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Das kleine Andachisbild

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Adolf Spam er hat 1930 in seinem meisterhaften, nach Gehalt und Ausstattung gleich hervorragenden Werk „Das kleine Andachtsbild vom 14. bis zum 20. Jahrhundert“ auf Grund umfassender kunst- und kulturgeschichtlichen Studien einer bis dahin fast nur von Sammlern beachteten Gattung der Kleingraphik zu Aufmerksamkeit und Ruhm verholten. Eine Lücke indes wies diese umfassende Untersuchung auf, auf die Spamer selbst hingewiesen hat: Herstellung, Gebrauch und Überlieferung des kleinen Andachtsbildes in Österreich. Dem fruchtbaren 18. Jahrhundert in diesem klassischen Land volksfrommen Brauches sind keine drei Seiten gewidmet und nur wenige Werkstätten sind genannt. Wie weit das Gebiet jener von der Kunstwissenschaft lange Zeit übersehenen Gattung ist, beweist, daß auch das hier angezeigte Werk von Gustav Gugltz , das die erwähnte Lücke schließt, sich abermals eine weise Beschränkung auferlegt. Es behandelt das Devotionalbild „in den österreichischen Gnadenstätten“, also das Wallfahrtsbildchen im engeren Sinn. Abgesehen von einzelnen Hinweisen, hat der Verfasser darauf verzichtet, das gegenüber dem Kupferstich blau auf Pergament gemalte Andachtsbild, das sich in Österreich einer hohen kunstgewerblichen Entwicklung erfreute, in seine Untersuchungen einzubeziehen. Mit um so größerer Genauigkeit erhält das Andachtsbild des Kupferstiches des 17. und 18. Jahrhunderts eine unerreicht genaue Ikonographie. Keinen Berufeneren konnte diese von Spamer der österreichischen Forschung zugewiesene Aufgabe finden. Gustav Gugitz hat Österreich damit eine reife Frucht seiner ausgedehnten literargeschichtlichen und kulturkundlichen Studien geschenkt. Der Verfasser vereinigt gründlichste Stoffkenntnis mit geduldigster Detailarbeit. Äußert sich jene im dichtgedrängten Hauptteil „Darstellung und Verbreitung“, so diese in den minuziösen Details der Anmerkungen, des Registers und vor allem der Ikonographie, die . allein 42 Seiten in Kleindruck umfaßt.

An dieser Ikonographie des österreichischen Wallfahrtsbildes hat jede künftige Forschung sicheren Halt. In der alphabetischen Reihe der Ortsnamen (Gnadenstätten) gibt sie Auskunft über das religiöse Objekt — bei den kunstgeschichtlich wertvollen mit näheren Angaben — und das zugehörige Andachtsbild. Deren zum Teil stattliche Zahl wird nach den drei Hauptperioden der Herstellung gegliedert. Innerhalb dieser Gruppen werden die Künstler von den Verlegern geschieden. Der Verfasser selbst bezeichnet, bescheiden genug, diesen Teil des Buches als „erstmaligen Versuch, eine sicher nicht endgültige und vollständige, aber wohl grundlegende Ikonographie des kleinen Andachtsbildes in den österreichischen Gnadenstätten, mit Einbeziehung der gesamten alten Steiermark, ganz Kärntens in seinem alten Bestand und Tirols bis Salum“, zu geben. Außer der eigenen Sammlung von 7000 Bildern dienten Gugitz’ Forschung die Bestände der Volkskunde- und Heimatmuseen und große Privatsammlungen; darunter befindet sich die des Herausgebers der „Furche“, Dr. Friedrich Funder, mit der auch der Verfasser dieser Zeilen schon 1928 bei der Planung der „Deutschen Volkskunstausstellung“ Bekanntschaft machen durfte. Aus Vorarlberg ist keine Sammlung genannt, obwohl sich hier in Privathand und in Heimatmuseen (Schruns, Feldkirch, Schwarzenberg) manches findet. Formgeschichtlich und länderweise yorgehend, in großem Überblick und mit einer Fülle von Namen und Daten gibt der gut ausgestattete Band die Entwicklung des österreichischen Wallfahrtsbildes. Ausweis und Andenken einer Pilgerfahrt sind schon im Mittelalter bekannt. Ein Pilgerzeichen für Mariazell, das „Zellerische Marchzeichen“, wird 1442 zum erstenmal urkundlich erwähnt.

