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Das große Werk ist getan

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In diesen Tagen, da das große Werk des Wiederaufbaues und der Innenrestaurierung des Salzburger Domes nach vierzehnjähriger Dauer vor unser aller Augen abgeschlossen wird, dürfen wir mit Dankbarkeit von einer denkwürdigen Fügung sprechen, die über dem Dom des heiligen Rupertus und des heiligen Virgil gewaltet hat. Wohl steht die Bombenkatastrophe vom 16. Oktober 1944 als ein bis dahin unvorstellbar schreckliches Ereignis am Anfang des Kapitels, das eben jetzt in der Geschichte unseres Domes zu Ende geschrieben werden kann; wohl hat es in den letzten 14 Jahren an längeren Zeiträumen nicht gefehlt, in denen — namentlich nach der Wiederherstellung des Außenbaues im Jahre 1949 — die Ungunst der Verhältnisse den Fortschritt der weiteren Wiederherstellungsarbeiten bis zum scheinbaren Stillstand gehemmt hat; und wohl jeder von uns hat sich in mutlosen Augenblicken des Eindrucks nicht erwehren können, daß wir uns auf unabsehbar lange Zeit nur mit einem Bruchstück der herrlichen Raumwirkung unseres Domes würden begnügen müssen. Denn seit 1945 diente nur noch das von den Bomben verschont gebliebene Langhaus allein dem Gottesdienst; eine Trennungswand, auch in ihrer architektonischen Gestaltung die bedrückende Verpflichtung zu längerer Existenz kündend, schloß das Langhaus gegen den alsbald in eine riesige Baustelle verwandelten Schauplatz der Zerstörung in den Ostteilen des Domes ab. Die Salzburger Jugend von heute kennt nur noch diesen merkwürdig profan wirkenden, „verkleinerten” Dom als Stätte ehrwürdigster Zeremonien, denen vor 15.Jahren noch die raumschöpferische Gesamtkonzeption des Domes den unvergeßlich feierlichen Rahmen gab.

Indes sehen wir uns heute mit sehr viel mehr beschenkt als mit der bloßen Wiedergutmachung jener Bombenkatastrophe. Zunächst gelang es den unermüdlichen Bemühungen des Erzbischofs von Salzburg, Exzellenz Dr. Andreas Rohracher, im Jahre 1954 eine gemeinsame Uebereinkunft zwischen Bund, Land, Stadt und Erzdiözese zur gemeinsamen Finanzierung der noch ausständigen Wiederherstellungs- und Restaurierungsarbeiten herbeizuführen. Dadurch war nicht nur die vollkommene Beseitigung aller Spuren der Zerstörung von 1944, sondern auch die Wiederherstellung des ganzen Dominneren in seiner ursprünglichen, der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts angehörenden Erscheinung gesichert, die namentlich in der farbigen Gesamtwirkung durch eine eigenwillige Renovierung nach dem Dombrand des Jahres 1859 arg verfälscht worden war. Das vorige Jahrhundert hatte die manieristisch frühbarocke Innenarchitektur mit ihren prachtvollen Stuckdekorationen steingrau überfärbelt und die Deckenfresken italienischer Manieristen in braunen „Galerietönen” übermalt. In getreuer Angleichung an den unter späteren Veränderungen noch genau feststellbaren ursprünglichen Zustand wurde in den letzten Jahren die gesamte Innenarchitektur in ihrer originalen weißen Fassung wiederhergestellt; die Stuckdekorationen erhielten wieder jene merkwürdige, etwa als eine mit malerischen Mitteln erreichte Steigerung der natürlichen Licht- und Schattenwirkung anzusehende schwarze Fassung ihrer Unterschneidungen und Vertiefungen. Dadurch wurde ihnen zugleich ihr stilgeschichtlich wie auch allgemein künstlerisch außerordentlich interessanter Charakter zurückgegeben, der eher graphisch, jedenfalls aber „antiplastisch” ist, die großen Formen der Stuckdekorationen in kleine Einzelformen auflöst und ihnen die Wirkung etwa eines zarten, über die Innenarchitektur gespannten Spitzengewebes verleiht. Ebenso wie alle zerstörten Stuckdekorationen genau rekonstruiert wurden, mußte auch die wesentlich schwierigere Aufgabe gelöst werden, die untergegangenen Fresken nach photographischen Unterlagen zu rekonstruieren — und selbstverständlich erfolgte diese Freskenrekonstruierung unter Anwendung jener Farbenskalen, die an den zwar erhaltenen, aber im 19. Jahrhundert willkürlich übermalten Fresken des Langhauses nach Entfernung der Uebermalung als die originalen Farbenskalen festgestellt werden konnten.

