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Das Gurker Fastentuch

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Da kleine, aber mit so malerischer Schönheit ausgezeichnete Alpenland Kärnten, das im Besitz einer reichen, von alten kirchlichen Zentren ausstrahlenden Kultnr ist,' hat namentlich ist den vorbarocken Jahrhunderten ein überaus fruchtbares Kumdeben aufzuweisen. Neben den einheimischen od auswärtigen Meistern, die ah Führende der Kunstgeschichte angehören, •igt es jene für die Alpenländer bezeichnende Kunsttätigkeit des Volkes, in deren boschei denen, aber nicht weniger anziehenden Tätigkeitskreis auch die Herstellung der dekorativen Malerei auf Fasten tu ehern gehörte.

Das Fastenvelum oder Hungertuch wurde mw m der Fastenzeit nach Art eines Altar-▼elums vor dem Hochaltar aufgehängt, um diesen den Blicken der Gläubigen zu entziehen. Es sollte daher nicht ein Schmuck des Altares sein, sondern ihn verhüllen und dadurch den Bußcharakter der Zeit betonen. Es war eine neue Form der alten expulsio poenitentium (Fernhaltung der Büßer), nur daß jetzt dadurch alle an ihre Sündhaftigkeit und die Notwendigkeit wahrer Bußgesinnung erinnert wurden. Die ist der riefst* Grund, der zur Einführung der Fastentücher führte, abgesehen von anderen Momenten, welche die mittelalterliche Symbolik im allgemeinen zu-grunde legte. So lesen wir bei Honorius Atigiweus, daß das Fasteneuch dorn Vorhang entspricht, der im Tempel des Alten Bundes das Allerheiligste verhüllte und erst bei Christi Opfertod zerreißend den Blick in dieses freigab Im 10. und 11. Jahrhundert tauchen die ältesten Nachrichten über das Fastentuch auf. Allem Anscheine nach kam die Sitte, in der Fastenzeit ein besonderes Verum vor dem Hochaltar zu hängen, diesseits der Alpen, und zwar in den Kloster-und Stiftskirchen auf. Sie erlangte aber allmählich die weiteste Verbreitung; denn wir finden sie im späteren Mittelalter ebensowohl in Spanien und Frankreich heimisch, wie in England und den Niederlanden, in Deutschland und der Schweiz.

Die ältesten Fastentücher waren 'aus gebleichter oder ungebleichter Leinwand oder aus Seide. Dort, wo sie mit Stickereien verziert waren, kam nicht Leinwand, sondern engmaschiges Netzwerk als Grundstoff zur Verwendung. Später überwog die Bemalung. So zeigen die erhaltenen Beispiele mit bildlicher Ausstattung fast ausschließlich eine schachbrettartige Felderteilung der ganzen plädie, in welche die einzelnen Darstellungen in fortlaufenden Bildreihen eingefügt sind Schließlich sei noch erwähnt, daß das Fastentuch gewöhnlich am Vorabend vor dem Aschermittwoch aufgehängt wurde, und zwar in den Stiftskirchen und Kathedralen nidit am Eingang des Chores, sondern zwischen dem Chor und dem eigentlichen Altarraum, wie es heute noch im Dom von Gurk üblich ist. In Pfarrkirchen war es am Eingang des Presbyteriums am Triumphbogen oder an dem sogenannten Apostelbalken angebracht. Entfernt wurde es gewöhnlich in der Karwoche bei den Worten der Passion „Et velum templi scissum est“, weshalb man auch die Bezeichnung „velum templi“ findet.

Die überragende Bedeutung, die dem Gurker Bischofssitze für die kulturelle und künstlerische Entwicklung Kärntens zukommt, erweist sich auch darin, daß hier das älteste und umfangreichste der Kärntner Fastentücher erhalten geblieben ist.

Die Gemäldezyklen des Domes der heiligen Hemma, die gegenwärtig wieder im Mittelpunkt kunsthistorischen Interesses stehen, enthalten zwei Bilderfolgen der Heilsgeschichte des Alten und Neuen Testamentes. Die eine, aus der Mitte des 14. Jahrhundert, stammend, schmückt die Vorhalle (das „Paradies“) der Kirche, die

andere, rund ein Jahrhundert später entstanden, das Fastentuch.

Auf der rechten Seite des unteren Randes trägt dieses 8,87 Quadratmeter messende Velum quadragesimale eine Inschrift, die seine Entstehungsgeschichte kurz mitteilt. Das Fastentuch wurde vom Meister Konrad von Friesach am 8. April 1458 vollendet und vom Dompropst Johann

Hinderkirdier für seine Kirche erworben, für die es zweifellos auf seine Bestellung hin angefertigt worden war.