Im 15. Jahrhundert kommen in’ der Schweiz, in Deutschland, besonders in Bayern, Wallfahrtsbildchen aus den Werkstätten flämischer Kleingraphiker in Aufnahme. Für Österreich weisen die Sammlungen erst für das 17. Jahrhundert eine bedeutende Mehrung des graphischen Bildbrauches aus. Im Zentrum der Gestaltung steht Mariazell, für das sich 1621 auch Kaiser Ferdinand ein „Zellerisches Bildl“ erbittet. Nur aus wenigen Orten neben Mariazell sind aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts datierbare Andachtsbildchen erhalten. Unter den Herstellern überragen zunächst weitaus die Flamen, von denen einzelne nach Österreich kamen, wie Sadeler, um hier ihre Kunst an Ort und Stelle für eine ortsnahe Kunst zu entfalten. Unter diesen Graphikern jener Zeit finden sich nicht wenige, die Namen wie Joann. Huberti, Theodor und Cornelius van Merlen, Cornelius Galle, Jacobus Man, vau Sommeren und andere tragen. Mit dem Anbruch des 18. Jahrhunderts mehren sich süddeutsche Werkstätten, vor allem beginnt Augsburg siegreich die Niederländer aus der religiösen, in Österreich verbreiteten Graphik zu verdrängen. Der alte Holzschnitt wird selten, an seine Stelle tritt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts der Kupferstich, den der Flame Christoph Plantin (1514 bis 1589) für die Illustration entdeckte und den die flämischen Werkstätten schon zur Massenkunst entwickelt haben. Der Sieg der Augsburger Meister und, etwas später, der österreichischen Kleingraphiker über die Flamen ist geistesgeschichtlich begründet in der „Gedankenwelt des Barocks, die ihren stärksten Antrieb letzten Endes durch eine von der Literatur her fein abgestimmte religiöse Mystik und Romantik erfuhr und ihren hinreißenden Antrieb aus dem inbrünstigen Pathos der Gegenreformation gewann“ (8 f.). Unter den für Österreich tätigen Augsburgern findet man bekannte Namen, wie Kilian, Pfeffel, Fromiller, Engelbrecht, Rugendas, Herz, Gleich, Remele, Kemp- ter, Frehling, vqr allem aber den berühmten, vom billigen Spott der Aufklärer verfolgten Joh. Seb. Klauber (1700 bis 1768), der selbstbewußt als „Klauber catholicus“ signierte und dessen Familie schließlich das Wallfahrtsbild aus dem strengen Barock in ein beschwingtes Rokoko hinüberführte. Gugitz weist allein für Österreich 99 Arbeiten von Klauber nach, während Spamer (nach A. Hämmerle) nur 22 bekannt waren. Fruchtbarer als Klauber waren nur noch die Österreicher Schmitner in Wien mit 105 Stücken und J. V. Kauperz in Graz mit 106 bis jetzt festgestellten Schöpfungen. Neben der Augsburger Schule spielen Werkstätten in München, Nürnberg, Passau oder in der Schweiz in dieser Zeit eine gewisse Rolle.

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts melden sich in Österreich einzelne heimische Graphiker zu Wort, unter ihnen schon Schmitner.

