere des Meeres, rund wie Schläuche“.) Neben den 24 Blättern dieser Reihe stehen neun Blätter zu „Les fleurs du mal“ von Charles Baudelaire, von denen das Titelblatt zugleich als sehr wirksames Plakat für die Ausstellung wirbt. Weiter werden einzelne Lithographien gezeigt (darunter: „Vom Himmel fiel ein großer Stern brennend wie eine Fackel“). Von den Originalzeichnungen, die Wolfgang Gurlitt, München, zur Verfügung stellte, bezaubert vor allem die einfach und schuppig gezeichnete „Fischfrau“ (Tusche) und das subtil profilierte „Mädchen mit' Blumen“ (Kreide).

Poe, Mallarme und die Symbolisten — deren Leitsatz: „In der Natur ist jedes Ding nur eine bezeichnete Idee“ auch für Redon gelten könnte —, die Musik (er nannte sich selbst „peintre sym-phonique“), die Apokalypse (zu der er ebenfalls einen Zyklus von Lithographien schuf) waren die stärksten Inspirationsquellen Redons, der 1916 in Paris starb, ein früher Vorläufer des Surrealismus, wie er uns heute erscheint. Denn die Wirklichkeit, gesehen, wie sie Redon sah, wird zur Tiefenwirklichkeit; freilich geschah das, was die Surrealisten Jahrzehnte nach Redon machten, aus anderer Absicht und anderer Geisteshaltung.

Odilon Redon bleibt für uns Beispiel des Künstlers, der, gleichgültig um das, was zu seiner Zeit als aktuell gilt, unbeirrt und traumwandelnd sicher Werke schafft, aus denen sich später, auch noch nach seinem Tode, neue Welten entfalten werden.

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