Aus dem Zeitpunkt der Vollendung geht hervor, daß dieses Velum nicht nur für Kärnten, sondern innerhalb Österreichs das erste seiner Art mit figuralen Szenen ausgestattete Hungertuch ist. Die frühe Entstehungszeit des Werkes verrät sich schon in der Anordnung der Bilder, indem die Verteilung der Darstellungen des Alten Testamentes und Neuen Testamentes auf die beiden vertikalen Hälften der Leinwand sowohl der mittelalterlichen Richtungssymbolik als auch der ursprünglich in der Mitte geteilten ältesten Form des Fastenvelums entspricht.

Auf diese Weise wurde dem Alten Testament die gleich große Fläche wie dem Neuen Testament eingeräumt, während es später eine bedeutende Zurückdrängung erfuhr. Wir sind eben hier der mittelalterlichen Biblia pauperum sehr nahe, die nicht nur das eigentliche Erlösungswerk, sondern auch dessen typologische Vorbilder im großen Rahmen der Heilsgeschichte in den Dienst der M4-Aschheitserziehung stellt.

Von diesen* Gesichtspunkte aus ist auch die Auswahl '/er Bilder erfolgt, die namentlich vom Alten Testament interessante und seltene Darstellungen aufweisen, während sonst häufig vorkommende, wie zum Beispiel der Sündenfall und die Anbetung des goldenen Kalbes, fehlen. Ersterer ist durch das Verbot ersetzt, was schon deutlich die angegebene Gedankenriehtung erkennen läßt. Enoch ins Paradies geführt, die Erde und Himmel verbindende Jakobsleiter, die Himmelfahrt des Elias, ferner die Rettung Lots aus Sodoma und Daniels aus der Löwengrube, die Errettung des Moses aus dem Nil, sowie der Auszug der Juden aus Ägypten in das Land der Verheißung führen dem gläubigen Beschauer Sinn und Ziel

der Bußzeit vor Augen *. Die strafende Gerechtigkeit Gottes wird in Darstellungen wie den ägyptischen Plagen, der Strafe Davids wegen seiner Verfehlungen durch den Tod seines Lieblingssohnes Absalom und der Pest in anschaulicher Weise zum Ausdruck gebracht. Daneben aber stehen zum Tröste der Bedrängten die Szenen des unschuldigen Leidens der Gottesmänner Isaias, Jeremias, Ezechiel, Daniel und des Dulders Job, die alle ihren Lohn gefunden haben. Schließlich die große Reihe der typologischen Vorbilder Christi, in denen sein Leben, Leiden und Sterben, sowie die

auf, zum anschaulichen Beweis dessen, daß Christus der im Alten Bunde verheißene „Salvator mundi“ ist. Szenen, wie die Berufung des Zachäus und das Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnnen, betonen wieder gemäß dem Verwendungszwecke des Fastentuches die erbarmende Liebe des Heilandes gegen die Sünder. Im übrigen läßt sowohl die Abfolge der Bilder als auch deren Darstellung im einzelnen einen genauen Anschluß an den Text der Heiligen Schrift erkennen. Dem landschaftlichen Schauplatz seiner Szenen wendet er keine besondere Aufmerksamkeit zu und begnügt sich im allgemeinen mit fast symbolisch wirkenden Andeutungen. Nur Gethsemane und insbesondere der Garten des Joseph von Arimathäa mit der „Noli-me-tangere“-Szene geben eine deutlichere Vorstellung von der umgebenden Natur. Bäume und Vegetation überhaupt sind nur spärlich vorhanden und in stilisierter Form wiedergegeben.

In noch höherem Maße kommt der Charakter symbolischer Andeutung den Architekturen zu, die bei der Wiedergabe von Innenräumen noch jene ornamentale Umbildung aufweisen, die der Gotik von den Umrahmungen der Miniaturen her geläufig ist. Der Hinweis auf den Stil der Buchmalerei erscheint zweifellos berechtigt, da die Themen der Biblia pauperum vielfach in illuminierten Kodizes behandelt worden sind. Auch das Gurker Fastentuch ist letzten Endes nichts anderes als eine Bilderbibel, wenn auch im Großformat auf Leinwand. Die stilistischen Eigentümlichkeiten seiner Architekturen entsprechen der Entstehungszeit, sind jedoch zumeist sehr vereinfacht, mit Ausnahme der Phantasiebauten des Salomonischen Tempels und der Stadtansichten. Beim Bau des babylonischen Turmes, bei der Wiedererbauung Jerusalems, hat der Künstler kulturhistorisch hochinteressante Szenen aus dem Leben und Treiben auf einem damaligen Bauplatz hinterlassen.

Der Malgrund ist Leinen von feinster Struktur. Die Temperafarben dringen in das Gewebe ein, so daß die Darstellungen auch auf der Rückseite des Tuches durch ihre farbigen Flächen und die schwarze Zeichnung erkennbar werden. Fast jedes Feld ist teilweise mit gröberer Leinwand unterlegt — oft aus verschiedenen Zeiten neben- und übereinander, um Risse und Beschädigungen zu beheben, was sich besonders in den unteren Randfeldern des Tuches als notwendig erwies. An vielen Stellen sind farbige Überarbeitungen erkennbar, das Feld mit der Darstellung der Anbetung ist völlig neu: seine Farbe widerstand jedoch schlechter der Zeit, als die der gotischen.