Der religiöse Antrieb des Barocks ließ in allen alten österreichischen Ländern mit Wien und Graz als Schwerpunkte Werkstätten entstehen, die Wallfahrtsbilder in der Hauptsache oder nebenher herstellen. In Salzburg fiel auch auf unsere Kunstgattung Glanz von der Residenz der Erzbischöfe. In Kärnten und Oberösterreich scheinen um diese Zeit die politischen wie die künstlerischen Impulse zu fehlen. Auch das sonst so kunstfreudige Tirol steht merklich im Schatten der bayrischen Werkstätten. Gugitz zeichnet sorgsam die Entwicklungslinie und ihre Verzweigungen. Wenn sich auch keine österreichische Stadt mit der internationalen Rolle von Augsburg in bezug auf die religiöse Graphik des 18. Jahrhunderts vergleichen kann, so begegnen wir doch in öster- reich allenthalben einer steigenden Nachfrage nach Stechern für Wallfahrtsbilder bis zur Regierungszeit Josephs II. Zu eng gefaßt für den dann einsetzenden Wandel scheint das Urteil des Verfassers zu sein. „Wie auch sonst im politischen Kräftespiel die französische Aufklärung sich immer mehr durchsetzte, so überwältigte sie selbst im Andachtsbild die ausschweifende Formenwelt des Barocks“ (40). Der allgemein sich vollziehende Stilwandel um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert betraf selbstverständlich bald, abgesehen von den Wirkungen neuer Reproduktionsverfahren, auch das Andachtsbild.

Ist bis daher die Untersuchung von Gugitz’ wertvolle Ergänzung, da und dort auch Korrektur des Spamerschen Werkes, so schenkt sie uns neue Erkenntnisse über die Art, wie ein Wallfahrtsbild entstand, über die Beteiligung einzelner Stätten und über das Brauchtum, mit dem das Volk die geliebten Bildlein umgab. Hier besonders kommt es Gugitz zugute, daß er auf geographisch und thematisch begrenztem Gebiet eine Fülle von Stoff, im Verhältnis gesehen gewiß ein Vielfaches des Spamerschen Materials, sichten konnte. So wurde zum Beispiel eine hagiographische Statistik möglich, die sichere und volkskundlich äußerst interessante Schlüsse erlaubt.

Weit mehr, ja fast völlig in der Hand des Volkes geblieben, ist der fromme und zu Zeiten auch abergläubische Brauch, der sich mit dem Besitz der bildförmigen Unterpfänder von Heil und Segen verband. Bei Spamer hat dieses religiöse und volksmedizinische Brauchtum kaum Beachtung gefunden, so daß uns Gugitz hier völlig Neues bietet.

Pessimistisch schaut Gugitz in die Zukunft des Wallfahrtsbildes. Er sieht in der Übernachtung durch den reinen Händlergeist und in der Abwendung von dem degenerierenden Brauch die Gründe für den Niedergang dieser Bildkultur im 19. und 20. Jahrhundert. Vielleicht sieht er die Lage gerade deshalb so, weil er zu dem Irrtum neigt, in der Geschichte des Wallfahrtsbildes dem Aberglauben eine allzu starke Rolle zuzumessen und die echten und bleibenden religiösen Urgründe zu unterschätzen, aus denen das kleine Andachtsbild seine Beseelung empfängt. Man darf doch sagen, daß wir heute trotz allen Schrecken und Krisen weiter sind als vor dreißig Jahren. Im Religiösen wie im Künstlerischen wissen wir heute besser, was leere Tradition, historisierende Nachahmung und verlogener Kitsch ist. Diesem Wissen ist schon manche Tat gefolgt. Im Beten und Singen, im Bilden und Bauen haben wir uns den Quellen wieder genähert. Dürfen wir unserer Zeit dies Zeugnis nicht in aller Bescheidenheit ausstellen? Man darf die Überzeugung haben, daß das kleine Andachtsbild in neuer Form eine Zukunft hat und daß es nur eines kräftigen Anstoßes bedürfe, ihm den Weg zu bereiten.

1 Gustav Gugitz, Das kleine Andachtsbild in den österreichischen Gnadenstätten in Darstellung, Verbreitung und Brauchtum nebst einer Ikonographie. Ein Beitrag zur’Geschichte der Graphik. Mit 2 Farbtafeln und 63 Bildbeilagen auf 48 Bildtafeln. Verlag Brüder Holli- nek, Wien. 183 Seiten.

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