Wenn somit in der getreuen Wiederherstellung jener Innenwirkung, die den 1628 geweihten Dom der Erzbischöfe Marcus Sitticus und Paris Lodron auszeichnete, ein für die Kunstgeschichte und für die Denkmalpflege außerordentlich wichtiges Faktum verzeichnet werden darf, so liegt in dieser im vollen Wortsinn zu verstehenden „Wiederherstellung” doch noch ein wesentlicherer Gehalt: man wird sicherlich im Domneubau nach dem Jahrhundert der großen religiösen Erschütterungen, in einer Insel des Friedens am Rande des Dreißigjährigen Krieges, ebenso eine noch außerhalb des materiellen Bereiches liegende „Wiederherstellung” sehen dürfen, wie unsere Hoffnungen auch jetzt in der Wiedererhebung des Domes aus dem Schutt seiner materiellen Substanz ein Symbol der Ueberwindung von Zerstörung und Hoffnungslosigkeit erkennen.

Aber noch viel weiter zurück als etwa nur bis zur Erbauungszeit unseres Domes reichen die Zusammenhänge, die nun durch seinen Wiederaufbau sichtbar geworden sind. Die zur Erforschung der früheren Salzburger Dombauten unternommenen, nur in Koordinierung mit dem Wiederaufbau durchführbaren Grabungen haben eine uns bisher vollständig fehlende anschauliche Vorstellung vom ersten, im Jahre 774 geweihten Dombau des heiligen Virgil erbracht; sie haben uns in den Mauerresten dieses frühesten Salzburger Domes eine Grabstelle finden lassen, die mit großer Wahrscheinlichkeit das Grab des heiligen Virgil selbst ist; und sie haben uns schließlich, neben vielen anderen wertvollen Erkenntnissen, die längst vergessene und für die Bedeutung des Salzburger Erzbistums im hohen Mittelalter so schwerwiegende Tatsache vor Augen geführt, daß das große, um 1600 zugunsten eines mit St. Peter in Rom wetteifernden Dombauprojekts abgebrochene romanische Münster allein durch seine fünf- schiffige Anlage weit über alle annähernd gleichzeitigen mitteleuropäischen Dombauten hinaus ausgezeichnet war. Der von den Grabungen er- öffnete und wissenschaftlich erforschte Bestand an früh- und hochmittelalterlichen Mauerresten aber wurde in eine höhere Sphäre gehoben durch den Entschluß des erzbischöflichen Bauherrn des Wiederaufbaues, in diese ehrwürdigen Mauerreste eine Unterkirche mit Begräbnisstätten für die Salzburger Erzbischöfe seit dem 17. Jahrhundert und der kommenden Jahrhunderte ein- fügen zu lassen. Somit hat die Wiederherstellung des Salzburger Domes wesentliche Zusammenhänge der Gegenwart über zwölf Jahrhunderte zurück in die Vergangenheit und auch in eine kommende Zeit hinein sichtbar werden lassen; die schönste Verbindung des Wiederaufbauwerkes mit unserer Gegenwart hat aber Erzbischof Andreas Rohracher dadurch gefunden, daß dem Dom und uns allen einzelne, bisher fehlende oder in unzulänglicher Qualität vorhandene Ausstattungsstücke als Schöpfungen der zeitgenössischen Kunst geschenkt wurden. Die drei neuen Bronzetore der Vorhalle, der neue Deckel des romanischen, noch aus dem alten Dom stammenden Taufbeckens, die neue Kanzel, das neue Chorgestühl im Presbyterium und noch manches andere, Meisterwerke der Gegenwartskunst, fügen sich in die nun wiederhergestellte, zu den großartigsten Sakralschöpfungen aller Zeiten zählende Innenarchitektur des Domes als vornehme Zeugen unserer Gegenwart ein. Wenn der knappe Umfang dieses Berichtes es auch verbietet, die Künstler, die diese Werke geschaffen haben, und deren Stifter, den Dombauleiter, die Architekten, die Archäologen, die Restauratoren und die Kunsthandwerker und alle anderen am Wiederaufbau Beteiligten gewissermaßen mit Namen zu nennen, so glaubt der Denkmalpfleger, der mit ihnen Zusammenarbeiten und diesen Bericht schreiben durfte, in ihrer aller Namen sagen zu können: Am „Tag des festlichen Dankes” für den vollendeten Wiederaufbau des Salzburger Domes wird es das beglückendste Gefühl sein, zu wissen, daß eigene Mühe und Arbeit, eigene Leistung und eigene Spende dazu beigetragen haben, daß der Dom so glanzvoll wiedererstanden ist.

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