Die den koloristischen Gesamtcharakter des Fastentuches bestimmende Farbe bildet der Naturton der Leinwand, ein heute gelblich wirkendes Oliv, das fast in allen Feldern als der von der farbigen Bemalung ausgesparte Hintergrund erscheint. Licht und festlich stehen in dieser warmen, oliv-tonigen Gesamtheit Schwefelgelb und Zinnober. Ocker, seltener vorkommend, modelliert die gelben Nimben plastisch, charakterisiert die Dinge aus Holz, Baumstämme und Körbe. Dunkeloliv dominiert in allen Architekturen, im Boden und in vielen der im Oliv des Grundes ausgesparten Gewänder. Blaugrün in den Wolken, Bäumen und Pflanzen. Eisengraublau an den Rüstungen und Waffen, violett und grau an einzelnen Kleidungsstücken. Leuchtendes Blau und Grün fehlen vollkommen. Mit schwarzer Farbe ist die Zeichnung der Einzelformen durchgeführt; wo Farben stark kontrastierend gegeneinanderstehen, verbleiben sie ohne jede zeichnerische Abgrenzung.

Alle diese Farben sind in verschieden starkem Auftrag auf die Leinwand gemalt: von der aquarellhaft flüssigen Tönung bis zu dem metallischen Glanz der Nimben,

Gründung des Gottesreiches auf Erden prophetisch angekündigt sind, von denen der Traum des Jesse, die Geschichte des ägyptischen Joseph, die eherne Schlange, der Tod Kains, Jonas und der Bau des salomonischen Tempels hervorgehoben seien.

Neben solchen der Bibel, beziehungsweise der jüdischen Legende entnommenen Darstellungen treten aber auch solche aus der heidnischen Profangeschichte und Mythologie auf. Die Sibyllen als Trägerinnen der evangelischen Vorverkündigung im Heidentum sind durch die tiburtinisdie vertreten, dargestellt in jenem Zwiegespräch mit Octavianus Augustus, das in der Griindungslegende der Kirche St. Maria in Ära coeli auf dem Kapitol in Rom Aufnahme gefunden hat. Die Ermordung Casars ist hier zweifellos als Parallele zum Verrat des Judas wiedergegeben. Der Besuch Alexanders des Großen in Jerusalem und seine Huldigung vor dem Hohenpriester des A. B. kann symbolisch auf die Unterwerfung der Heidenwelt unter Christus, dem Hohenpriester des Neuen Bundes gedeutet werden. Das Vorkommen dieser letztgenannten Szene wächst ganz aus der Gedankenwelt des 14. Jahrhundert heraus, die namentlich im „Speculum humanae salvationis“ (1324) ihren Ausdruck gefunden hat.

In der Folge des Neuen Testamentes fallen gegenüber den anderen Fastentüchern die zahlreich dargestellten Wunder Christi

der durch pastoses Schwefelgelb erreicht wird. Wie ein kostbares Gewebe, bei dem alle Farben zu ruhig schwingenden Akkorden zusammenklingen, wirkt so die riesige Fläche des Fastentuches auf jeden Beschauer, wenn es an lichten Tagen von dem Goldglanz des Hochaltares, vor dem es hängt, durchleuchtet wird.

Das eine so hervorragende Stellung einnehmende Gurker Fastentudi ist erfreulicherweise stets sorgfältig erhalten worden und kommt so am ursprünglichen Orte seiner Entstehung alljährlich in der Fastenzeit zur Verwendung. Ein ganz einzigartiges, hochbedeutsames Denkmal spätmittelalterlicher Liturgie.

Franziehanerplatz

Der stillste Platz! Paläste rings umstehn Die Franziskanerpforte, schön gebaut. Mit schmalem Eingang. Ohne Worte schaut Von seinem Brunnen die Figur des Moses, Versonnen und versunken endlos weit. Hier hat fürwahr ein lärmend ruheloses, Schnellebiges Geschlecht vergessen schier, Zu ändern an der Zeit. Behäbig breit Ruht jedes Tor; und drüber der Balkon Schwingt immer noch, wie gestern so auch heut, Die Rundung aus. Wie lange ist es schon, Daß dieser Rauchfang wie mit Fingern zeigt Zum Himmel steil empor? Hier schweigt Die laute Großstadt, nur aus höchstem Stock Schlägt eine Uhr: wohl die vergessne Spur Des tönenden Barock? Und Schatten wehn, Von unsichtbarer Hand ans Licht gezogen, Rund um den letzten Platz des alten Wien.

Ed. Schwab

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